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Kruditäten am Haus an der Bismarckstraße

Recht zu sich gekommen scheint die Deutsche Oper Berlin noch nicht. Robert Carsen inszeniert eine ausgesprochen klamaukige Version von Prokofjews "Liebe zu den Drei Orangen". Immerhin geht es musikalisch unter Steven Sloane zackig zur Sache.

Von Georg-Friedrich Kühn | 10.12.2012
    Laut geht’s hier zu, krachend laut. Gleich zu Beginn stürmen sie durchs Parkett auf die Bühne: Die einen fordern Tragödie, die anderen Komödie, dritte was Lyrisches. Oder einfach Spektakel. Auch die Kunst-Polizei ist mit von der Partie, lümmelt anschließend in der ersten Parkettreihe mit MG im Anschlag und greift auch immer wieder ein.

    Ein Theaterstück über Theater sollte nach den Vorstellungen des russischen Theater-Erneuerers Wsewolod Meyerhold diese "Liebe zu den drei Orangen" nach Carlo Gozzis Komödienentwurf "L’amore delle tre melarance" sein. Theater nicht mehr als illusionistische Imitation des Lebens sondern eines, das nach eigenen künstlichen Gesetzen funktioniert und diese Künstlichkeit auch ausstellt.

    In der Inszenierung der von Sergej Prokowjew nach Meyerhold komponierten Oper in Berlin sitzt der König, der seinen gemütskranken Sohn geheilt wissen will, vor einer Brecht-Gardine mit dem in Sütterlin schwarz geschriebenen Titel "Dreigroschenoper" und rot darüber dem französischen Stück-Titel. Brecht betrachtete sein Theater bekanntlich als Kind des russischen Theater-Oktobers.

    Die Theatermacher der Berliner "Drei Orangen"-Produktion an der Deutschen Oper nehmen allerdings die Brecht-Meyerholdschen Vorgaben nicht besonders ernst, blicken mehr auf den eigenen Bauchnabel als in die Welt der Abstraktion, die da mal gemeint war.

    So geht’s in dieser Produktion unter Leitung des Regisseurs Robert Carsen doch recht krass über Stock und Stein. Der Spaßmacher Truffaldino, den der König engagieren lässt, um den Prinzen zu erheitern, rauscht im Spielmobil über Bühne und Bildschirm mittenmang ins mit Arznei-Kapseln tapezierte Krankenzimmer des Prinzen.

    Auch beim Ausflug in einen Puff regt sich beim Prinzen nichts trotz Damen-Akrobatik. Nicht mal die feine Gesellschaft, die auf dem roten Teppich versammelt wird, um der Eröffnung der Berlinale im "Zoo-Palast" und 3D-Versionen von Chaplins großem Diktator beizuwohnen oder stummen Interviews mit dem Berlinale-Chef zu lauschen, kann den Prinzen erheitern. Nur das Vorbeischlurfen einer Plastiktüten bepackten Alten löst bei ihm einen Lachkrampf aus.

    Doch die Alte ist die böse Fee Fata Morgana, des Prinzen Feindin. Sie verflucht ihn, die drei Orangen in der Wüste zu suchen, die allerdings erst mal der Köchin, die gerade auf dem Klo sitzt, entrissen werden müssen. Und wenn man die Orangen öffnet, entsteigen ihnen durstige Prinzessinnen – wobei die Theatermacher sich nun wirklich einen dicken Scherz erlaubt haben.

    Als die drei Orangen werden die drei Berliner Opernhäuser dargestellt, die weniger nach Wasser als nach Geld dürsten, was der mit Hojotoho der Deutschen Orange entsteigenden Prinzessin Ninetta, auch übergekübelt wird. Triumph!

    Im Abspann leuchtet dann noch das Signet des "berliner ensemble[s]" auf. Aber ob ein Brecht mit solchen Kruditäten sich hätte anfreunden können? Das Opernpublikum allerdings war’s zufrieden, klatschte heftig Beifall. Und immerhin musikalisch geht es unter Steven Sloane zackig zur Sache.

    Recht zu sich gekommen scheint das Haus an der Bismarckstraße allerdings noch nicht. Nach dem nur musikalisch bemerkenswerten Auftakt mit Lachenmanns "Mädchen mit dem Schwefelhölzchen", einem im Religions-Kitsch vergeigten "Parsifal" und der Einweihung der neuen Kleinen Bühne mit einer dilettantischen Off-Truppe nun diese klamaukige "Liebe zu den drei Orangen".

    Wo geht’s denn nun zur Theater-Kunst?

    Links bei Dradio.de
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