Die weißen Personendampfer auf dem Rhein schieben sich hier direkt vor uns vorbei. Die schmale Ahr verliert sich - wenige Meter entfernt - spurlos in diesem europäischen Strom. Ein paar Kanus machen am Ufer eine Rast. Ein paar Fische werden gegrillt. Etwas weiter liegt ein Bootshaus eines Rudervereins. 1840 schreibt der französische Schriftsteller Victor Hugo seinen Bestseller "Die Rheinreise". Hugo, bekannt unter anderem durch seinen "Glöckner von Notre Dame", gilt auch als vorzüglicher Reiseschriftsteller.
Der Rhein ist ein Fluss, von dem alle Welt redet und den niemand studiert; den alle Welt besucht und den niemand kennt; den man im Vorüberfahren sieht und den man im Eilschritt vergisst; der jeden Blick berührt und den kein Geist vertiefend betrachtet.
"Kein Geist vertiefend betrachtet" - das reibt uns Hugo vor 170 Jahren schon unter die Nase. Denn wir befinden uns hier an diesem Bootshaus auf historischem Gelände. Hier verlief die wichtige römische Handelsstraße von Mainz nach Köln - gepflastert. Diese Straße und der Rheinfluss waren die Hauptverkehrsadern des römischen Germaniens.
Hier ist kein Hinweisschild. Kaum ein Reiseführer weist darauf hin, dass beispielsweise genau hier im Jahre 40 nach Christus, also vor 2000 Jahren, eine römische Ziegelei gearbeitet hat. Hier verlädt man die Produkte auf flache Boote. Wir lesen über die Ausgrabungen zusammengefasst:
Sinzig ist deshalb von herausragender Bedeutung, da diese Ziegelei zu den ältesten der Provinz "Niedergermanien" zählt. Zu den Ausgrabungen gehören Töpfer- und Ziegelöfen und eine Abfallgrube für Bruch.
In den dürren Worten dieses Ausgrabungsberichtes stecken eine Fülle von Informationen. Ziegelsteine und Dachziegel aus Sinzig braucht man für römische Tempel, Thermen, Wasserleitungssysteme. Und man braucht Ziegelsteine aus Sinzig für vornehme, repräsentative Landhäuser: Villen für reiche Römer, die hoffentlich auf ehrliche Weise zu Vermögen in Germanien gekommen sind.
Und jetzt kommt es: Produzent in Sinzig ist die fünfte Römische Legion. Wenn also das römische Militär nicht gerade in Kämpfe verwickelt ist - die unglückliche Varusschlacht liegt damals 30 Jahre zurück -, dann muss die Armee eben Ziegelsteine brennen oder im Brohltal, das ist zehn Kilometer rheinaufwärts, massive Basaltsteine aus dem Felsen schlagen. Denn irgendwie muss der Sold für das Militär refinanziert werden.
Steinbruch war lebensgefährliche Strafarbeit, Ziegelbrennen dagegen in der fünften Legion ein Vorzugsjob. Nur ein paar Kilometer von hier entfernt, ahraufwärts, reift damals der Rotwein. Und da gibt es, bis heute, eine gereimte Lebensweisheit: "Des Soldaten Sonnenschein ist Rotwein und Besoffensein." Zurück zur römischen Ziegelei. Wir lesen weiter:
Die Ziegel aus Sinzig wurden gestempelt. Das heißt, es wurde "Legio" zusammen mit einer römischen "V" eingebrannt. Es war wie ein "Made in Germany"; wie ein Qualitätssiegel.
Sinzig selber, als Städtchen, liegt nicht direkt am Rhein, etwa eineinhalb Kilometer zurückversetzt. Aus militärstrategischen Gründen wollte der fränkische König Pippin 762 nicht direkt am Fluss seine Pfalz errichten. Seine Berater meinten, die Ahrmündung und vor allem die wichtige Rheintrasse besser von einem etwas erhöhten Felsplateau aus kontrollieren zu können. Auf diesem Felsen bauen die Franken ihre Pfalz, wo heute noch die romanische Kirche "Sankt Peter" in frisch renoviertem Weiß und Ockerrot, weit über die Felder und Rheinwiesen leuchtet.
