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Kritische Neu-Edition "Mein Kampf"
Das Buch umgibt "eine Aura des Gefährlichen"

Eine wissenschaftliche Ausgabe von "Mein Kampf" sei berechtigt, jedoch stelle sich die Frage nach dem öffentlichen Umgang damit, sagte der NS-Historiker und Hitler-Biograf Peter Longerich im DLF. "Mein Kampf" könnte im Nachhinein überhöht werden. Den ganzen Nationalsozialismus erkläre die wissenschaftliche Ausgabe nicht.

Peter Longerich im Gespräch mit Michael Köhler | 18.01.2016
    Der Historiker Peter Longerich stellt den seine Studie zu Antisemitismus in Berlin vor.
    Der Historiker Peter Longerich glaubt nicht, dass von der Neu-Edition "Mein Kampf" noch Gefahr ausgeht (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
    Michael Köhler: Wer vor Erscheinen bestellt hat, wird beliefert. Wer heute bestellt, kommt frühestens im März dran, nämlich die kommentierte Edition von Adolf Hitlers "Mein Kampf", eine kritische Edition des Münchner Instituts für Zeitgeschichte. Zwei Bände, 2000 Seiten, mehrere tausend Anmerkungen, alles für 59 Euro. Die Startauflage von 4000 Exemplaren reicht nicht, allein 15.000 Vorbestellungen liegen vor.
    Auf Platz eins "Das Geheime Leben der Bäume", Platz 20 Adolf Hitlers "Mein Kampf". Dazwischen gehet es um Glück und Gelassenheit, wie schon erwähnt. Das ist die "Spiegel"-Bestsellerliste Sachbuch. Grund für uns, mal den NS-Historiker und Hitler-Biografen Peter Longerich - Siedler Verlag, 1200 Seiten, gebundener Ladenpreis übrigens - zu fragen: Haben Sie mit diesem "Erfolg" gerechnet?
    Peter Longerich: Das war eigentlich abzusehen. Wenn man bei dem größten Internetanbieter vor Weihnachten sich die Nachfragezahlen angesehen hat, dann musste man damit rechnen, dass diese Edition tatsächlich gute Chancen hat - und jetzt ist es ja auch so -, in den Charts ganz nach vorne zu kommen.
    Köhler: Sie haben schon vor Jahreswende einen Beitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" geschrieben und Ihr Unbehagen geäußert. Sie sprachen von einer vermeintlichen Aura, nachträglicher Brisanz und Gefährlichkeit. Sie sprachen von dem merkwürdigen Umstand, dass man so was vielleicht mal in der Straßenbahn auf dem Knie liegen hat und liest, dass es Überlebende des Holocausts vielleicht mitbekommen. Bleiben Ihre Bedenken bestehen?
    "Kein Zweifel über eine wissenschaftliche Ausgabe"
    Longerich: Na ja. Zunächst mal muss ich sagen, dass ich absolut dafür bin, dass es jetzt eine wissenschaftliche Ausgabe von "Mein Kampf" gibt. Darüber will ich gar keinen Zweifel lassen. Nur die Frage ist natürlich, was mit dem öffentlichen Umgang mit diesem Buch geschehen wird, denn es ist ja diese Aura des Gefährlichen, des Geheimnisvollen um dieses Buch entstanden dadurch, dass ein Nachdruck nicht erscheinen durfte. Der bayerische Staat, der die Rechte verwaltet, hat dies bis zum letztmöglichen Termin, und das war der 31. 12. 2015, verhindert. So kommt es eben dazu, dass dieses ungeheure Interesse, diese Neugierde auf dieses Buch da ist, und andererseits hat dies wohl auch dazu geführt, dass die Editoren tatsächlich nicht nur einfach eine wissenschaftliche Ausgabe gemacht haben, sondern versucht haben, ein breites Publikum zu bedienen. Das ist ja ihr erklärtes Ziel, wo sie wirklich eine volkspädagogische Absicht verfolgt haben, und in gewisser Weise ist ihnen das ja jetzt gelungen, indem wir wissen, dass nach der ersten ausverkauften Auflage von 4.000 Exemplaren 15.000 weitere Vorbestellungen auf uns warten.
