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Krude Körper

Zeitgenössische österreichische Kunst? Da denkt man an Arnulf Rainer, Alfred Hrdlicka oder an Otto Mühl. Der Name Maria Lassnig dürfte hingegen weniger bekannt sein. Dabei steht gerade ihr Schaffen für ein Österreich, das sich als modern und aufgeschlossen versteht.

Von Beatrix Novy | 08.09.2009
    "Bei mir ist überhaupt alles absurd. Alles in meinem Leben ist absurd , mehr kann ich nicht sagen."

    Im letzten Frühjahr zeigte das Museum für Moderne Kunst in Wien eine Ausstellung mit Maria Lassnigs Alterswerk; das Werbeplakat zeigte ein Bild namens "Du oder ich". Wochenlang war man in Straßen und U-Bahnstationen konfrontiert mit der Vorderansicht einer nackten alten Frau, die gespreizten Beine gleichsam aus dem Bild schiebend, eine Pistole in jeder Hand: Mit der linken zielt sie an ihre Schläfe, mit der rechten auf den Betrachter. Der offenstehende Mund trägt den fragenden Ausdruck, der für viele Selbstporträts von Maria Lassnig charakteristisch ist: Das "oder" bleibt hier stehen für alle Zeit.

    Es ist eine vergleichsweise realistische Darstellung, auf vielen anderen Bildern springt Maria Lassnig ganz anders mit ihrem Körper um, dessen Darstellung die verschiedensten Phasen ihres Schaffens immer begleitet hat: das Gesicht unterm kahlen Schädel wie verzogen, deformiert, die Nase zum Rüssel verbogen oder zur Hundeschnauze, der Körper ein Torso ohne Arme, die Augen helle blicklose Höhlen oder wie Schweinsäuglein oder die Nase – gar nicht da.

    "Die Nase, die hab ich gefühlt einfach wie ein Loch, ein Ringel herum, das sind die Nasenflügel. Oder den Mund einfach als eine heraushängende Zunge, sonst nichts, auch gar keine Augen, nicht weil sie geschlossen waren; die hab ich einfach nicht gefühlt. Dann ist es nicht da."

    Maria Lassnig war immer fern von jener medienadäquaten Selbstdarstellung, die bei vielen Künstlern schon Teil des Werks ist. Dafür vermag sie ihre Absichten in einfachen und passenden Begriffen verständlich zu machen. Für die Suche nach einem Ausdruck für das, was wir selten reflektieren: das Körpergefühl, hat sie den sprechenden Ausdruck Körperbewusstseinsmalerei gefunden – oder "Body awareness painting", ein Wort, das schon mehr das Zeug zur Marke hat. Da spielt auch ihre Zeit in New York eine Rolle, wo man ihre "Selbstporträts" einst nur verspottete. Nach New York war sie 1968 gegangen, auch sie wollte einmal ins Zentrum der herrschenden Kunst-Strömungen, Fluxus, Pop-Art, all das, was sie, wie jede andere Richtung, immer nur touchiert, aber niemals wirklich vereinnahmt hatte.

    Sie war eben eine Kärntnerin, aus kleinen Verhältnissen, eigensinnig und stur, wie sonst hätte sie es, nach einer Anstandszeit als Lehrerin, nach Wien an die Kunstakademie bringen können? Noch dazu auf dem Fahrrad und mitten im Krieg, 1941. Viele Jahre später, 1992, vertonte Maria Lassnig ihre Geschichte als Kantate – vorgetragen in einem Zeichentrickfilm, mit der hinreißend komisch-traurigen Haltung, die die speziell Lassnigsche Ironie ausmacht.

    "So ward ich denn gesandt auf die Akademie
    ich malte besser als so mancher Mann
    ich glaubte an die Kunst und glaubte auch, dass sie
    die Menschheit bessern, glücklich machen kann"


    Nach dem Krieg hatte Maria Lassnig ihr Künstlerleben in Klagenfurt und Wien aufgenommen. Ihren Weg in die Innenschau der Körperlichkeit schlug sie früh ein, auch wenn sie vorerst abstrakt und der Bewegung des informel gemäß malte, zusammen mit Arnulf Rainer stellte sie in Klagenfurt eine Schau zur unfigurativen Malerei auf die Beine. Ein Stipendium führte sie 1951 nach Paris, schon in den 60ern galt sie als bedeutende österreichische Künstlerin – nur richtig bekannt war sie da noch längst nicht.

    "Erst nach langer Zeit hat mir jemand gesagt, Maria, du bist ja berühmt, da hab ich blöd geschaut, weil ich hab das nicht geglaubt, ich schau jetzt noch immer blöd wahrscheinlich."

    Zweimal, 1982 und 1997, nahm sie an der documenta teil, 1980 gestaltete sie zusammen mit Valie Export den österreichischen Pavillon bei der Biennale in Venedig. Aber noch vor wenigen Jahren musste ein Wiener Chefarzt darüber aufgeklärt werden, dass die neu aufgenommene Patientin auf seiner Station, diese Frau Lassnig, Österreichs berühmteste Malerin ist. Was Maria Lassnigs frühen Ruhm verhinderte: ihr künstlerischer Eigensinn, ihr nicht einzuordnendes Schaffen, das hätte womöglich einen Mann geradezu befördert.