Und während ich Ihnen das nun so erzähle, sind wir in Sinzig angekommen. Im "Schloss", einem neogotischen Prunkbau, gegen 1850 [gebaut], auf den Fundamenten einer mittelalterlichen Wasserburg. Hier ist das städtische Museum untergebracht. Und hier treffen wir auf einige römische Ziegel und Töpferarbeiten. Agnes Menacher:
Agnes Menacher: "Es war ja eine Blütezeit, die römische Zeit, auch im Ahrtal. Es entstanden Gutshöfe. Und hier hatte eben dann diese Legion diese Ziegelei betrieben, die auch wohl sehr floriert hat."
Franz Nussbaum: "Zwei solche Ziegel - das sind doch sehr massive."
Menacher: "Wie haben Fundstücke von anderen Keramiken auch innerhalb des gesamten Stadtgebietes. An dieser Stelle der Ziegelei wurde eben 100 Jahre später eine Töpferei angesiedelt."
Nussbaum: "Und jetzt gehen wir in diese Töpferei. Wir haben hier nur ganz wenige Exponate. Und um dem Hörer die Nase lang zu machen. Das, was hier in Sinzig damals gemacht wurde, hatte wohl in der damaligen Welt etwa den Rang von Meißen, im Vergleich. Es war also auch wiederum für ein De-Luxe-Publikum."
Menacher: "Was man auch sehr schön sehen kann - an den Keramiken -, ist diese wunderschöne Gestaltung der Gefäße, mit Szenen aus dem Leben, auch sogar sehr erotischen Szenen."
Nussbaum: "Die Töpferschale war das Video der damaligen Zeit. Bei einer Unterhaltung wurde man eventuell angeregt, dieser Geschichte nach zugehen. Man hatte Gesprächsstoff."
Menacher: "Die Qualität der Ware muss sicher sehr gut gewesen sein. Denn wir wissen auch, dass diese Töpferware hier aus Sinzig bis ins Rhein-Main-Gebiet zum Beispiel geliefert wurde. Der Umschlagplatz Sinzig hat sicher dazu beigetragen, dass diese Manufaktur floriert hat."
Nur wenige Schritte vom Museum entfernt, kommen wir zum Zehnthof. Und dort stimmt sich gerade ein Cello ein, eine Celloschule. Der 15-jährige Gregor Lawrenz spielt uns auf seinem Instrument sein Lieblingsstück: eine Filmmusik aus "Der Herr der Ringe", begleitet von Monika Tecker-Johnson.
Handgemachte Musik aus dem kleinen Sinzig. Und wir sind also am Zehnthof von Sinzig, und wir sind im Machtbereich der "Herrn der Ringe". Hier stand früher die karolingische Pfalz von Pippin. Also Königspfalz plus Zehnthof plus Stadtkirche Sankt Peter - das war die Drehscheibe, auch an der wichtigen Krönungsstraße nach Aachen. Das wollen wir später noch aufgreifen. Und man fragt sich, wer diese mächtige, diese spätromanische Kirche finanziert hat? Franz Peter Zimmermann:
Franz Peter Zimmermann: "Wir haben eine Urkunde heute noch greifbar, aus dem Jahre 855, von Kaiser Lothar I.. Das ist der Enkel Karls des Großen gewesen. Und er hat in dieser Urkunde dem Marienstift zu Aachen - die Vorgängerkirche, er nannte sie 'Capella' damals, den Vorgängerbau des Zehnthofes, das war die karolingische Kaiserpfalz - den Zehnten aus Ländereien und große Grundstücksflächen geschenkt. Und das Marienstift zu Aachen ist von diesem Tag an hier in Sinzig präsent gewesen, bis 1804. Und von daher gehen die Historiker davon aus: Das Marienstift Aachen steht hinter dem Kirchbau. Kommt noch ein zweiter Punkt dazu. 1220, wo man so den Baubeginn vermutet, war der Herrscher Friedrich II., der Enkel Barbarossas, der aus Sizilien kam. Und es ist durchaus denkbar, dass die Staufer hier mitfinanziert haben, weil sie ihre Macht hier präsentieren wollten."
