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Kroatien will EU-Beitrittsverhandlungen wieder aufnehmen

Kroatien dringt weiter auf eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union. Der kroatische Premierminister Ivo Sanader sagte, dies sei die beste Möglichkeit, die Zukunft seines Landes zu sichern. Die ursprünglich für März geplanten Beitrittsverhandlungen waren auf Drängen des UNO-Kriegsverbrechertribunals ausgesetzt worden. Chefanklägerin del Ponte hatte zunächst die Auslieferung des als Kriegsverbrecher gesuchten Ex-Generals Ante Gotovina verlangt.

Moderation: Thilo Koessler |
    Thilo Koessler: Herr Ministerpräsident, nach dem Nein in Frankreich und in den Niederlanden bei den Verfassungsreferenden ist eine Diskussion entbrannt über Sinn oder Unsinn von Erweiterungen, ob sie politisch noch gewollt und politisch noch durchsetzbar sind. Welche Befürchtungen verbinden sich für Sie damit?

    Ivo Sanader: Ich bin sicher, dass diese Debatten über Erweiterung Ja oder Nein nicht mit der Kroatienfrage verbunden sind oder mit der Türkeifrage. Ich glaube, dass die Union jetzt dies nicht als Gefahr ansehen soll, auch wir, die Kandidaten, sondern als einen neue Chance. Das ist jetzt eine Chance, wirklich eine letzte Warnung sozusagen, um zu sehen, was haben wir falsch gemacht in der vergangenen Zeit.

    Koessler: Es sind offenbar schon Überlegungen im Gange, statt der Erweiterung ein Modell zu setzen eines neuen Mechanismus, einer Partnerschaft, die unterhalb der vollen Mitgliedschaft bleibt. Wäre das für Kroatien akzeptabel?

    Sanader: Auf keinen Fall. Kroatien lebt heute schon europäische Werte und ich glaube, dass Kroatien einfach dazugehört. Ich bin sicher, dass wir in zweieinhalb Jahren die Verhandlungen abschließen können und dass dann im Juni 2009 Kroatien als volles Mitglied der EU auch an der Europawahl teilnehmen wird.

    Koessler: Glauben Sie denn, dass die Verhandlungen schwieriger werden, dass die Forderungen hochgeschraubt werden unter dem Eindruck der öffentlichen Diskussion jetzt?

    Sanader: Nein, glaube ich nicht. Von unserer Seite ist alles klar, das Verhandlungsteam steht, die Gesetzeslage ist sehr klar. Ich glaube, es ist alles startbereit, man muss nur ein grünes Licht geben aus Brüssel, dass die Kooperation mit dem Haager Tribunal stimmt, dann können wir anfangen und dann bin ich sicher, dass wir in zweieinhalb Jahren abschließen können.

    Koessler: Stichwort: Kriegsverbrechertribunal. Herr Ministerpräsident, der Beginn der Verhandlungen ist verschoben worden, im März unter dem Eindruck von Carla del Ponte, die die Auslieferung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Ante Gotovina verlangt hat. Glauben Sie, dass es im Nachhinein doch sehr verhängnisvoll war, dass diese Verhandlungen verschoben worden sind, mit Blick auf die veränderte Großwetterlage?

    Sanader: Ja, natürlich wäre das jetzt viel leichter aus unserer Sicht, wenn die Verhandlungen im März begonnen hätten.

    Koessler: Carla del Ponte hat im März von einem wohlorganisierten Netz der Unterstützung mit Blick auf Ante Gotovina gesprochen. Haben Sie dieses Netz mittlerweile gelüftet? Was tun Sie zu seiner Ergreifung?

    Sanader: Sie wissen, dass ich am 26. April, bei einem Treffen mit der Task Force in Luxemburg einen Aktionsplan vorgelegt habe. Dieser Aktionsplan ist wohl akzeptiert und Frau del Ponte hat mir vor einigen Tagen in unserem Gespräch in Zagreb bestätigt, dass dieser Aktionsplan auch aus ihrer Sicht, aus Sicht des Haager Tribunals gut läuft, dass das auch sehr begrüßenswert ist. Das hat auch einige Ergebnisse gebracht und sie hat sich mir gegenüber dazu sehr positiv geäußert. Ich erwarte, dass das auch in den nächsten Tagen vom Sicherheitsrat bestätigt wird und wenn das so ist, dann gibt es eine Hoffnung am Horizont.

    Koessler: Warum gibt es den Aktionsplan erst jetzt?

    Sanader: Das können Sie immer fragen. Wenn man immer auch etwas in der Zukunft tut, dann können Sie mich auch morgen fragen, warum haben Sie das nicht gestern getan? Wir dachten, wir machen alles richtig. Frau del Ponte war nicht dieser Meinung und auf meinen Vorschlag ist dann, mit Unterstützung Deutschlands und vieler Mitgliedsstaaten, akzeptiert worden, dass eine Task Force gegründet wird. Für diese Task Force habe ich dann einen Aktionsplan vorgelegt, habe das auch der Frau del Ponte gezeigt. Das ist auch auf positives Echo gefallen.

    Koessler: Was steht denn drin?

    Sanader: Es stehen sechs Punkte drin. Sie werden verstehen, dass ich vieles nicht äußern kann.

    Koessler: Wo steckt Ante Gotovina?

    Sanader: Ante Gotovina steckt wahrscheinlich in irgendeinem Versteck, aber das ist nicht in Kroatien. Es gibt also diesen italienischen Vorfall, den die italienischen Geheimdienste und der zuständige Richter verfolgen. Unsere Dienste sind mit dem italienischen Dienst in Verbindung. Ich möchte eines dazu sagen, wir sind sehr daran interessiert, dass die volle Wahrheit herauskommt. Es sind einige Dokumente gefunden worden und so weiter, die aus einem Auto geworfen wurden. Wir verlangen, dass der italienische Dienst, dass der italienische Richter und die zuständigen Behörden alles untersuchen und uns die Wahrheit sagen: uns, der internationalen Gemeinschaft und der Frau del Ponte.

    Koessler: Fühlen Sie sich denn von der EU insgesamt fair behandelt?

    Sanader: Ich fühle mich als politischer Leader eines Landes, das eine schwierige Zeit hinter sich hat, die 90er Jahre mit dem Krieg und so weiter, und das jetzt nach Europa zurückkommen soll und sich anschließen will. Das ist meine Aufgabe. Mich interessiert, wie kann ich dieses Land vorwärts bringen, den Bürgern dieses Landes die Zukunft sichern? Ich glaube, die beste Sicherung der Zukunft ist: Mitglied in der EU.

    Koessler: Wie schätzen Sie denn die Stimmung hier in Kroatien ein?

    Sanader: Das ist logisch gewesen, dass diese große Euphorie Richtung EU, die in den Umfragen bei 75 Prozent war, jetzt nach der Verschiebung des Verhandlungsstarts wieder zurückgefallen ist auf unter 50, jetzt ist es wieder bei etwas über 50. Das bereitet mir keine Sorge, weil ich denke und ich kenne die kroatischen Bürger, sie wollen in die Europäische Union. Es ist ein Echo der emotionalen Lage aufgrund von verschiedenen Entscheidungen. Nach der Verhandlung wird es ein Referendum für den EU-Beitritt geben und da bin ich sicher, dass ein hoher Prozentsatz, bei weitem über 50 Prozent, für die EU stimmen wird.