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Kritischer Publizist und engagierter Politiker

Robert Blum war eine Leitfigur der bürgerlichen Revolution im 19. Jahrhundert. Der Vorkämpfer für die Demokratie starb 1848 im Kugelhagel der Gegenrevolution. Peter Reichel hat sich den Großteil seines Forscherlebens mit Erinnerungskultur und Geschichtspolitik beschäftigt. Und will jetzt den vergessenen Revolutionär ins Gedächtnis der Deutschen zurückholen. Seinen biographischen Essay über Robert Blum stellt Sandra Pingel vor.

21.01.2008
    Am 9. November 1848 hallen Schüsse im Wiener Vorort Brigittenau. Die Waffen der Getreuen von Fürst Windischgrätz, dem kaiserlichen Feldmarschall, hatten sich auf einen prominenten Demokraten gerichtet: Robert Blum. Standrechtlich wird er um neun Uhr exekutiert. Einen Tag später wäre Robert Blum, der aus ärmlichen Verhältnissen stammte und zu einem der bedeutendsten Politiker der Frankfurter Nationalversammlung aufstieg, 41 Jahre geworden. Pünktlich zu dessen 200. Geburtstag hat Peter Reichel eine Biographie über Robert Blum veröffentlicht, den deutschen Revolutionär, den man längst vergessen hatte:

    Ein nationales Denkmal hat er bis heute nicht bekommen, nicht in der Stadt seines meuchlerischen Todes, nicht dort, wo er im Zenit seines kurzen, aber glanzvollen parlamentarischen Wirkens stand, nicht dort, wo sein Aufstieg begann, nicht in seiner Vaterstadt, wo er die ersten zwanzig Jahre lebte.

    Peter Reichel ist den Lebensspuren von Robert Blum in in- und ausländischen Archiven nachgegangen. In seinem Buch schildert er die erstaunliche Karriere des gelernten Gießers, des kritischen Publizisten, engagierten Politikers und Familienvaters, über den viele heute kaum mehr wissen, als dass sein Tod ein politisches Verbrechen war.

    Die Kindheit ist durch Armut, Krankheit, Demütigung und Verlusterfahrung geprägt. Eine hohe Begabung, sein Lerneifer und eine den Verhältnissen abgerungene zähe Disziplin sind sein Kapital. Glückliche Zufälle helfen ihm.

    So in den 30er Jahren. Blum wird Theatersekretär am Leipziger Stadttheater und beginnt zu schreiben.

    Ein neue Welt tut sich auf. Das Theater als Bühne, als Forum der Nation, eine Synthese aus Sprache und Politik.

    Robert Blum gründet politische Zeitungen und Vereine. Er gewährt Emigranten Zuflucht. Bürgerliches Freiheits- und vaterländisches Nationalbewusstsein treiben den jungen Mann an. Seine Kritik an den politischen Zuständen im Land kann er aber nur verhalten üben. Er muss sich verstellen, seine Worte verkleiden. Die Karlsbader Beschlüsse erlauben es nicht, gegen die antidemokratischen Zustände im Land offen vorzugehen: Überwachung, Denunziation und Pressezensur machen den kritischen Köpfen wie Robert Blum das Leben schwer. 1844 wird er selbst zum Opfer der Willkürjustiz und muss ins Gefängnis. Die Familie drängt ihn in diesen düsteren Zeiten, sich politisch zurückzuziehen. Doch Blum gibt nicht auf. In einem Brief an seine Schwester schreibt Blum:

    Es hätte nie ein Christentum und nie eine Reformation und keine Staatsrevolution und überhaupt nichts Gutes und Großes gegeben, wenn jeder stets gedacht hätte: 'Du änderst doch nichts!' Glaubst du denn, es sei ein Spiel - dieser Kampf gegen die Übergriffe und unrechte Stellung der Staatsgewalten, aus dem man sich zurückzieht, wenn's keinen Spaß mehr macht? Oder glaubst Du, man beginne diesen Kampf leichtfertig und leichtsinnig, ohne das Bewusstsein, dass die Staatsgewalten die furchtbare Waffe eines Gesetzes gegen uns schwingen und wir fast unbewehrt sind?