Nussbaum: "Und wir kommen in eine Probe für den 'Orgelsommer in Sankt Peter'. Diese Konzertreihe gibt es seit rund 25 Jahren. Und sie beginnt wieder Mitte August. Und fast möchte man meinen, einer der frisch gewählten deutschen Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation betritt mit festlichem Gefolge, auf seiner Reise über Sinzig zur Krönung nach Aachen, soeben diese Kirche. Zu diesen Konzerten und Konzertproben biegen viele der Radwanderer vom Rhein ab, rüber zu Sankt Peter. Übrigens: Der Eintritt, ob Probe oder Konzert, ist immer frei. Und hier draußen, vor der Kirche, auf dem Marktplatz wollen wir den Hintergrund der Krönungsstraße etwas ausweiten. Wer durch Akklamation, später durch die Mehrheit der Stimmen der Kurfürsten in Frankfurt, zum deutschen König gewählt werden wollte, der musste damals immense Bestechungssummen investieren. Welche Rolle spielt Sinzig?"
Zimmermann: "Sinzig war ja nach wie vor Reichsgut, wenn auch der Zehnthof, die Pfalz und die Kirche den Aachenern gehörte. Aber die Stadt selbst wurde als Pfand von den Königen und Kaisern benutzt; meistens, um Kredite damit abzusichern. Und der Kaiser sagt, ich verpfände dir Sinzig mit seiner Steuerkraft so lange, bis der Kredit mit Zinsen zurückgezahlt ist. Und im 13. und 14. Jahrhundert, da wechselten innerhalb kürzester Zeit die Gläubiger für Sinzig so oft, dass hin und her verpfändet, weiterverpfändet [wurde]."
Nussbaum: "Wo kam denn der Reichtum von Sinzig her?"
Zimmermann: "Die Sinziger haben ihr Einkommen erzielt, aus dem, ich sage das mal, dem Übernachtungsgewerbe - durch die vielen Pilger, Könige, Kaufleute, die hier ihr Geld gelassen haben - und über den Weinbau."
Nussbaum: "Davon werden wir auch noch ein Gläschen kosten. Und dann sehen wir Besucher mit kompakten Sportfahrrädern. Die sehen aus, als hätten sie nicht nur einen kleinen Sonntagsspaziergang eingeplant."
Radlerin: "Wir haben heute noch nicht so viele Kilometer in den Beinen, weil wir heute nach Bad Neuenahr gefahren sind, und wollten uns hier das Ahrtal mit dem Fahrrad erwandern. Wir stammen aus Thüringen."
Nussbaum: "Ich weiß, dass der Deutschlandfunk sehr viele Hörer in Thüringen hat. Wo kommen Sie denn da her?"
Radler: "Aus dem Kyffhäuser Kreis, in Nord-Thüringen."
Nussbaum: "Bad Frankenhausen, sagt mir was."
Radler: "Also wir sind schon am Rhein entlanggefahren mit dem Rad. Dann waren wir im Bergischen Land mit dem Fahrrad, sind dort zwei Tage rumgefahren. Das war sehr interessant."
Nussbaum: "So kann man etwas 'er-fahren', mit dem Rad erfahren. Der Kyffhäuser, wo Sie herkommen, wo Kaiser Rotbart auf sein Comeback wartet. Sinzig nennt sich eine Barbarossa-Stadt, weil Friedrich I. mindestens viermal hier in Sinzig in der Pfalz - in der Zeit als Wanderkaiser ohne festen Wohnsitz - geweilt hat. Auch bei Barbarossas Krönungszug hat er in Sinzig übernachtet. Er war bei seiner Wahl zum deutschen König 29 Jahre alt und wir lesen:"
Am 4. März 1152 wird Friedrich I. in Frankfurt fast einstimmig gewählt. Am darauffolgenden Tag nimmt er den Treueid der anwesenden Fürsten entgegen und bescheidet die Versammlung für den 09. März nach Aachen, zu seiner Krönung. Er selber schifft sich mit einem kleinen Gefolge in Frankfurt ein und fährt den Main abwärts, dann auf dem Rhein bis Sinzig. Friedrich soll, laut Quellen, auch von rund 3000 schwäbischen Rittern und Knappen begleitet worden sein. Man kann vermuten, dass dieser Tross den königlichen Schiffen, auch zur Sicherung, beiderseits des Rheins auf dem Landweg folgt.
Die letzten 100 Kilometer von Sinzig nach Aachen auf unbefestigten, morastigen Feldwegen. Es ist erst Anfang März. Zwischen Sinzig und Aachen ist also ein gewaltiger Lindwurm unterwegs. An den Steigungsstrecken aus dem Ahrtal direkt in die Eifel hoch muss vorgespannt werden. Zweiräderige Karren und Gepäck und Fourage. Weitere Übernachtungen in total überquellenden Eifeldörfchen von vielleicht 50 verschreckten Einwohnern.
