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Kritik an Arbeitsbedingungen
Ermunterung zum Streik bei Amazon

Die Gewerkschaft Verdi versucht seit vier Jahren, dem US-Versandhändler Amazon einen Tarifvertrag für die 12.000 Beschäftigten in Deutschland abzuringen. Bisher ohne Erfolg. Jetzt bekommt sie Unterstützung von der Kampagne "Make Amazon Pay", die bundesweit Amazon-Mitarbeiter zu einem härteren Arbeitskampf ermuntert.

Von Peter Kessen | 16.11.2017
    Am Zaun vor dem Amazon-Lager in Leipzighängt ein Verdi-Plakat mit der Aufschrift "Wir streiken"
    Streik bei Amazon in Leipzig: Die Gewerkschaft Verdi fordert einen Tarifvertrag (Imago/ Stefan Noebel-Heise)
    "Hallo, vielen Dank! Wir freuen uns über das rege Interesse an dieser Veranstaltung. Wie ihr wahrscheinlich schon wisst, gibt es diese Auseinandersetzung bei Amazon seit etwa vier Jahren …."
    Die Kampagne "Make Amazon Pay" gastiert heute in einer linken Szene-Kneipe im Berliner Stadtteil Neukölln. Im Veranstaltungsraum drängen sich unter einem alten Kronleuchter und Stuckdecke wohl an die hundert Menschen. Ein Aktivist der Kampagne ist Jonathan. Der 28-Jährige macht gerade seinen Bachelor in Philosophie:
    "Wir halten Amazon für einen sehr unnachgiebigen, sehr repressiven Arbeitgeber, der aber mit so einem Getue von Familie und so weiter ein vermeintliches Gemeinschaftsgefühl simuliert, aber reell sehr viel Druck auf die Beschäftigten ausübt. Und nicht mal auf so was wie Tarifverhandlungen ernsthaft eingeht."
    Die Kampagne "Make Amazon Pay" will die Streiks der Gewerkschaft Verdi unterstützen. Verdi versucht seit viereinhalb Jahren, dem US-Versandunternehmen einen Tarifvertrag für die 12.000 Beschäftigten in Deutschland abzuringen. Bisher ohne Erfolg. Nach dem Beginn der Streiks in Deutschland im Frühjahr 2013 hat Amazon neue Standorte in Osteuropa aufgebaut, drei in Polen und zwei in Tschechien.
    "Amazon reagiert auch auf die Arbeitskämpfe, aber nicht durch Zugeständnisse, was schön wäre. Sondern ich glaube persönlich, es ist kein Zufall, dass nach den Arbeitskämpfen in Deutschland Amazon zunehmend nach Osteuropa expandiert hat, um da noch billiger Arbeitskräfte zur requirieren. Und diesem Kampf aus dem Weg zu gehen."
    Polnische Standorte fangen Streiks in Deutschland auf
    Bei der Gewerkschaft Verdi betreut Thomas Voß als Bundesfachgruppen-Sekretär die Streiks bei Amazon. Er betont, dass die polnischen und tschechischen Standorte für den deutschen Markt lieferten. Das mache Streiks schwierig, "weil in dem Moment, wo Leipzig, Bad Hersfeld, Graben, Augsburg oder auch die nordrhein-westfälischen Standorte in den Streik gehen, verlagert Amazon seine Volumina an die polnischen Standorte, und von dort werden die Waren nach Deutschland ausgeliefert, ohne dass der Kunde überhaupt mitkriegt, woher das kommt."
    Dagegen helfen nur internationale Streiks, daran glauben sowohl die Gewerkschaft Verdi als auch die Kampagne. Verdi-Sekretär Thomas Voß möchte jedoch betonen, dass es auch ohne Tarifvertrag Fortschritte gab:
    "Amazon weigert sich nach wie vor, mit uns überhaupt zu sprechen über einen Tarifvertrag. Dennoch waren die Streiks sehr erfolgreich, denn erst seit wir streiken, gibt es einmal im Jahr regelmäßig Lohnerhöhungen bei Amazon. Und auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen konnte erst seit wir streiken bei Amazon gelingen. Und das ist in der Tat ein Erfolg der Streiks."
    Bis zu 20 Kilometer Laufweg pro Schicht?
    Wie die Kampagnen-Aktivisten findet jedoch Verdi die Arbeit in den Warenlagern von Amazon zu schwer: Bis zu 20 Kilometer müssten die Beschäftigten pro Schicht Waren transportieren, die Gesundheitsbelastung sei hoch. Der Krankenstand sei zwar etwas zurückgegangen, von rund 20 auf 13 Prozent der Belegschaft. Doch liegt die Zahl der Krankenmeldungen – laut Verdi – rund fünf Prozent über dem Durchschnitt der Logistikbranche.
    "Make Amazon Pay" tourt nun durch die Städte, um über die Situation der Amazon-Beschäftigten aufzuklären – und diese auch zu einem härteren Arbeitskampf zu ermuntern. Der Vorweihnachts-Betrieb, wenn die Geschenkebestellungen anwachsen, scheint ihr dafür ein guter Zeitpunkt zu sein: Am 24. November soll eine Auslieferungsstelle am Berliner Ku'damm blockiert werden – eine Aktion, die auch strafrechtliche Konsequenzen haben könnte.
    Das Unternehmen Amazon hat auf Anfrage des Deutschlandfunks nur schriftlich reagiert. Demnach habe die Eröffnung polnischer Standorte nichts mit den Streiks in Deutschland zu tun. Es handele sich generell um eine europäische Zusammenarbeit. Verhandlungen über einen Tarifvertrag lehne das Unternehmen ab, weil eine direkte Kommunikation mit den Betriebsräten der beste Weg sei. Der Laufweg eines Beschäftigten wird von Amazon nicht auf 20 Kilometer, sondern auf 12 Kilometer geschätzt.
    "Gleichzeitig finden diese Kämpfe auch in den USA, in Polen und Frankreich statt. Und überall dort wird sich gegen die tägliche Gängelung dieses Arbeitsverhältnisses organisiert."
    Internationalisierung des Arbeitskampfes gefordert
    Am Kampagnen-Abend in der Berliner Kneipe geht es um die Internationalisierung des Arbeitskampfes. Auf dem Podium sitzt auch die Amazon-Mitarbeiterin Magda, sie berichtet vom Arbeitsstress im polnischen Poznan. :
    "The level of Control is horrible. Everyday they try to figure out to squeeze workers as much as possible. Everyday we have to fight for very simple thinks, like to go to toilet."
    Selbst um Toilettenbesuche müsse sie bei den Vorgesetzten kämpfen. Die Unternehmensleitung kontrolliere die Handscanner der Beschäftigten, nach drei Minuten ohne Meldung werde die Zeit als Pause verrechnet. Amazon Polen erklärte auf Anfrage, die Beschäftigten müssten um Pausen nicht kämpfen. Die Stellungnahme zur Messung von Nichtarbeit per Handscanner blieb unklar.
    Auch in Polen arbeiten viele Menschen befristet bei Amazon – wie überall ist dies ein Hindernis für gewerkschaftliche Organisation. Doch so wie in Deutschland der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder bei Amazon seit Streikbeginn von 15 auf rund 35 Prozent gestiegen ist, wächst auch in Polen bei Amazon die Basisgewerkschaft IP, Inicjatywa Pracownicza.