Sonntag, 28. April 2024

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Kritik an beheizbarer Kleidung
"Regulationsfähigkeit des Körpers nimmt ab"

Beheizbare Kleidung sei ökologisch nicht zu begrüßen, sagte Verbraucherschützer Tristan Jorde im Dlf. Der Einsatz von Lithium-Akkus und anderen problematischen Materialien dafür sei nicht gerechtfertigt. Außerdem befürchtet er "eine Art Suchteffekt nach mehr Wärme" durch solche Kleidung.

Tristan Jorde im Gespräch mit Georg Ehring | 30.01.2019
    Menschen gehen bei Regenwetter, in Regenkleidung und mit Regenschirmen auf einer Straße
    Menschen gehen bei Regenwetter in Regenkleidung und mit Regenschirmen (imago / Jochen Tack)
    Georg Ehring: Rekordmengen an Schnee in Süddeutschland und in Österreich, und der Winter hat auch andere Regionen im Griff. Selbst im Rheinland schneit es momentan. Warme Kleidung ist angesagt, und inzwischen gibt es die auch ganz besonders warm. Wir reden über beheizbare Kleidung. Für die Umwelt ist dieser Trend problematisch, findet die Verbraucherzentrale Hamburg. Ich habe Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale vor dieser Sendung gefragt, welche Produkte mit eingebauter Heizung es bereits gibt.
    Tristan Jorde: Ja, da gibt es ganz interessante Sachen. Grundsätzlich, von beheizbarer Kleidung spricht man dann, wenn irgendwelche Heizelemente eingebaut sind in traditionelle Textilien. Diese Heizelemente sind meistens irgendwelche Drähte, die dann an einem Akku dranhängen, meistens einem Lithium-Ionen-Akku, und damit wird dann hier Wärme erzeugt, und es wird suggeriert, dass man damit die Probleme in den Griff kriegt, die man bei großer Kälte hätte.
    Ehring: Das sind dann vor allem Mäntel, oder wovon reden wir?
    Jorde: Wir reden da unter Umständen von Jacken, von Hosen, von Schuheinlegesohlen, von Handschuhen, mittlerweile auch von Mützen. Der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. Das wird sozusagen auch von der Textilindustrie als neues Marktfeld gesehen, smarte Kleidung oder eben funktionale Kleidung, die solche Dinge eingebaut hat. Das ist ein Trend, der ökologisch nicht begrüßenswert ist.
    Ehring: Was sind da Ihre Bedenken?
    Einsatz von Akkuzellen nicht gerechtfertigt
    Jorde: Ganz klar geht es hier um einen zusätzlichen Verbrauch an Lithium-Akkus, damit auch an elektrischer Energie. Jeder, der schon mal intensiv in den Bergen war, weiß, dass man sich mit einer guten Zwiebelschalenkleidung sehr gut auch gegen extreme Wetterverhältnisse schützen kann. Hier den zusätzlichen Strom über Ladung, Akku aufzubieten und auch die durchaus problematischen Materialien, die dabei verwendet werden, die ja nicht bei uns irgendwo auf den Bäumen wachsen, sondern meistens unter unangenehmen Bedingungen weit weg irgendwo produziert werden. All das rechtfertigt aus meiner Sicht nicht den Einsatz von solchen Akkuzellen. Und man kann sich traditionell sehr gut kleiden und es trotzdem warm haben.
    Ehring: Da reden Sie vor allem vom Lithium, oder welche Stoffe meinen Sie noch?
    Jorde: Es gibt den Akku selbst, da reden wir von Lithium, Kobaltoxid und solchen Dingen, und auch einen Polymer, oder eben auch die Elektrolytflüssigkeit, die da drin ist. Das sind durchaus problematische Stoffe. Aber das Ganze braucht ja auch immer eine elektronische Schaltung, das heißt, da haben Sie dann die üblichen Probleme, die Sie bei Elektronikschrott haben, dass da alle möglichen seltenen Metalle drin sind, seltene organische Verbindungen, chlorierte organische Verbindungen. Alle möglichen eigenartigen Dinge, die man möglichst minimieren sollte. Und der Trend, das in die Kleidung zu verbauen, weitet den Gebrauch von diesen problematischen Materialien noch zusätzlich aus.