Mit dabei: Prunkzelte, Ersatzpferde, unförmige Kästen auf Rädern, als Kutschen für vielleicht hochschwangere Königinnen. Herolde, Erzbischöfe, Äbte, wichtige oder wichtigtuende Berater - all das schleppt sich mühevoll mit Achsen- und Speichenbruch gen Aachen. Und hier in einigen Eifel-Orten hinter Sinzig gibt es noch Straßenbezeichnungen wie "Kaiserkammer", "Alte Straße" oder auch "Königsgraben". Wir lesen weiter:
Auf dieser Strecke waren aber auch Tuchhändler aus Aachen, Handwerker aus Oberitalien, Kunstschmiede aus Flandern und Pilger an das Grab Karls des Großen unterwegs. In den Jahren der Aachener "Heiligtumsfahrt" waren von Sinzig nach Aachen mehr wundergläubige Pilger unterwegs, als auf den Wegen nach Santiago de Compostela.
Krönungszüge über Sinzig hat es mindestens zwei Duzend gegeben. Lassen Sie uns noch einen Nachdenkenswerten herausgreifen: Barbarossas Sohn, der erst vierjährige Heinrich VI., er rumpelt 1169, nachdem auf Drängen des Vaters die Fürsten das etwas schmale Büblein zu Bamberg gewählt hatten, auch über diese Route nach Aachen. Mit dem erst vierjährigen Knirps ist auch dessen siebenjährige Braut, Anna von Brabant, in Aachen mit dabei.
Wir sind mittlerweile im Ortsteil Bad Bodendorf angekommen; ein kleines Mineralbad. Und in Bad Bodendorf ist bis vor 40 Jahren Wein angebaut worden. Nun plant man, das unter dem Flaschenetikett "Barbarossa-Rotwein" wieder aufzugreifen. Und Barbarossa lädt uns vielleicht zu einem Gläschen ein:
Winzer: "Zum Wohl!"
Nussbaum: "Lecker ist er."
Winzer: "Aufgrund der guten Qualitätsrebsorten im Gebiet Bad Bodendorf sind nunmehr einige Ahr-Winzer daran interessiert, diesen Anbau auch professionell weiterzubetreiben."
Nun zieht es uns zu unserer letzten Station in das das kleine Rosen-Paradies Löhndorf, oben auf die Eifelhöhen. Und Johann Wolfgang von Goethe und die Gebrüder Schäfer, als Sänger und am Flügel, stimmen uns schon etwas ein.
Sah ein Knab' ein Röslein steh'n
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön
lief er schnell es nah zu sehn
sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot
Röslein auf der Heiden.
Ein früheres Armeleute-Eifeldörfchen, das mit dem Ende der Misthaufen vor den Gehöften, irgendwann vielleicht vor 40 Jahren anfing, eine neue dörfliche Duftmarke zu suchte. Die Zahl der Rosenstauden und Blüten ist niemals notiert worden. Es mögen 20.000 oder 50.000 mittlerweile sein? Und man braucht fast alle seine Sinne für das Überangebot von Rosen- und Rosendüften. Es geht mir wie dieser brummigen Hummel, die grade betört oder besoffen von den Farben und Düften in eine Blüte reinkriecht. Dorothee Weber:
Dorothee Weber: "Und die Rose bestimmt unterdessen das Bild des Dorfes. Und jetzt auch, seit ein paar Jahren, finden wir den Garten der Begegnung mitten im Dorf. Zur Rose habe ich immer schon ein besonderes Verhältnis."
Nussbaum: "Ich hab mich selber auch gefragt, als ich heute Morgen losgefahren bin, was ich für eine Erinnerung an Rosen hab? Und habe mein Hochzeitsbild mitgebracht. Das ist etwa 45 Jahre alt. 18 Jahre. Und meine Frau hat also auch diesen Hochzeitsrosenstrauß."
Weber: "Die rote Rose wird immer das Symbol der Liebe sein. Und Sie wissen ja auch, dass im christlichen Glauben die Rose eine Riesenbedeutung hat. Es ist ein Ros' entsprungen. Also, ich denke die Rose steht für sehr, sehr vieles."
Nussbaum: "Wenn ich in Ihrem Dörfchen hier eine Distel oder eine Brennnessel wäre, dann hätte ich es schwer?"