    Die Entschlossenheit in diesen Sätzen war typisch für Robert Blum. Man kann sich ein Urteil machen, weil Peter Reichel in seiner lebensgeschichtlichen Darstellung über Robert Blum eine Reihe politischer Reden, Schriften und Briefe des unerschrockenen Mannes eingearbeitet hat. So auch Blums "Aufruf an die Freisinnigen Sachsen", der auf dem Höhepunkt der Märzrevolution 1848 im ganzen Land Verbreitung fand.

    Der Augenblick, wo die Kanonen zu Paris das morsche Gebäude der freiheitsfeindlichen Staatskunst von 1815 erschüttert haben, muss dazu benutzt werden, auch in Deutschland die Gewalt der Bevormundung zu brechen und Regierungen zu erhalten, die auf Grundsätzen der Freiheit beruhen.

    Und der Autor Peter Reichel kommentiert:

    Nun muss kommen, was man seit mehr als einer Generation so sehnlich erwartet, wofür man gekämpft hat - und gelitten für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in einem geeinten Vaterland.

    Robert Blum wird Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung und setzt sich für seine politischen Ziele ein.

    Blums Vorschlag zielt auf eine parlamentarische Demokratie oder präsidentielle Demokratie, also auf ein demokratisch legitimiertes Herrschaftsmodell, das ausschließlich auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruht.

    Blum macht dies aus Sicht seines Biographen Peter Reichel geschickt. Er ist kein Draufgänger, sondern ein Vermittler und geschickter Verhandlungsführer zwischen den politischen Fronten. Aber Robert Blum muss bald erkennen, dass die alten Gewalten noch erhebliche Macht haben und die Nationalversammlung ein Souverän ohne Souveränität ist. Für Blum wird auch immer offensichtlicher, dass die nationale Einheit und die politische Freiheit nicht gleichzeitig verwirklicht werden können. Eine Zeit herber politischer und persönlicher Enttäuschungen. Er bekommt keine Mehrheiten bei brennenden Fragen des politischen Sommers 1848. Gegen ihn wird zudem in den eigenen Reihen intrigiert. Er, der unermüdliche Kämpfer für die Sache der Demokratie, verzweifelt an der politischen Entwicklung innerhalb und außerhalb der Frankfurter Nationalversammlung. Sie hat oft nichts mehr gemein mit seinen politischen Zielen, wie der Biograph Peter Reichel detailreich darstellt. Am 17. Oktober 1848 sammelt Robert Blum noch einmal all seine Kräfte und reist an der Spitze einer Delegation nach Wien, um eine Solidaritätsadresse an die aufständische Bevölkerung zu überbringen. Dabei bleibt es jedoch nicht: Blum, beeindruckt vom Freiheits- und Widerstandswillen der Arbeiter und Studenten in Wien, geht mit auf die Barrikaden und kämpft als Kommandeur einer Einheit an vorderster Front. Akribisch schildert Peter Reichel die "Wiener Tage" des unerschrockenen Demokraten, die am 9. November mit seiner Ermordung enden.

    Der 9. November 1848 ist der erste deutsche 9. November, der uns daran erinnert, dass der lange, von Revolutionen, Kriegen und Gewaltverbrechen gesäumte Weg zur Demokratie in Deutschland, mit einer missglückten, aber keineswegs folgenlosen Revolution begann. Dieser Weg macht den machtpolitischen Kampf revolutionärer und gegenrevolutionärer Kräfte an fünf weiteren 9. Novembertagen kalendarisch sinnfällig und denkwürdig - 1918, 1923 (Hitlerputsch), 1938 (Reichspogromnacht), 1939 (Elser-Attentat) und 1989 (Mauerfall). Robert Blum ist für diesen 9. November, dem mit seinen vielen historischen Bezügen überkomplexen, widersprüchlichen und wohl unpopulärsten Jahrestag in Deutschland erst noch zu entdecken oder richtiger wiederzuentdecken.

    Schon allein vor diesem Hintergrund ist die Biographie über Robert Blum eine äußerst lesenwerte Lektüre.

    Sandra Pingel über den biographischen Essay von Peter Reichel mit dem Titel "Robert Blum. Ein deutscher Revolutionär 1807 - 1848, erschienen im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, 192 Seiten für 19,90 Euro.