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Kritik an Plänen einer Unterschriftenaktion gegen EU-Beitritt der Türkei

Hans-Joachim Wiese: Und am Telefon begrüße ich jetzt den Grünen Europaabgeordneten Cem Özdemir. Herr Özdemir, eine Unterschriftensammlung gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei, um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, der Regierung ihre große Besorgnis mitzuteilen, wie der CSU-Politiker Michael Glos sagt. Was halten Sie von solch einer Aktion?

Moderation: Hans-Joachim Wiese |
    Özdemir: Also, erst mal ist es nicht illegitim, das Volk zu fragen. Aber die Union ist in dem Zusammenhang ja nicht ganz unbelastet, wenn Sie an die Unterschriftenaktion des Herrn Koch in Hessen denken gegen das Geburtsrecht für hier geborene Menschen nichtdeutscher Herkunft. Was dann ja in der Realität zu einer Unterschriftenaktion gegen Integration, gegen Türken, gegen das Zusammenleben wurde. Die Gefahr ist sehr groß, dass es sehr schnell zu einem Votum gegen das Zusammenleben werden kann. Ich kann an die Union nur appellieren, dass sie nicht einen künstlichen Kampf der Kulturen nach Deutschland trägt. Das ist das Letzte, was wir in Deutschland brauchen. Wir brauchen mehr Integration, mehr Verständnis auf beiden Seiten, nicht mehr Konfrontation. Solche Äußerungen tragen dazu bei, dass wir eine Zuspitzung in der Gesellschaft brauchen, die uns allen nicht gut tut.

    Wiese: Nun meinte Ihre Parteifreundin und Grünenchefin Claudia Roth, Zitat, die Unterschriftensammlung sei ein abscheuliches Zeichen für die Verkommenheit der politischen Kultur in der Union, Zitatende. Sie haben die Union gerade auch schon kritisiert, Herr Özdemir, warum aber diese Aufgeregtheit? In der Bevölkerung sind die Vorbehalte gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei doch tatsächlich sehr groß.

    Özdemir: Also es gibt sicherlich eine Aufgabe für rot-grün und die heißt, dass wir die Bevölkerung mit politischen und nicht mit populistischen Argumenten überzeugen. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass uns das gelingen kann. Wenn wir daran erinnern, dass wir hier eine Politik fortführen, die unter Adenauer, unter dem ehemaligen Kanzler, unter Hallstein, dem ehemaligen ersten Präsidenten der Europäischen Kommission, dann später unter Helmut Kohl und jetzt eben unter rot-grün fortgesetzt wird. Und diese Politik heißt, es liegt im europäischen Interesse, die Türkei nicht Richtung Fundamentalismus abgleiten zu lassen, sondern in die europäische Völkerfamilie zu holen mit einer vollen Demokratie, mit Gleichberechtigung für Mann und Frau, mit Minderheitsrechten et cetera. Diese Politik ist in Deutschland mit Sicherheit mehrheitsfähig. Wenn man eines erklärt. Es geht nicht um den Beitritt der Türkei heute, sondern es geht um den Beginn von sehr sehr schwierigen kritischen Verhandlungen. Denken Sie daran, dass wir 31 Kapitel abzuarbeiten haben. Wenn alle diese Kapitel mit einem Haken versehen werden können, nur dann und zwar ausschließlich dann, kann die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden. Ich kann nicht sehen, was aus Unionssicht dagegen sprechen soll. Ich haben das Gefühl, da geht es ein bisschen auch um eine Aufgeregtheit bei der Union im Vorfeld der Frage der Kanzlerkandidatur. Vielleicht muss man den Kollegen bei der Union helfen, von den Bäumen wieder runter zu kommen.

    Wiese: Geht diese Integration der Türkei in den, ich sage mal, westlichen Kulturkreis aber tatsächlich nur mit der Vollmitgliedschaft oder nicht auch mit der so genannten privilegierten Partnerschaft wie sie CDU-Chefin Merkel vorschlägt? Was ist dagegen einzuwenden, wenn man in Rechnung stellt, dass die Türkei doch tatsächlich einem anderen Kulturkreis angehört?