Weber: "Überhaupt nicht, weil: Es gibt ganz viele Ecken, auch, die naturbelassen sind. Und auch in meinem Garten gibt es eine Ecke, wo die Brennnessel existieren darf."
Der Rhein ist ein Fluss, von dem alle Welt redet und den niemand studiert; den alle Welt besucht und den niemand kennt; den man im Vorüberfahren sieht und den man im Eilschritt vergisst; der jeden Blick berührt und den kein Geist vertiefend betrachtet.
"Kein Geist vertiefend betrachtet" - das reibt uns Hugo vor 170 Jahren schon unter die Nase. Denn wir befinden uns hier an diesem Bootshaus auf historischem Gelände. Hier verlief die wichtige römische Handelsstraße von Mainz nach Köln - gepflastert. Diese Straße und der Rheinfluss waren die Hauptverkehrsadern des römischen Germaniens.
Hier ist kein Hinweisschild. Kaum ein Reiseführer weist darauf hin, dass beispielsweise genau hier im Jahre 40 nach Christus, also vor 2000 Jahren, eine römische Ziegelei gearbeitet hat. Hier verlädt man die Produkte auf flache Boote. Wir lesen über die Ausgrabungen zusammengefasst:
Sinzig ist deshalb von herausragender Bedeutung, da diese Ziegelei zu den ältesten der Provinz "Niedergermanien" zählt. Zu den Ausgrabungen gehören Töpfer- und Ziegelöfen und eine Abfallgrube für Bruch.
In den dürren Worten dieses Ausgrabungsberichtes stecken eine Fülle von Informationen. Ziegelsteine und Dachziegel aus Sinzig braucht man für römische Tempel, Thermen, Wasserleitungssysteme. Und man braucht Ziegelsteine aus Sinzig für vornehme, repräsentative Landhäuser: Villen für reiche Römer, die hoffentlich auf ehrliche Weise zu Vermögen in Germanien gekommen sind.
Und jetzt kommt es: Produzent in Sinzig ist die fünfte Römische Legion. Wenn also das römische Militär nicht gerade in Kämpfe verwickelt ist - die unglückliche Varusschlacht liegt damals 30 Jahre zurück -, dann muss die Armee eben Ziegelsteine brennen oder im Brohltal, das ist zehn Kilometer rheinaufwärts, massive Basaltsteine aus dem Felsen schlagen. Denn irgendwie muss der Sold für das Militär refinanziert werden.
Steinbruch war lebensgefährliche Strafarbeit, Ziegelbrennen dagegen in der fünften Legion ein Vorzugsjob. Nur ein paar Kilometer von hier entfernt, ahraufwärts, reift damals der Rotwein. Und da gibt es, bis heute, eine gereimte Lebensweisheit: "Des Soldaten Sonnenschein ist Rotwein und Besoffensein." Zurück zur römischen Ziegelei. Wir lesen weiter:
Die Ziegel aus Sinzig wurden gestempelt. Das heißt, es wurde "Legio" zusammen mit einer römischen "V" eingebrannt. Es war wie ein "Made in Germany"; wie ein Qualitätssiegel.
Sinzig selber, als Städtchen, liegt nicht direkt am Rhein, etwa eineinhalb Kilometer zurückversetzt. Aus militärstrategischen Gründen wollte der fränkische König Pippin 762 nicht direkt am Fluss seine Pfalz errichten. Seine Berater meinten, die Ahrmündung und vor allem die wichtige Rheintrasse besser von einem etwas erhöhten Felsplateau aus kontrollieren zu können. Auf diesem Felsen bauen die Franken ihre Pfalz, wo heute noch die romanische Kirche "Sankt Peter" in frisch renoviertem Weiß und Ockerrot, weit über die Felder und Rheinwiesen leuchtet.
Und während ich Ihnen das nun so erzähle, sind wir in Sinzig angekommen. Im "Schloss", einem neogotischen Prunkbau, gegen 1850 [gebaut], auf den Fundamenten einer mittelalterlichen Wasserburg. Hier ist das städtische Museum untergebracht. Und hier treffen wir auf einige römische Ziegel und Töpferarbeiten. Agnes Menacher:
Agnes Menacher: "Es war ja eine Blütezeit, die römische Zeit, auch im Ahrtal. Es entstanden Gutshöfe. Und hier hatte eben dann diese Legion diese Ziegelei betrieben, die auch wohl sehr floriert hat."