    Ehring: Wie lange hält denn so eine Batterie, wenn man es jetzt mal ganz praktisch sieht?
    "Lithium-Akku sind sehr anfällig und kälteempfindlich"
    Jorde: Das ist eine sehr gute Frage. Ich finde das sehr mutig, dass man das in der großen Kälte anbietet, weil gerade auch die Lithium-Akkus extrem kälteempfindlich sind. Eigentlich sollte man die bei ganz niedrigen Temperaturen gar nicht verwenden. Das sehen Sie auch bei jedem Handy, dass da so ganz spezifische Verwendungshinweise draufstehen, zu denen auch gehört, nicht bei zu tiefer Temperatur betreiben. Man müsste außerdem, weil da ist der Lithium-Akku sehr anfällig für, sehr regelmäßig aufladen und weder tiefenentladen noch überladen. Oder dann auch noch eine Beschädigung, wenn Ihnen das Ding runterfällt und irgendwo auf einen harten Untergrund fällt. All diese Dinge können dazu beitragen, dass die Akkuzelle beschädigt wird. Und dann kann es unter Umständen tatsächlich gefährlich werden.
    Ehring: Das heißt aber dann auch, dass Sie eine neue Akkuzelle brauchen? Oder kann man den Akku gar nicht wechseln?
    Jorde: Es gibt solche, die fix eingebaut sind, und solche, die beweglich sind und ausbaubar sind. Da müsste man dann den Akku wechseln, genau.
    Ehring: Sie finden das Ganze auch problematisch für den Körper. Warum?
    Jorde: Es gibt im Körper – ich gehe leidenschaftlich in die Berge, wie gesagt –, es gibt für den Körper natürlich einen eigenen Mechanismus, der sich in gewissem Maß und in einem gewissen Temperaturbereich gut anpasst an die Frage, ob es jetzt sehr heiß, sehr kalt oder eher so ein Übergangswetter ist. Und das ist eine gute Regulationsfähigkeit des Körpers, die einem auch hilft, wenn man länger in der Natur draußen ist, vor allem in der Kälte. Wenn ich jetzt immer dann, wenn ich mein erstes Kältegefühl verspüre, automatisch den Akku anschalte und mir irgendwo die Hände heizen lasse oder die Fußsohlen oder die Mütze, dann baut das diese Selbstregulationsfähigkeit des Körpers tendenziell ab. Das heißt, Sie frieren dann immer mehr letztendlich. Es gibt so eine Art Suchteffekt dann nach mehr Wärme.
    Ehring: Wie steht es denn um die Entsorgung hinterher? Wenn ich jetzt all Ihre Warnungen in den Wind geschlagen habe und mir so eine Jacke zum Beispiel gekauft habe, wie muss ich die hinterher entsorgen?
    "Sie haben dann eigentlich Elektroschrott"
    Jorde: Da muss man jedenfalls sehr sorgfältig damit umgehen. Ganz unproblematisch ist es nicht. Vor allem bei den Teilen, die fix mit dem Gewebe verbunden sind – auch da gibt es welche. Da haben Sie dann eigentlich Elektroschrott vorliegen und kein Textil mehr. Das heißt, das können Sie auf keinen Fall in die Altkleidersammlung oder einfach so in den Hausmüll werfen. Die, die ausbaubar sind, müssen Sie natürlich dann, die elektrischen und elektronischen Teile ausbauen und die dann getrennt der Elektroschrottentsorgung zuführen. Und dann können Sie hoffentlich den Rest des Gewebes, also Ihrer Jacke, Hose, sonstwas ganz normal in die Textilverwertung geben. Aber unproblematisch ist das nicht.
    Ehring: Das Interview mit Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.