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Kritik aus den USA

Noltze: Was meint Rumsfeld, wenn er vom Alten Europa spricht? und wie kommt es, daß manche Poltiker das offenbar als Beleidigung verstehen?

Friedrich Mielke im Gespräch |
    Mielke: Nein, ich kann nicht verstehen, dass das eine Beleidigung ist. Herr Rumsfeld hat insofern ein Problem, als dass er gerne die UNO-Resolution hätte. Da sind die Deutschen uninteressant. Sie haben keine Vetorecht. Aber die Franzosen haben ein Vetorecht. Er hätte gerne, dass die Franzosen der Resolution zustimmen. Wenn sie das nicht tun, hat er ein Problem. Dann muss er entscheiden, ob er unilateral gegen Saddam Hussein vorgeht oder ob er weiter versucht, die Vereinten Nationen mit einzubinden.

    Noltze: Lassen Sie uns jetzt doch mal versuchen, das Ganze auf die kulturelle Schiene zu bringen. Es war ja bisher immer sicher und gewiss, dass das alte Europa auch ein zentraler Teil der neuen Welt Amerikas ist. Hat sich da irgendetwas geändert?

    Mielke: Ja, das ist der wichtige transatlantische Kulturgegensatz, der schon mit der George W. Bush-Regierung offen wird. Man guckt auf die eine und auf die andere Seite des Atlantiks und stellt nun fest, dass es in der Gemeinsamkeit kulturelle Lücken gibt. Das klassische Beispiel ist die Todesstrafe. Auch Abtreibung ist ein gutes Beispiel, aber das nur hier am Rande. Die Todesstrafe ist von den Europäern abgeschafft worden, in den Vereinigten Staaten besteht sie aber noch. Da hat der französische Außenminister mal wirklich beleidigt, indem er George W. Bush einen Serienmörder genannt hat. Und schon haben wir die große transatlantische Kulturlücke.

    Noltze: Wird womöglich mit so einem neuen Kampfwort vom alten Europa eine ideologische Gegenposition zum altbekannten Anti-Amerikanismus geschmiedet?

    Mielke: Ja sicher, aber wir haben auch einen Anti-Europäismus auf der anderen Seite des Atlantiks. Dieser Artikel 'Schwäche und Macht', 'Power and Weakness' von Kagan im Sommer hat dort eine Debatte ausgelöst. Da sind auch viele in Washington, Neorealisten oder auch Neoimperialisten und andere, die mit Europa nichts mehr zu tun haben wollen, weil sich die Europäer ausgeklinkt haben. So kommt es zu einem Kulturbruch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten.

    Noltze: Wir sagen immer USA oder Amerika. Wie sehr meinen wir eigentlich George W. Bush und die Leute, für die er steht?

    Mielke: Wir meinen George W. Bush und die Leute, für die er steht. Das ist eine Weltanschauung, die zutiefst im amerikanischen christlichen Fundamentalismus verankert ist. Das ist hier der Punkt. Rumsfeld möchte gerne die UNO dabei haben. Wenn er unilateral hineingeht, greift er Saddam Hussein an. Das ist ein Völkerrechtsbruch. Da kann er es rechtfertigen, in dem das Gute gegen das Böse kämpft. Da haben wir den kulturellen Gegensatz. Die George Bush-Regierung ist in dem christlichen Fundamentalismus verankert, der sehr stark wirkt. Da hat es vor wenigen Tagen ein Buch vom ehemaligen Redensschreiber von Bush gegeben. Der sagt, das Weiße Haus sei in der Hand von christlichen Fundamentalisten. Das mag ein wenig verzerrt sein. Wichtig ist, dass dann Rumsfeld, Bush und die Falken argumentieren können, dass sie die Guten seien und dass sie einen Kampf gegen das Böse führten. Sie würden sagen, dass Saddam Hussein ein Böser sei, genau wie Hitler, Stalin und andere auch. Dann kann er es rechtfertigen.

    Noltze: Wir alten Europäer, das ist dann das Problem, tun uns mit der Begrifflichkeit vom Bösen schwer.

    Mielke: Das ist sehr richtig. Das Gute und das Böse ist verankert in der amerikanischen Weltanschauung. Ich verweise da sehr gerne auf den großen Roman von Herman Melville 'Moby Dick'. Der Kapitän Ahab steht dort und kämpft gegen den weißen Wal. Das kann man auch interpretieren. Die Vereinigten Staaten oder der Kapitän sind auf der Jagd nach dem Bösen. Wer auch immer dann den weißen Wal repräsentiert. Heute wäre es ein angebrachtes Bild, würde ich sagen, den Kapitän Ahab zu sehen, wie er gegen den weißen Wal kämpft. Das wäre dann heute Saddam Hussein.

    Noltze: Das geht aber nicht gut aus. Haben die Amerikaner das Buch nicht gelesen?

    Mielke: Das Monomanische dieses Kapitäns ist die Jagd des Guten nach dem Bösen und daran sieht man eben das Überbeanspruchen des Imperiums USA und die Gefahr des Scheiterns.

    Noltze: Was wäre denn aus amerikanischer Sicht das nicht alte Europa? Wird man vielleicht stärker auf den europäischen Osten statt auf den Westen setzen?

    Mielke: Genau das ist der Punk, die NATO-Osterweiterung. Diese neuen sozialistischen Länder, die nun in der NATO Mitglied sind, drei haben wir schon und neun neue kommen dann hinzu, haben ganz enge Verbindungen mit den Vereinigten Staaten. Das ist eben das neue Europa, wie Herr Rumsfeld das beschreibt. Damit verärgert er natürlich einige hier. Aber was er nicht meint, ist das traditionelle alte Europa im Sinne von europäischer Kultur und Geschichte.

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