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Kritik am Bundesverfassungsgericht

Polen hat zwar nicht den Euro, dennoch wird auch dort gespannt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zum Eurorettungsschirm gewartet. Spitzenpolitiker wie Außenminister Radoslaw Sikorski werfen unterdessen den Karlsruher Richtern vor, Gegner der europäischen Integration zu sein.

Von Sabine Adler | 11.09.2012
    Täglich sind der Strefa Euro – der Eurozone – gleich mehrere Artikel gewidmet, wird das Thema im Radio und Fernsehen erregt debattiert, mit Entsetzen berichteten die Blätter von der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, unbegrenzt Staatsanleihen aus Krisenländern anzukaufen. Beunruhigt wird durchdekliniert, ob das Bundesverfassungsgericht den dauerhaften Rettungsschirm kippt oder nicht.

    Außenminister Radoslaw Sikorski findet das Gericht nicht nur viel zu einflussreich, er sieht in den Karlsruher Richtern Gegner der europäischen Integration. Überall ist stets ein besorgter Unterton herauszuhören: dass sich die Eurozone Regeln gegeben hat, aber eine nach der anderen verletzt.

    Die Abgeordnete Agnieszka Pomaska von der Regierungspartei Bürgerplattform spricht aus, was viele Polen beunruhigt, dennoch plädiert die Vorsitzende der EU-Kommission im Sejm jetzt für ein beherztes Vorgehen: Für mehr Integration, denn das sei nicht zuletzt auch eine finanzielle Entscheidung.

    "Man sollte eins wissen: Wir befinden uns gerade in Verhandlungen über die Perspektive der Union, über die Mittel, die unter anderem Polen bekommt. Wir sollten uns für eine vertiefte Integration aussprechen, denn Polen profitiert davon, für uns bedeutet das mehr Geld."

    Bis Ende November soll der neue europäische Finanzrahmen bis 2020 stehen. Polnische Zeitungen spekulieren, ob stimmt, was der britische "Economist" schreibt, dass er Polens Premier Tusk unter Druck sieht. Nicht weil er als Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Baroso gehandelt wird, sondern weil er versprechen soll, den Euro einzuführen, nur dann gäbe es bei den derzeitigen Verhandlungen für den Zeitraum von 2013 bis 2020 mehr Geld, ansonsten drohten Kürzungen.

    Einig sind sich unsere Nachbarn nur in einem, dass es momentan gut ist, den Euro nicht zu haben, zwei Drittel lehnen die Gemeinschaftswährung derzeit für ihr Land ab.

    Die Polen debattieren so lebhaft wie jenseits von Oder und Neiße, ob nun der Euro Schuld ist am tief zerstrittenen Europa. Für Jacek Czabanski von der Oppositionspartei Solidarna Polska ist dies zweifellos der Fall.

    "Die EU hatte ihre Vorteile als Bund souveräner Staaten. Und jetzt, nach der Einführung des Euro befindet sie sich in der Krise. Weil dies ohne die entsprechenden ökonomischen Voraussetzungen geschehen ist. Die Euro-Einführung war ein Ergebnis von übermäßigem politischen Ehrgeiz. Deswegen kann heute die Antwort auf die Krise nicht die einer weitere Integration sein."

    Die Politiker jedoch wissen, dass Polen sein volles Gewicht erst dann in die Waagschale werfen kann, wenn es nicht mehr am Katzentisch der Euro-Länder sitzt. Deshalb kann Außenminister Sikorski zwar anregen, die Europäische Kommission mit dem Rat und der Eurogruppe zusammenzulegen, auf große Resonanz trifft er mit solchen radikalen Vorschlägen bislang nicht. Von den Polen mit ihrer strengen Haushaltspolitik, die die Schuldenbremse schon seit 1997 in ihrer Verfassung stehen haben, will die Euro-Gruppe nur eins hören: die Beitrittserklärung, doch die Polen haben es nicht eilig damit. Sie wollen ihren Zloty aufgeben, aber erst, wenn die Euroländer ihre Hausaufgaben gemacht haben.

    Polen teilt Deutschlands strenge Haushaltsdisziplin, weshalb Kanzlerin Merkel wegen ihrer Krisenpolitik nur selten kritisiert wird. Doch die Macht des Bundesverfassungsgerichts verunsichert selbst Spitzenpolitiker. Könnte es doch Europa an einer vertieften Integration hindern, wie Außenminister Radko Sikorski Ende August in Berlin warnte. Tadeusz Iwinski vom Sojus der Linken Demokraten fürchtet, dass Europa ohne mehr politische Zusammenarbeit auf der weltpolitischen Bühne jeglichen Einfluss verliert.

    "Die Franzosen haben ein Sprichwort: Man muss einen Schritt zurücktreten um besser zu springen. D.h. man muss sich an Regeln halten, auch wenn es uns derzeit nicht betrifft, so kann das in der Zukunft doch der Fall sein. Wir brauchen die politische Union, ohne politische Union werden wir in Europa keine neue Qualität erreichen. Ich habe in meinen Büchern bereits vor 20 Jahren gewarnt, dass Europa nur eine Halbinsel von Asien ist. Und heute sage ich, wenn wir den nächsten Schritt der Vereinigung nicht hinbekommen, wenn nationale Egoismen überwiegen, dann wird Europa verlieren."

    Bedeutet mehr Integration auch weniger Souveränität? Diese Frage taucht früher oder später in jeder polnischen Europa-Debatte auf, morgen wird sie neu gestellt werden.