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"Król Roger" an der Oper Frankfurt
Ein König zwischen Stumpfsinn und Sinnlichkeit

Die Oper Frankfurt zeigt Karol Szymanowskis kurze Oper „Król Roger“ ("König Roger") in der Regie von Johannes Erath. Der verzichtet auf religiöse Symbolik und lässt schwarz und weiß gekleidete Figuren aufeinandertreffen - die für innige Lebensfreude und oberflächliche Normen stehen.

Von Ursula Böhmer | 03.06.2019
    v.l.n.r. Filip Niewiadomski (Kind) und Gerard Schneider (Der Hirte) sowie Ensemble
    Filip Niewiadomski (Kind) und Gerard Schneider (Der Hirte) in einer Szene der Oper „Król Roger“ ("König Roger") (Oper Frankfurt/Monika Rittershaus)
    Es ist zappenduster im Frankfurter Opernhaus – und mitten in die Dunkelheit schleichen sich kirchliche Töne ein. Statt einer Ouvertüre schickt Karel Szymanowski seiner Oper "Król Roger" - oder "König Roger" - einen Lobgesang aus der orthodoxen Kirchenliturgie voraus.
    Der prachtvoll singende Frankfurter Opernchor verkörpert das Hof-Volk, das dem Erzbischof und der Diakonissin hörig ist - was König Roger in die Bredouille bringt: Soll er den fremden Hirten, der in das streng ritualisierte Hofleben eingedrungen ist und von einem "Gott der Freude, der Liebe und des Lebens" singt, wirklich wahlweise kreuzigen, steinigen oder verbrennen lassen – wie es sein Volk fordert?
    Mit seinem charaktervollen Tenor sorgt Gerard Schneider als dionysischer Hirte für Aufruhr – und für einen Lichtblick auf der Frankfurter Bühne: Ein blonder Strahlemann im weißen Anzug, läuft er barfuß und stellt gern seine behaarte Brust zur Schau. Ganz das Gegenteil zur Volkschor-Schickeria, die sich hier in schwarzen Cocktail-Kleidern und Anzügen anonym hinter Sonnenbrillen verschanzt – und sich durch den Blick in Handspiegel ständig selbst vergewissern muss. Auf religiöse Symbolik verzichtet Johannes Erath in seinem Regiekonzept: Weiß trifft auf schwarz – innige Lebensliebesfreude auf oberflächliche Normen.
    "Wenn die Form plötzlich überhand nimmt und wenn ein Ritual nur noch ein Ritual ist, um sich daran festzuhalten, aber der Inhalt nicht mehr transportiert wird, dann kann es problematisch werden. Es geht nicht nur bei Roger persönlich darum, sondern uns allen: Wir lieben mehr in einer verkrusteten Struktur oder in einem Muster zu leben, weil wir es kennen – auch, wenn es uns nicht gut tut! Und das Neue ist immer beängstigend, auch wenn es uns vielleicht besser täte!"
    Sirene in Federhandschuhen
    Sie fühlt sich von der hellen Sinnesfreude des Hirten schnell angesprochen: Königin Roxane - ausdrucksvoll sinnlich gesungen von der amerikanischen Sopranistin Sydney Mancasola. Ihren schwarzen Business-Anzug vertauscht Roxane schon bald gegen ein goldenes Negligé, das der Hirte ihr geschenkt hat. Oder sie versucht, König Roger als Paradiesvogel mit lang gefiederten Gold-Handschuhen für die neuen Ideen zu gewinnen. Karol Szymanowski hat Roxane entsprechend erotische Sirenen-Gesänge auf die Stimmbänder komponiert – nicht von ungefähr, findet der französische Gastdirigent Sylvain Cambreling.
    "Er ist gereist nach Nordafrika und Sizilien. Und er kannte diese Musik sehr gut! Er war ein großer Liebhaber des persischen Dichters Rumi – und der Sufi-Philosophie. Und das kommt wirklich in seiner Musik vor. Er ist ein Komponist, bei dem man fünf Minuten zuhört, dann denkt, oh, was ist das? Es ist nicht das, es ist nicht das, auch nicht das. Was könnte es sein? Und oft es ist dann Szymanowski!"
    Gesplittetes Bühnenbild
    Sylvain Cambreling animiert Sänger und Opernorchester in Frankfurt zu wunderbar duftig-seidenweichen Klängen. Melismenreiche, arabisch anmutende Töne auch im 2. Akt der Oper: Roxane tanzt mit dem Hirten, der Volkschor ahmt sie zunächst, etwas steif, nach – bevor es zum handgreiflichen Tumult unter den ewig gestrigen Hardlinern kommt. Und König Roger? Er ist in sich gespalten – so wie die Bühne von Johannes Leiacker: Den weißen Dielenboden, den er leicht schräg gestellt und hinten zum Bühnenhimmel hin abgeknickt hat, durchzieht in Johannes Eraths schlüssigem Regiekonzept ein schwarzer Graben:
    "Da ist ein Riss – als wäre in dieser Kokon-Schale plötzlich ein Riss und das bricht so langsam und da kommt etwas raus, was noch nicht klar ist: Kann man die Flügel ausbreiten – oder? Und natürlich, wir sind ja oft in Entwicklungsprozessen, als würden Schalen aufbrechen und drunter sind wir aber natürlich nackt, verwundbar, als hätten wir keine Haut! Und dann fangen wir wieder an, Schutzmechanismen zu bauen. Aber irgendwann fühlt sich auch der Panzer wieder zu eng an!"
    Kleine angepasste Erwachsene
    Der Pole Łukasz Goliński singt König Roger mit betörend schönem Bariton – und zeigt ihn als Herrscher, der erst wieder lernen muss, auch zu leben. Am Ende streift er immerhin schon mal seine schwarzen Schuhe ab. Ob er auch barfuß laufen wird, bleibt offen. Und ob das Volk ihm letztlich folgt? Einerseits lässt Johannes Erath das Ewig Gestrige – in Gestalt des Erzbischofs und der Diakonissin – im Bühnenhintergrund langsam verwesen. Andererseits schickt er immer wieder die Kinderchoristen auf die Frankfurter Bühne: Kleine Erwachsene, die genauso schwarz und angepasst gekleidet sind wie ihre Eltern. Aber vielleicht folgen sie ja doch noch dem Hirten in ihnen?
    "Genau das sagt auch der Hirte: Dieses in-die-Tiefe-Gucken, in die Tiefe unseres Herzens, unserer Seele, wer wir sind, wo auch unsere kindliche Instinkt-Fähigkeit ist! Weil wir werden natürlich durch verschiedene Strukturen verbildet auch, je älter wir werden und dass wir uns überhaupt noch freuen können, dass wir fasziniert sind von etwas – das hat etwas mit diesem Kindlichen zu tun! Das müssen wir immer bewahren!"