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Kritik an Gen-Check bei Embryos hält weiter an

Der Gen-Check an Embryos, kurz PID, befindet sich im Abstimmungsverfahren. Anfang Januar soll die Verordnung in Kraft treten. Doch Kirchen, Ethikrat und einige Bundesländer üben weiterhin scharfe Kritik.

Von Annette Rollmann | 14.09.2012
    Das Bundesgesundheitsministerium hat eine Rechtsverordnung zur Umsetzung des Präimplantationsdiagnostik-Gesetzes vorgelegt. Der Entwurf stößt nicht nur beim Behindertenbeauftragten der Bundesregierung auf Widerstand. Auch aus vielen Bundesländern, dem Deutschen Ethikrat und den Kirchen hagelt es Kritik.

    "Wir haben als evangelische Kirche Kritik an dieser Gesetzentwurfsverordnung, weil es ist in Problem, dass die Zahl der PID Zentren nicht begrenzet wird. Wir haben bisher rund 250 bis 400 Paare, die im Jahr auf so eine Möglichkeit zugehen und wir glauben, dass dies mit einem oder zwei oder drei Zentren zu machen ist. Hier gar keine Zahl anzugeben hieße, dass wir viel zu viele Orte haben, an denen dieses angeboten wird."
    Bernhard Felmberg, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik und der EU, macht aus seiner Ablehnung der Rechtsverordnung zur PID keinen Hehl. Die Verordnung soll regeln, unter welchen Voraussetzungen und an welchen lizenzierten Zentren der umstrittene Gencheck an Embryonen durchgeführt werden darf. Denn laut Gesetz dürfen nur Paare eine Präimplantationsdiagnostik vornehmen lassen, bei denen eine schwere Erbkrankheit diagnostiziert ist oder eine Tot- und Fehlgeburt befürchtet wird.

    Der evangelische Theologe Felmberg bemängelt auch, dass im Entwurf offenbleibt, was überhaupt unter "schwerer Erbkrankheit" zu verstehen ist:

    "Mehrere Zentren heißt, dass bei der fehlenden Konkretisierung, was unter schwerer Erbkrankheit zu verstehen ist, die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Ethikkommissionen unterschiedlich urteilen."

    Während ihre Befürworter die PID begrüßen als Möglichkeit auch genetisch vorbelasteter Eltern, ein gesundes Kind zu bekommen, ist sie ihren Gegnern geradezu ein Fluch. Sie beklagen, dass der Mensch mithilfe der PID Selektion betreibe: Denn nur ein gesunder Embryo wird der Mutter eingepflanzt, der Embryo mit Gendefekt wird dagegen verworfen.

    Mit dem Rechtsverordnungsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums sehen die Kritiker einer Ausweitung der PID Tür und Tor geöffnet: So werde in Zukunft kaum zu kontrollieren sein, aus welchen Gründen eine PID durchgeführt werde.

    Anders als die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg hat Berlin zu weiten Teilen den Rechtsverordnungsentwurf Zustimmung signalisiert. Doch der christdemokratische Gesundheitssenator Mario Czaja sieht dennoch die Gefahr eines Ethikkommissionstourismus.

    "Die Rechtsverordnung sieht derzeitig vor, dass überall dort Ethikkommissionen einzurichten sind, wo sich PID Zentren befinden. Das würde bedeuten, dass wenn eine Mutter in Berlin wohnt und der Vater in Sachsen, dass er sich zunächst an ein PID Zentrum in Berlin wendet, wenn die hiesige Ethikkommission eine Ablehnung dieser Diagnostik durchführt, dass dann immer noch ein weitere Gang nach Dresden möglich wäre oder auch an einen anderen Ort, wo möglicherweise erneut nachgefragt wird, ob diese Diagnostik durchgeführt werden könnte."

