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Kritische Journalisten in der Türkei
Der Druck wächst

Deniz Yücel war der prominenteste deutsche Gefangene in der Türkei - doch Dutzende andere Journalisten bleiben in Haft. Und Entspannung ist nicht zu erwarten. Die Situation scheint sich nach den Wahlen erst einmal weiter zu verschlechtern.

Von Elmas Topcu | 28.06.2018
    In einem Auto ist ein Plakat mit der Aufschrift "#FreeThemAll" und "FreeTurkeyMedia" an einem Auto zu sehen.
    "#FreeThemAll" und "FreeTurkeyMedia" - aktuell ist beides nicht zu erwarten (picture alliance / Bodo Marks / dpa)
    "Wer ist Adil Demirci? Adil Demirci ist 33 Jahre alt, Kölner, Journalist, Sozialwissenschaftler. Er wird von uns, von seinen Freunden, von seiner Familie vermisst."
    Der Wallraffplatz im Kölner Zentrum. Zum zehnten Mal veranstalten die Freunde von Adil Demirci eine Solidaritätsdemo. Sie halten Fotos von dem verhafteten Journalisten hoch, lesen Briefe aus dem Gefängnis vor, sprechen die Passanten an, sammeln Unterschriften für seine Freilassung.
    "Ich bin die Freundin seiner Mutter. Ich kenne Adil Demirci, seitdem er 13 Jahre alt ist." Naciye Alpay von der Initiative Freiheit für Adil Demirci und alle inhaftierten Journalisten in der Türkei: "Ich habe die erste Woche mitbekommen, dann haben wir uns sofort zusammen hingesetzt. Die erste Reaktion war, wir müssen sofort an die Öffentlichkeit. Adil ist als Symbol für alle politischen Gefangenen in der Türkei und natürlich der Journalisten. Wir sagen hier: Journalismus ist kein Verbrechen."
    Vorwurf der Terrorpropaganda
    Die türkische Regierung und Justiz sehen das anders. Für sie sind die verhafteten Journalisten keine Journalisten, sondern Sympathisanten, Anhänger oder Mitglieder der Gülen-Bewegung, der PKK oder anderen Organisationen. Auch dem Kölner Journalisten Adil Demirci wird Ähnliches vorgeworfen.
    Sein Anwalt Roland Meister: "Adil Demirci wird nach Kenntnis der Unterlagen, die wir aus der Türkei bekommen haben, vorgeworfen, die Propaganda für eine terroristische Organisation, auch die Unterstützung einer terroristischen Organisation. Konkret wird ihm vorgeworfen, für MLKP, Marxist-Leninistische Kommunistische Partei Türkei Kurdistan, tätig zu sein. Ausgangspunkt sind Artikel, die er für Nachrichtenagentur Etha geschrieben hat. Insbesondere über die Menschen, die bei der Verteidigung von Kobane gegen IS gefallen sind."
    Nach der Verhaftung in Untersuchungshaft
    Aus demselben Grund sitzt auch die deutschtürkische Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu in der Türkei fest. Die Ulmerin ist zwar inzwischen auf freiem Fuß, darf das Land aber nicht verlassen.
    Seit dem Putschversuch im Juli 2016 wurden in der Türkei rund 150 Medien geschlossen, tausende Journalisten sind arbeitslos, mehr als 150 Journalisten sitzen derzeit in Haft.
    Anne Renzenbrink von Reporter ohne Grenzen: "Die häufigsten Gründe für die Verhaftung von Journalisten sind im Prinzip Terrorpropaganda, aber auch Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, Beleidigung des Präsidenten. Aber im Prinzip sind es einfach die Gründe die eine Willkürjustiz benutzt, die kritischen Journalisten mundtot zu machen und sie zu inhaftieren. Es reicht die Arbeit für eine 'verdächtige Redaktion' oder der Kontakt zu einer heiklen Quelle oder einfach die Nutzung eines Messengerdienstes. Das reicht im Prinzip aus, um Journalisten wegen Terrorismusvorwürfen zu inhaftieren in der Türkei."
    Der Verhaftung folgen meistens eine lange, manchmal jahrelange Untersuchungshaft und ein unfaires Verfahren. Im Februar wurden zum Beispiel Nazli Ilicak, Ahmet und Mehmet Altan, drei prominente Journalisten und Schriftsteller, zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wegen Beteiligung am Putschversuch. Sie sollen einen Tag vor dem Putschversuch im Juli 2016 in einer Talkshow rhetorisch verdeckte Geheimbotschaften ausgesprochen haben, die den Putsch ankündigten. Gestern hat ein Berufungsgericht die Freilassung von Mehmet Altan angeordnet, weil die monatelange Untersuchungshaft seine Rechte verletzte. Dennoch ist eine allgemeine Entspannung der Lage nicht zu erwarten.
    Keine guten Aussichten
    Denn nach seiner Wiederwahl hat der türkische Staatspräsident Erdogan bekannt gegeben, die bisherige harte Linie fortzusetzen. Auch sein Bündnispartner, der Chef der ultranationalistischen Partei MHP Bahceli, sagt den Kampf gegen kritische Journalisten an. In einer Zeitungsanzeige veröffentlichte er am Dienstag die Namen von 70 Journalisten, die über ihn und seine Partei kritisch berichtet hatten.
    Anne Renzenbrink: "Es sind keine guten Aussichten. Leider wir glauben nicht, dass sich die Situation erstmal verbessern wird. Im Gegenteil, sie hat sich in den letzten zwei Jahren drastisch verschlechtert. Umso wichtiger ist es jetzt gerade, nachdem Deniz Yücel freigelassen wurde und wieder in Deutschland ist, dass man daran erinnert, dass diese beispiellose Verfolgung von kritischen Medien, dass die weitergeht, und dass wir nicht aufhören dürfen, dorthin zu schauen, darauf aufmerksam zu machen. Also der Druck auf Erdogan, auf die türkische Willkürjustiz, die dort ja wirklich herrscht, darf auf keinen Fall nachlassen, bis eben der Medienpluralismus wiederhergestellt ist, bis alle zu unrecht inhaftierten Journalisten freigelassen wurden."
    Auch die Freunde von Adil Demirci wollen weiterkämpfen, sich jeden Mittwoch am Wallraffplatz treffen und eine Mahnwache halten, bis der Kölner Journalist freigelassen wird.