    "Dieses Buch erklärt nicht den ganzen Nationalsozialismus"
    Köhler: Bei eBay, habe ich heute mal nachgeguckt, werden Spitzenpreise von 399 Euro aufgerufen, was natürlich auch illegal ist, weil da eigentlich nicht weiter mit gehandelt werden soll. Das Institut für Zeitgeschichte ist so ein bisschen in einer Zwickmühle. Eine wissenschaftlich kommentierte Edition wird rasant nachgefragt, sie kommt mit dem Drucken nicht hinterher. Verknappung stiftet Bedeutung, kann man so sagen?
    Longerich: Na ja, das ist ein bisschen die Gefahr bei der Geschichte, dass, wenn man so etwas macht, man in eine Art von Teufelskreis geraten kann. Das heißt, man will natürlich versuchen, es möglichst gut zu machen, möglichst genau zu machen, möglichst ausführlich zu machen, und die Gefahr ist dabei, dass man diese Neugierde, die vorhanden ist und die durch das Buch selbst in keiner Weise gedeckt ist - das ist kein Buch eigentlich, was eine große Sensation oder eine große Neugierde verdienen würde -, dass man so das Buch "Mein Kampf" in seiner Bedeutung überhöht im Nachhinein, es sozusagen neben die ganz großen Titel der Weltliteratur stellt, was natürlich völlig absurd wäre. Man muss sich auch Fragen bei der ganzen Geschichte, oder das frage ich mich als Historiker: Wie wichtig war dieses Buch eigentlich? Und es ist einfach so, dass man nicht sagen kann, dass dieses Buch nun den ganzen Nationalsozialismus erklären würde. Der Nationalsozialismus und Hitler hat ja nicht in erster Linie durch geschriebene Texte gewirkt, sondern durch das gesprochene Wort, durch Propaganda.
    Insofern würde man auch fehlgehen, wenn man glauben würde, dass man jetzt, wenn man dieses Buch liest und die 3500 Anmerkungen dazu noch liest, dass das sozusagen der richtige und geeignete Einstieg in das Verständnis des Nationalsozialismus wäre. Im Grunde genommen eine Entwicklung, die eigentlich vorhersehbar gewesen ist durch dieses jahrzehntelange Wegsperren des Textes, durch dieses Schaffen eines Geheimnisses um diese Texte, und nun muss man sehen, wie die Öffentlichkeit mit diesem starken Interesse umgehen wird.
    "Absurd, dass noch Gefahr von diesem Buch ausgeht"
    Köhler: Stellt es Sie als Historiker zufrieden? Wir sprechen mit Ihnen auch als Hitler-Biografen, der gerade ein mächtiges Buch vorgelegt hat von über 1200 Seiten und seit vielen Jahren als NS-Historiker bekannt ist. Das Werk ist ja umstellt, umringt worden - dekonstruiert heißt es sehr anspruchsvoll - durch Anmerkungen. Gefahr kann von dem nicht mehr ausgehen?
    Longerich: Nein! Das ist meiner Absicht nach absurd, diese Vorstellung, wenn man den Text jetzt verbreitet, dass man sozusagen zum Nationalsozialisten wird, wenn man den Text liest. Das gehört ja mit zu dieser Aura des Gefährlichen, die künstlich um dieses Buch herum geschaffen worden ist durch das Verbot. Aber das wird sich in keiner Weise einstellen. Das Buch ist tatsächlich ein sehr schwer zugängliches, ein sehr schwer lesbares Buch und es ist die Frage, was der normale Leser mit einem schwer zugänglichen Text und einem riesigen Fußnotenapparat, den er dazu geliefert bekommt, was er damit macht. Wird er das wirklich von der ersten bis zur letzten Seite lesen? Da bin ich sehr gespannt auf die Reaktionen.
    Köhler: Über das Portal eines großen Online-Anbieters gibt es das Exemplar eines österreichischen Händlers übrigens gerade für 400 und sogar für 599 Euro. Auf Nachfrage sagte man uns, dass der Anbieter Post erhalte - eine Abmahnung. - Der NS-Historiker und Hitler-Biograf Peter Longerich war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.