    Czaja fordert deshalb, eine Abstimmung unter verschiedenen Ethikkommissionen herbeizuführen.
    Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestags, die Sozialdemokratin Carola Reimann, fordert noch weitere Nachbesserungen: Das ist umso überraschender, als Reimann zusammen mit dem Christdemokraten Peter Hinze und der FDP-Politikerin Ulrike Flach für den liberalen Gesetzentwurf gekämpft hat, der schließlich im Deutschen Bundestag im Juli 2011 die Mehrheit erhielt. Dennoch:

    "Ich kann die Kritik an der Verordnung verstehen. Wir haben immer sehr klar gesagt, dass es nur wenige Zentren geben soll. Meiner Ansicht nach würde ein einziges Zentrum reichen."

    Andernfalls werde die Intention des Gesetzes umgekehrt. Warum der Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums so viele Fragen offen lässt, darüber will Reimann nicht spekulieren. Doch sie kann nachvollziehen, was der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Hubert Hüppe, ausführt: Hüppe vermutet hinter der Uneindeutigkeit ein Kalkül des Gesundheitsministeriums.

    "Diese Verordnung würde bedeuten, dass wir faktisch gesehen eine fast völlige Freigabe der PID hätten, die überhaupt nicht kontrollierbar ist"

    Mahnt Hüppe. Er befürchtet, dass bei Inkrafttreten der Rechtsverordnung in der vorliegenden Form den Reproduktionsmedizinern ermöglicht werde, einen neuen, lukrativen Markt zu schaffen.

    Erfahrungen aus dem Ausland scheinen ihm recht zu geben: So wurden in den USA laut einer Umfrage aus dem Jahr 2006 bereits damals bis zu zehn Prozent der Untersuchungen ausschließlich zur Geschlechtsbestimmung des Babys durchgeführt.

    Bernhard Felberg von der EKD sieht ähnliche Gefahren.

    "Da wir in den Ethikkommissionen, so ist jedenfalls der Gesetzesvorschlag von Herrn Bahr, 50 Prozent Mediziner haben und 50 Prozent aus anderen Fakultäten, haben die Mediziner, die auch Reproduktionsmediziner sein könnten, immer die Möglichkeit deutlich zu votieren in einem sehr offenen Sinne. Die Ethikkommissionen sind ja auch angebunden, so ist auch das Beispiel in der Gesetzesverordnung von Herrn Bahr, an den humangenetischen Zentren. Das heißt, die Ethikkommissionen treffen sich dort, wo Reproduktion hergestellt wird. Das ist für uns kein Ort, der einen sehr neutralen Eindruck macht."

    Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Christiane Woopen hat unterdessen ganz andere Vorbehalte gegen die Rechtsverordnung. Bei der Durchführung der PID gewinnen Ärzte auch Erkenntnisse, die mit den eigentlichen Gendefekten, nach denen gesucht wird, nichts zu tun haben. Solche "Nebenbefunde", so die Humangenetikerin, führten zu ganz eigenen Problemen:

    "Es kann zum Beispiel vorkommen, dass man nach einer bestimmten schweren Grunderkrankung sucht und dabei zufällig eine Trisomie 21 zusätzlich entdeckt. Die Grunderkrankung liegt dann gar nicht vor, aber man weiß, dass das Kind eine Trisomie 21 haben wird. Wenn man die dann der Frau verschweigt, und so sieht der Verordnungsentwurf es im Moment vor, dann kann die Situation entstehen, dass sie genau dieselben Befunde nachher bei der vorgeburtlichen Untersuchung während einer Schwangerschaft erhebt und dann einen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen kann. Und das ist eine Situation, die ich unzumutbar finde für die schwangere Frau."

    Derzeit befindet sich der Verordnungsentwurf im Abstimmungsverfahren. Die Stellungnahmen der Länder und der Anhörung würden ausgewertet werden, heißt es knapp aus dem Bundesgesundheitsministerium. Inhaltlich will man sich darüber hinaus nicht äußern.