Franz Nussbaum: "Zwei solche Ziegel - das sind doch sehr massive."
Menacher: "Wie haben Fundstücke von anderen Keramiken auch innerhalb des gesamten Stadtgebietes. An dieser Stelle der Ziegelei wurde eben 100 Jahre später eine Töpferei angesiedelt."
Nussbaum: "Und jetzt gehen wir in diese Töpferei. Wir haben hier nur ganz wenige Exponate. Und um dem Hörer die Nase lang zu machen. Das, was hier in Sinzig damals gemacht wurde, hatte wohl in der damaligen Welt etwa den Rang von Meißen, im Vergleich. Es war also auch wiederum für ein De-Luxe-Publikum."
Menacher: "Was man auch sehr schön sehen kann - an den Keramiken -, ist diese wunderschöne Gestaltung der Gefäße, mit Szenen aus dem Leben, auch sogar sehr erotischen Szenen."
Nussbaum: "Die Töpferschale war das Video der damaligen Zeit. Bei einer Unterhaltung wurde man eventuell angeregt, dieser Geschichte nach zugehen. Man hatte Gesprächsstoff."
Menacher: "Die Qualität der Ware muss sicher sehr gut gewesen sein. Denn wir wissen auch, dass diese Töpferware hier aus Sinzig bis ins Rhein-Main-Gebiet zum Beispiel geliefert wurde. Der Umschlagplatz Sinzig hat sicher dazu beigetragen, dass diese Manufaktur floriert hat."
Nur wenige Schritte vom Museum entfernt, kommen wir zum Zehnthof. Und dort stimmt sich gerade ein Cello ein, eine Celloschule. Der 15-jährige Gregor Lawrenz spielt uns auf seinem Instrument sein Lieblingsstück: eine Filmmusik aus "Der Herr der Ringe", begleitet von Monika Tecker-Johnson.
Handgemachte Musik aus dem kleinen Sinzig. Und wir sind also am Zehnthof von Sinzig, und wir sind im Machtbereich der "Herrn der Ringe". Hier stand früher die karolingische Pfalz von Pippin. Also Königspfalz plus Zehnthof plus Stadtkirche Sankt Peter - das war die Drehscheibe, auch an der wichtigen Krönungsstraße nach Aachen. Das wollen wir später noch aufgreifen. Und man fragt sich, wer diese mächtige, diese spätromanische Kirche finanziert hat? Franz Peter Zimmermann:
Franz Peter Zimmermann: "Wir haben eine Urkunde heute noch greifbar, aus dem Jahre 855, von Kaiser Lothar I.. Das ist der Enkel Karls des Großen gewesen. Und er hat in dieser Urkunde dem Marienstift zu Aachen - die Vorgängerkirche, er nannte sie 'Capella' damals, den Vorgängerbau des Zehnthofes, das war die karolingische Kaiserpfalz - den Zehnten aus Ländereien und große Grundstücksflächen geschenkt. Und das Marienstift zu Aachen ist von diesem Tag an hier in Sinzig präsent gewesen, bis 1804. Und von daher gehen die Historiker davon aus: Das Marienstift Aachen steht hinter dem Kirchbau. Kommt noch ein zweiter Punkt dazu. 1220, wo man so den Baubeginn vermutet, war der Herrscher Friedrich II., der Enkel Barbarossas, der aus Sizilien kam. Und es ist durchaus denkbar, dass die Staufer hier mitfinanziert haben, weil sie ihre Macht hier präsentieren wollten."
Nussbaum: "Und wir kommen in eine Probe für den 'Orgelsommer in Sankt Peter'. Diese Konzertreihe gibt es seit rund 25 Jahren. Und sie beginnt wieder Mitte August. Und fast möchte man meinen, einer der frisch gewählten deutschen Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation betritt mit festlichem Gefolge, auf seiner Reise über Sinzig zur Krönung nach Aachen, soeben diese Kirche. Zu diesen Konzerten und Konzertproben biegen viele der Radwanderer vom Rhein ab, rüber zu Sankt Peter. Übrigens: Der Eintritt, ob Probe oder Konzert, ist immer frei. Und hier draußen, vor der Kirche, auf dem Marktplatz wollen wir den Hintergrund der Krönungsstraße etwas ausweiten. Wer durch Akklamation, später durch die Mehrheit der Stimmen der Kurfürsten in Frankfurt, zum deutschen König gewählt werden wollte, der musste damals immense Bestechungssummen investieren. Welche Rolle spielt Sinzig?"
