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Kritik an Hamburger Flüchtlingsunterkunft
"Es dient allein der Abschreckung"

Nächtliche Abschiebungen, Zimmer ohne Fenster, permanenter Stress: Geflüchtete und Beratungsstellen schildern die Zustände in der Erstaufnahme in Hamburg-Rahlstedt als unhaltbar. Die Behörden wiegeln ab - und verwehren den Zutritt.

Von Axel Schröder | 11.11.2019
Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung Hamburg
Wer kaum eine Bleibeperspektive hat, bleibt bis zu sechs Monate in der Einrichtung (dpa / picture alliance / Markus Scholz)
Ihre richtigen Namen wollen die beiden nicht nennen. Arash und Shania stammen aus dem Iran. Das Ehepaar lebt seit einem Jahr in Hamburg. Hinter den beiden liegen auch die Monate in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung am Bargkoppelstieg in Hamburg-Rahlstedt:
"Das Schlimmste ist die Ungewissheit. Nachts, wenn ab zehn Uhr das Licht ausgemacht wird, wenn es dunkel wird, kommen bis zu 20 Polizisten. Sie suchen nur eine Person, schauen aber oft auch in die anderen Räume", so Arash.
Drei, vier, fünfmal pro Woche, immer nachts, fänden die Abschiebungen statt. Die Bundespolizisten kämen dann mit ihren Taschenlampen. Und wenn sie nicht sofort den finden, den sie suchen, würden sie in allen Räumen suchen, den Menschen im Halbschlaf ins Gesicht leuchten.
Kein Zutritt für Journalisten
"Einmal war meine Frau Krankenhaus, als sie kamen. Dann hieß es: Bleiben Sie ruhig liegen, bewegen Sie sich nicht! Aber ich habe gezittert, hatte Angst, dass sie jetzt mich mitnehmen."
Nach Angaben der Hamburger Innenbehörde wurden die Belegungszahlen am Bargkoppelstieg in den letzten zwei Jahren auf heute 468 Menschen verdoppelt. Der Großteil der Bewohner habe schon einen ersten und zwar negativen Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bekommen. Wer kaum eine Bleibeperspektive hat, bleibt bis zu sechs Monate in der Einrichtung. Alle anderen werden auf dezentrale Folgeunterkünfte verteilt.
Journalisten haben im Bargkoppelstieg keinen Zutritt. Ein Interview zu der Einrichtung lehnt der Behördensprecher ab. Immerhin gebe es keine Beschwerden der Bewohnerschaft.
Schlaflose Nächte
Die Bewohner leben in einer riesigen Halle, unterteilt in so genannte Compartments: durch dünne Wände abgetrennte Räume, mit zwei, vier, sechs, acht, bis zu 16 Personen. Eine Decke gibt es nicht. Aus Brandschutzgründen, heißt es. Aber dadurch sei es fast unmöglich, Schlaf zu finden, sagt Arashs Frau Shania.
"Privatsphäre gibt es dort nicht. Man hört die Kinder schreien, man hört, wie die Eltern mit ihren Kindern umgehen. Man bekommt mit, dass die Eltern Sex haben, egal, ob ihre Kinder dabei sind oder nicht. Den Streit der Nachbarn erlebt man mit. Das ist schlimm. Und dabei sehnt man sich nach Ruhe bei dem ganzen Stress, den man selbst hat."
Ab und zu hätte sie mit ansehen müssen, wie Kinder geschlagen wurden, hätte bei der Security Bescheid gesagt. Passiert sei nichts.
Permanenter Stress trotz Basteln und Musiktherapie
Seit einem halben Jahr leben Arash und Shania in einer Folgeunterkunft in Hamburg-Eimsbüttel. In einer Drei-Zimmer-Wohnung mit zwei anderen Familien. Auch das städtische Unternehmen "Fördern und Wohnen", die Betreiberin der Zentralen Erstaufnahme am Bargkoppelstieg lehnt ein Interview ab.
Dort verweist man auf die vielen Angebote, die den dort Untergebrachten gemacht werden. Es gebe regelmäßige Sprechstunden von Ärzten und Psychologen, Gitarrenunterricht, Breakdance und Musiktherapie für Kinder und Jugendliche, Fußballtraining für Erwachsene, dazu Bastel- und Schneiderei-Kurse.
Für Heiko Habbe von der kirchlichen Rechtsberatungsstelle "Fluchtpunkt" ist die Unterbringung der Menschen am Bargkoppelstieg trotz dieser Angebote nicht zumutbar:
"Das Problem ist, dass diese Unterbringung nie dafür ausgelegt war, dass Menschen dort länger wohnen. Und das sie auch nicht dafür geeignet ist, dass Menschen dort länger wohnen. Die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, die fehlende Abgeschlossenheit, das führt alles dazu, dass die Leute unter einem ungeheuren Stress stehen. Im Grunde genommen macht diese Unterkunft die Leute krank!"
"Es macht Menschen psychisch kaputt"
Das belegen die Interviews, die die Rechtsberater mit den Bewohnern am Bargkoppelstieg geführt haben. Fast alle berichten vom täglichen Stress, von der Anspannung, dem Lärm, der fehlenden Privatsphäre. Und von den nächtlichen Besuchen der Abschiebeteams der Bundespolizei. Letztendlich sei die Zentrale Erstaufnahme in Hamburg-Rahlstedt ein so genanntes "Ankerzentrum", auch wenn der Hamburger Senat diese Bezeichnung ablehnt, erklärt Franz Forsmann vom Flüchtlingsrat der Stadt:
"Man nennt es nicht 'Ankerzentrum', aber letztendlich ist es sowas. Es isoliert Menschen. Es macht Menschen psychisch kaputt. Und es dient allein der Abschreckung der Menschen und nicht dem Willkommen von Menschen."
Franz Forsmann und Heiko Habbe von der Beratungsstelle "Fluchtpunkt" fordern deshalb, die Zentrale Erstaufnahme in Hamburg-Rahlstedt zu schließen. Und vor allem auf nächtliche Abschiebungen zu verzichten, bei denen alle Bewohner die Angst hätten: Vielleicht werde jetzt auch ich abgeholt.