    Özdemir: Also man sieht es der Frau Merkel ja schon geradezu an, dass sie sich selber nicht ganz wohl fühlt, wenn sie das sagt, da ist sie einfach zu intelligent dafür. Die privilegierte Partnerschaft hat die Türkei bereits. Die hat sie bekommen unter langen Unionsregierungen, denken Sie an die Nato-Mitgliedschaft, denken Sie daran, dass die Türkei im Europarat ist, denken Sie an die Zollunion, denken Sie an viele viele andere europäische Abmachungen, wo die Türkei dazu gehört. Das wissen die Unionskollegen selber, wenn man mit ihnen unter vier Augen spricht, sagen sie einem auch was anderes, als das, was sie öffentlich verkündigen. Ich garantiere Ihnen, sollte die Union nicht bei der nächsten Wahl, da wird sie es nicht schaffen mit der Außenpolitik, aber sollte die Union eines fernen Tages wieder in der Bundesregierung sein und die Außenpolitik mitbestimmen, dann wird sie nichts anderes machen, wie das was rot-grün macht. Warum? Weil es nicht im Interesse von rot-grün liegt, sondern im deutschen und im europäischen Interesse liegt, dass die Türkei nicht wie Saudi Arabien wird.

    Wiese: Herr Özdemir, innerhalb der EU sind zwar die meisten Regierungen für den Beitritt der Türkei, für die Bevölkerung gilt das aber keineswegs. Wir haben es ja eben ein wenig für die deutsche Bevölkerung besprochen. In Frankreich etwa ist eine Mehrheit gegen den Beitritt, weshalb Staatspräsident Chirac eine Volksbefragung für den Türkeibeitritt ermöglichen will. Wäre das auch eine Möglichkeit für Deutschland?

    Özdemir: Ich habe nichts gegen Volksbefragungen im Gegenteil, ich war selber an einem Gesetzentwurf beteiligt, als ich im Bundestag war, rot-grün wird das erneut machen und da sind wir sehr gespannt, wie die Union sich verhalten wird. Nur, was nicht geht, ist, wenn die FDP oder die CDU gerade ein Thema haben, außer mit eigenem Streit in die Öffentlichkeit zu kommen, dass die dann immer mal wieder ein Referendum ins Gespräch bringen über eine bestimmte Frage. Wenn, dann bitte schön eine saubere Lösung. Dann ändern wir die Verfassung, ermöglichen Referenden auf Bundes- auf Landes- wie auf europäischer Ebene. Meine Meinung ist, Landesthemen landesweit abstimmen, europäische Themen europaweit abstimmen und Bundesthemen bundesweit abstimmen. Die Frage Türkei ist eine europäische Frage und hier könnte man sich vorstellen eine europaweites Referendum in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union gleichzeitig zu machen, da soll uns die Union gerne dabei helfen.

    Wiese: Aber zumindest unter heutigen Bedingungen würde der EU-Beitritt der Türkei dann doch wohl abgelehnt werden und dann, was hieße das dann?

    Özdemir: Also die Franzosen haben Anfang der Siebziger Jahre über die Briten abgestimmt. Das ist für Franzosen viel schwieriger als über die Türkei abzustimmen und haben mehrheitlich ja gesagt. Ich bin da recht zuversichtlich, was die Bevölkerung angeht. Ich weiß, dass es große Ängste gibt. Aber das sind alles keine Ängste, die man nicht überwinden kann, die man nicht erklären kann. Und wir haben da übrigens auch viele Bündnispartner in der Union, wenn Sie die aufgeregten Stimmen mal beiseite lassen auf Herrn Biedenkopf hören, auf Ole von Beust, auf Herrn Rühe, aber jetzt auch aktuell Herrn Bruck und Herrn Flüge und viele andere in der Union, die sich ja mit dem Thema auskennen. Die kommen alle zu einem anderen Ergebnis. Die hätten wir als Bündnispartner und gemeinsam, bin ich mir sicher, dass wir die Menschen davon überzeugen können, dass eine Türkei, die so werden möchte wie Deutschland ein Gewinn für Europa und keine Gefahr für Europa ist. Alles andere wäre eine riesige Gefahr. Gerade angesichts der Herausforderungen des internationalen Terrorismus müssen wir doch froh darüber sein, wenn wir mit der Türkei einen Partner gewinnen im Kampf gegen Fundamentalismus. Wir brauchen doch nicht mehr Fundamentalismus in der Welt sondern weniger Fundamentalismus. Also noch mal mein Appell an die Union, runter von den Bäumen, Politik machen gemeinsam mit uns, bessere Konzepte erstellen, da kann man sicher darüber streiten. Aber was uns nicht hilft, ist, wenn man einen Kampf der Kulturen in Deutschland loszettelt.

    Wiese: Das war der Grüne Europaparlamentarier Cem Özdemir in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk. Schönen Dank.