Zimmermann: "Sinzig war ja nach wie vor Reichsgut, wenn auch der Zehnthof, die Pfalz und die Kirche den Aachenern gehörte. Aber die Stadt selbst wurde als Pfand von den Königen und Kaisern benutzt; meistens, um Kredite damit abzusichern. Und der Kaiser sagt, ich verpfände dir Sinzig mit seiner Steuerkraft so lange, bis der Kredit mit Zinsen zurückgezahlt ist. Und im 13. und 14. Jahrhundert, da wechselten innerhalb kürzester Zeit die Gläubiger für Sinzig so oft, dass hin und her verpfändet, weiterverpfändet [wurde]."
Nussbaum: "Wo kam denn der Reichtum von Sinzig her?"
Zimmermann: "Die Sinziger haben ihr Einkommen erzielt, aus dem, ich sage das mal, dem Übernachtungsgewerbe - durch die vielen Pilger, Könige, Kaufleute, die hier ihr Geld gelassen haben - und über den Weinbau."
Nussbaum: "Davon werden wir auch noch ein Gläschen kosten. Und dann sehen wir Besucher mit kompakten Sportfahrrädern. Die sehen aus, als hätten sie nicht nur einen kleinen Sonntagsspaziergang eingeplant."
Radlerin: "Wir haben heute noch nicht so viele Kilometer in den Beinen, weil wir heute nach Bad Neuenahr gefahren sind, und wollten uns hier das Ahrtal mit dem Fahrrad erwandern. Wir stammen aus Thüringen."
Nussbaum: "Ich weiß, dass der Deutschlandfunk sehr viele Hörer in Thüringen hat. Wo kommen Sie denn da her?"
Radler: "Aus dem Kyffhäuser Kreis, in Nord-Thüringen."
Nussbaum: "Bad Frankenhausen, sagt mir was."
Radler: "Also wir sind schon am Rhein entlanggefahren mit dem Rad. Dann waren wir im Bergischen Land mit dem Fahrrad, sind dort zwei Tage rumgefahren. Das war sehr interessant."
Nussbaum: "So kann man etwas 'er-fahren', mit dem Rad erfahren. Der Kyffhäuser, wo Sie herkommen, wo Kaiser Rotbart auf sein Comeback wartet. Sinzig nennt sich eine Barbarossa-Stadt, weil Friedrich I. mindestens viermal hier in Sinzig in der Pfalz - in der Zeit als Wanderkaiser ohne festen Wohnsitz - geweilt hat. Auch bei Barbarossas Krönungszug hat er in Sinzig übernachtet. Er war bei seiner Wahl zum deutschen König 29 Jahre alt und wir lesen:"
Am 4. März 1152 wird Friedrich I. in Frankfurt fast einstimmig gewählt. Am darauffolgenden Tag nimmt er den Treueid der anwesenden Fürsten entgegen und bescheidet die Versammlung für den 09. März nach Aachen, zu seiner Krönung. Er selber schifft sich mit einem kleinen Gefolge in Frankfurt ein und fährt den Main abwärts, dann auf dem Rhein bis Sinzig. Friedrich soll, laut Quellen, auch von rund 3000 schwäbischen Rittern und Knappen begleitet worden sein. Man kann vermuten, dass dieser Tross den königlichen Schiffen, auch zur Sicherung, beiderseits des Rheins auf dem Landweg folgt.
Die letzten 100 Kilometer von Sinzig nach Aachen auf unbefestigten, morastigen Feldwegen. Es ist erst Anfang März. Zwischen Sinzig und Aachen ist also ein gewaltiger Lindwurm unterwegs. An den Steigungsstrecken aus dem Ahrtal direkt in die Eifel hoch muss vorgespannt werden. Zweiräderige Karren und Gepäck und Fourage. Weitere Übernachtungen in total überquellenden Eifeldörfchen von vielleicht 50 verschreckten Einwohnern.
