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Kritische Journalisten nicht erwünscht

Der Fortschrittsbericht der Europäischen Union attestiert der Türkei eine eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit: Premier Recep Tayyip Erdogan und seine AKP kontrollieren zunehmend die Medien. Fast alle Zeitungen und Fernsehsender sind abhängig von Staatsaufträgen.

Von Gunnar Köhne, Istanbul | 13.10.2011
    Mit ihren langen schwarzen Haaren war sie 14 Jahre lang das Gesicht des Istanbuler Nachrichtenkanals NTV, ein Star des türkischen Fernsehjournalismus: unabhängig, kritisch, hartnäckig. Gedrängt haben sich die Politiker nicht, in Banu Güvens Sendung zu kommen – abzusagen konnten sie sich aber auch nicht erlauben. Die Absolventin der Deutschen Schule Istanbul hatte ihre Sendung zu einem Quotenerfolg geführt.
    Seit drei Monaten führt Güven keine kritischen Live-Interviews mehr. Sie hat bei NTV gekündigt, nachdem ihr vom Senderchef ein Interview mit der kurdischen Politikerin Leila Zana untersagt worden war. Es war mitten im Wahlkampf im vergangenen Juni: Güven, - hatte die medienscheue Zana zu einem Interview überredet:

    "Nicht alle wussten, glaube ich, dass Zana zu mir in die Sendung kommen sollte. Als es ein paar Tage vorher herauskam, hat man mir gesagt: Das geht nicht. So etwas Schlimmes war mir noch nie zuvor passiert."

    Wenige Tage vor dem Eklat hatte Ministerpräsident Erdogan in einer Wahlkampfrede Journalisten, die Kurdenpolitikern ein Forum böten, indirekt zu Terroristenhelfern erklärt. In einem wütenden offenen Brief beklagt Banu Güven die abnehmende Meinungs- und Pressefreiheit in ihrem Land. Die regierende AKP unter Tayyip Erdogan habe sich die Medien nach neun Jahren an der Regierung zum Untertan gemacht. Die einst mächtige Dogan-Mediengruppe, zu der unter anderen das Massenblatt "Hürriyet" gehört, war noch vor wenigen Jahren ein Gegenspieler der religiös-konservativen Regierungsmehrheit. Nach einem ruinösen Steuerstreit mit den Behörden will sich der Unternehmer Aydin Dogan aber nach und nach aus dem Mediengeschäft herausziehen. Der Fiskus forderte eine Steuernachzahlung in Höhe von 2,2 Milliarden Euro - dem dreieinhalbfachen des aktuellen Börsenwertes der Dogan-Gruppe. Ein Teil der Forderungen wurde später zwar fallen gelassen – doch Dogan hatte die Warnung verstanden. Die Zeitung "Milliyet" hat er bereits abgestoßen. Andere einflussreiche Zeitungen wurden gleich von einer Firma übernommen, in der Erdogans Schwiegersohn das Sagen hat. Nach Beobachtungen des Istanbuler Medienwissenschaftlers Haluk Sahin haben sich die Gewichte in der Branche deutlich verschoben. Die alten Medienkartelle sind auf dem Rückzug:

    "Das hat dazu geführt, dass die bislang dominierende, überwiegend sensationsgesteuerte, aber relativ unabhängige Presse, von regierungsfreundlichen, konservativen und weniger kritischen Medien abgelöst wurden."

    Reine Medienkonzerne gibt es in der Türkei nicht. Die Besitzer von Zeitungen und TV-Stationen sind meistens auch noch in anderen Branchen tätig, etwa im Bau- oder Energiebereich. Somit sind sie abhängig von Staatsaufträgen. Mit einer 50-Prozent-Partei will sich niemand von ihnen auf Dauer anlegen. Überdies wird Ministerpräsident Erdogan ein gestörtes Verhältnis zu Journalisten nachgesagt. Er wird als nachtragend gefürchtet. Banu Güven erinnert sich an die Diskussion um den Verkehrsminister nach einem schweren Zugunglück vor sieben Jahren. Seitdem breite sich immer mehr Angst aus:

    "Es gab eine Pressekonferenz. Und ein Reporter hat ihn gefragt, ob der Minister zurücktreten würde, und die Antwort des Ministerpräsidenten war: Von welcher Zeitung bist du? Und dann ging er weiter. Und man fühlt sich bedroht. Die Journalisten haben Angst davor, dass ihre Telefongespräche abgehört werden. Viele haben mich angerufen, aber viele sagten, das sollten wir jetzt nicht am Telefon besprechen. Wir sollten darüber reden, wenn wir uns mal treffen."

    Dass die Europäische Union in ihrem gestrigen Fortschrittsbericht dem Beitrittskandidaten Türkei erneut Defizite in der Presse- und Meinungsfreiheit attestiert, sehen kritische Journalisten wie Banu Güven als Ermutigung. Sie wollen sich nicht einschüchtern lassen – obgleich knapp 60 Kollegen von ihnen unter zum Teil haarsträubenden Anklagen in Haft sitzen. Ob Güven bald wieder auf dem Bildschirm zu sehen sein wird? Die 42-Jährige zuckt mit den Schultern:

    "Es gab ein paar Angebote. Aber glauben Sie nicht, dass es viele waren. Auch wenn die Chefs nicht direkt von der Regierung auf mich angesprochen worden sind, so kann man doch annehmen: Ich bin als Opposition, als kritische Journalistin nicht erwünscht.""