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Kritik an Kulturberichterstattung
Jetzt sind die Frauen #dichterdran

Die meisten Rezensionen schreiben Männer über Männer. Und wenn es dann doch mal um weibliche Künstlerinnen geht, ist ihr Aussehen manchmal ebenso Thema wie ihr Werk. Auf Twitter schlagen Autorinnen jetzt zurück. Wie sie Geschlechterrollen persiflieren, beschreibt Samira El Ouassil in ihrer Glosse.

Von Samira El Ouassil | 15.08.2019
dpatopbilder - 08.05.2019, Berlin: Die Schriftstellerin Sibylle Berg (M) und Schauspielerin Katje Riemann (r) lesen während der Digitalkonferenz "re:publica" aus dem Roman "GRM: Brainfuck" von Sibylle Berg. Links sitzt Moderatorin Nora Wohlfeil.
Rezensenten ist das Aussehen einer Autorin oft wichtiger als ihr Buch (dpa/ Maximilian Schönherr )
"Wie ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen", so beschreibt der Schweizer Literaturkritiker Martin Ebel die 28-jährige Autorin Sally Rooney, bei seinem Versuch, über ihr mit Preisen überhäuftes Buch "Gespräche mit Freunden" zu schreiben. Frauen sind ja wirklich so einiges gewohnt, wenn es darum geht, wie ihre Arbeit und ihr Wirken beschrieben werden.
Vor allem sind sie es aber gewohnt, dass Mann mehr über ihr Aussehen als über ihre Arbeit schreibt. Man wartet ja geradezu darauf, dass jemand Sibylle Berg als anmutigen Fuchs mit Katzenblick bezeichnet. Obwohl, eigentlich nicht: Es gibt ja tatsächlich Literaturkritiker, die sie nur "die Rotblonde" nennen.
Gegenwehr auf Twitter
Entgegen aller stereotypischen Klischees der Humorlosigkeit, die uns gerne zugeschrieben werden, reagierten jetzt drei Frauen mit gelassener Ironie auf diese postpubertäre Betörtheitsprosa. So fingen die Journalistin Nadia Brügger, die Schriftstellerin Simone Meier und die Regisseurin Güzin Kar damit an, solche stillosen Blüten auf Twitter zu karikieren.
Sie machten sich einen Spaß daraus, die Manierismen, die immer wieder in Texten über Frauen zu finden sind, auf vergnügliche Weise umzudrehen und sie auf Männer anzuwenden: das "rehäugig", das "keck", das "verspielt", das "oh, erstaunlich jugendlich für ihr Alter", das "erstaunlich schlank dafür, dass Sie eine Mutter sind" - all diese kleinen und großen Frauenfeindlichkeiten und Oberflächlichkeiten eben, die viel über unsere Gesellschaft aussagen und nichts über die Werke der Autorinnen.
Immer noch Ungleichbetrachtung von Autorinnen und Autoren
Dabei sind etliche Texte entstanden, die durch getauschte Geschlechterrollen sexistische Klischees persiflieren. Verschlagwortet wurden sie unter dem Hashtag #dichterdran, der daraufhin auf Twitter trendete. Diese Miniaturen zeigen so spöttisch wie erhellend die nach wie vor bestehende Ungleichbetrachtung von Autorinnen und Autoren.
Dichterdran-Initiatorin Güzin Kar karikierte ein archetypisches Interview: "Sie sehen blendend aus für Ihr Alter, Chapeau! Verraten Sie uns Ihre drei Must-Have-Körperpflege-Produkte, Frank Schätzing?"
Der Male Gaze, auf Deutsch der männliche Schleier, also der männliche Blick, wird gelüftet, sobald man ihn auf männliche Protagonisten anwendet, statt auf weibliche. Und es macht so eine Freude, Houellebecq eine "verwuschelte Unschuld" zu attestieren oder Thomas Mann "den betörenden Charme einer jungen Mutter".
Karasek als "wahrscheinlich ziemlich verletzlicher Mann"
So klingt es beispielsweise noch lächerlicher, wenn man in dem ohnehin schon sehr wilden Text über Laura Karasek, der vor zwei Wochen in der "FAS" erschien, aus Laura einen Lars macht:
"Das Gesicht mit dem Näschen, dem gepflegten Mund, hätte beinahe etwas Puppenhaftes, wären da nicht diese Augen. Überhaupt scheint Lars Karasek viele Gegensätze in sich zu vereinigen. Er sieht aus wie ein Junge, ist aber gerade 37 geworden und verheirateter Vater vierjähriger Zwillinge. Hoffentlich hat dieser arglose, kommunikative, wahrscheinlich ziemlich verletzliche Mann Glück mit dieser Sendung. Hoffentlich stellt er gute Fragen. Und redet nicht fortwährend."
Zwei Drittel der Literaturkritiker sind männlich
Hier wird mit wenigen Zeichen ein Rollenspiel betrieben, das sich mit dem Begriff Gender Swap fassen lässt, also mit der kulturellen Praxis des Geschlechtertauschs, der im Netz und in sozialen Netzwerken vielerlei Formen angenommen hat. Sobald ein Mann inszeniert, porträtiert oder beschrieben wird wie eine Frau, wird sichtbar, dass wir alltäglich und wie selbstverständlich hinnehmen, dass für Frauen andere Standards in der Beschreibung gelten. Frauen sind kindliche Tiere und mystische Wesen, aber um Gottes Willen keine Schriftstellerinnen, nein, das allerhöchstens nur als Hobby, vielleicht neben der Mutterschaft.
Zwei Drittel der Literaturkritiker sind männlich. Und von allen Rezensionen, die männliche Kritiker verfassen, sind drei Viertel zu Texten von Männern. Das heißt, nicht nur sind Frauen unterrepräsentiert, sie werden hauptsächlich von Männern beschrieben, was ja an und für sich nicht schlimm wäre, wenn die Kritiker die Autorinnen eben nicht beschreiben würden wie verlorene Kindsfrauen aus dem 19. Jahrhundert.
Ganz unter uns: Wenn in den Porträts Schriftstellerinnen nicht betrachtet werden wie ein Mensch, der ein Buch geschrieben hat, sondern wie ein aufgescheuchtes Säugetier mit Kussmund, dann hatte der männliche Betrachter offenbar nicht nur zu viel Dichterdrang, sondern wollte vielleicht auch ein bisschen dichter ran.