Mit dabei: Prunkzelte, Ersatzpferde, unförmige Kästen auf Rädern, als Kutschen für vielleicht hochschwangere Königinnen. Herolde, Erzbischöfe, Äbte, wichtige oder wichtigtuende Berater - all das schleppt sich mühevoll mit Achsen- und Speichenbruch gen Aachen. Und hier in einigen Eifel-Orten hinter Sinzig gibt es noch Straßenbezeichnungen wie "Kaiserkammer", "Alte Straße" oder auch "Königsgraben". Wir lesen weiter:
Auf dieser Strecke waren aber auch Tuchhändler aus Aachen, Handwerker aus Oberitalien, Kunstschmiede aus Flandern und Pilger an das Grab Karls des Großen unterwegs. In den Jahren der Aachener "Heiligtumsfahrt" waren von Sinzig nach Aachen mehr wundergläubige Pilger unterwegs, als auf den Wegen nach Santiago de Compostela.
Krönungszüge über Sinzig hat es mindestens zwei Duzend gegeben. Lassen Sie uns noch einen Nachdenkenswerten herausgreifen: Barbarossas Sohn, der erst vierjährige Heinrich VI., er rumpelt 1169, nachdem auf Drängen des Vaters die Fürsten das etwas schmale Büblein zu Bamberg gewählt hatten, auch über diese Route nach Aachen. Mit dem erst vierjährigen Knirps ist auch dessen siebenjährige Braut, Anna von Brabant, in Aachen mit dabei.
Wir sind mittlerweile im Ortsteil Bad Bodendorf angekommen; ein kleines Mineralbad. Und in Bad Bodendorf ist bis vor 40 Jahren Wein angebaut worden. Nun plant man, das unter dem Flaschenetikett "Barbarossa-Rotwein" wieder aufzugreifen. Und Barbarossa lädt uns vielleicht zu einem Gläschen ein:
Winzer: "Zum Wohl!"
Nussbaum: "Lecker ist er."
Winzer: "Aufgrund der guten Qualitätsrebsorten im Gebiet Bad Bodendorf sind nunmehr einige Ahr-Winzer daran interessiert, diesen Anbau auch professionell weiterzubetreiben."
Nun zieht es uns zu unserer letzten Station in das das kleine Rosen-Paradies Löhndorf, oben auf die Eifelhöhen. Und Johann Wolfgang von Goethe und die Gebrüder Schäfer, als Sänger und am Flügel, stimmen uns schon etwas ein.
Sah ein Knab' ein Röslein steh'n
Röslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschön
lief er schnell es nah zu sehn
sah's mit vielen Freuden.
Röslein, Röslein, Röslein rot
Röslein auf der Heiden.
Ein früheres Armeleute-Eifeldörfchen, das mit dem Ende der Misthaufen vor den Gehöften, irgendwann vielleicht vor 40 Jahren anfing, eine neue dörfliche Duftmarke zu suchte. Die Zahl der Rosenstauden und Blüten ist niemals notiert worden. Es mögen 20.000 oder 50.000 mittlerweile sein? Und man braucht fast alle seine Sinne für das Überangebot von Rosen- und Rosendüften. Es geht mir wie dieser brummigen Hummel, die grade betört oder besoffen von den Farben und Düften in eine Blüte reinkriecht. Dorothee Weber:
Dorothee Weber: "Und die Rose bestimmt unterdessen das Bild des Dorfes. Und jetzt auch, seit ein paar Jahren, finden wir den Garten der Begegnung mitten im Dorf. Zur Rose habe ich immer schon ein besonderes Verhältnis."
Nussbaum: "Ich hab mich selber auch gefragt, als ich heute Morgen losgefahren bin, was ich für eine Erinnerung an Rosen hab? Und habe mein Hochzeitsbild mitgebracht. Das ist etwa 45 Jahre alt. 18 Jahre. Und meine Frau hat also auch diesen Hochzeitsrosenstrauß."
Weber: "Die rote Rose wird immer das Symbol der Liebe sein. Und Sie wissen ja auch, dass im christlichen Glauben die Rose eine Riesenbedeutung hat. Es ist ein Ros' entsprungen. Also, ich denke die Rose steht für sehr, sehr vieles."
Nussbaum: "Wenn ich in Ihrem Dörfchen hier eine Distel oder eine Brennnessel wäre, dann hätte ich es schwer?"
Weber: "Überhaupt nicht, weil: Es gibt ganz viele Ecken, auch, die naturbelassen sind. Und auch in meinem Garten gibt es eine Ecke, wo die Brennnessel existieren darf."