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Kubricks Film-Schocker auf der Bühne

Stanley Kubricks legendärer Film "A Clockwork Orange" aus dem Jahr 1971 handelt von expliziter Gewalt, von brutalem Mord. Aber auch davon, wie der Gewalt-Freak aufs Schmerzlichste selbst zum Opfer privater und staatlicher Gewalt wird. Jetzt hat David Bösch am Schauspiel Zürich den Stoff auf die Bühne geholt und auf die Bedürfnisse der Fun-Gesellschaft zurechtgestutzt.

Von Cornelie Ueding | 29.05.2008
    Der Spielraum: eine mit kuschelig weißem Kunstfell ausgekleidete, überdimensionale Spielzeugkiste. Darin verteilt Krimskrams und Krempel: umgekippte Kinderstühlchen, ein von innen beleuchteter Mickey-Mouse-Kopf, Spielzeugreste und Häschenmasken, Schallplatten und pelztierbehängte Mikrofone. Sowie drei 60er-Jahre-Sessel für die leicht gerupften Helden dieses Erinnerungsszenarios an eine behütete Kindheit. Kindheits-Ausbrecher, die nun, etwas in die Jahre gekommen, in diesem harmlosen Durcheinander zu viel Musik ihre glorreichen Jugendsünden Revue passieren lassen und damit andere, uns, ein dankbar kicherndes Publikum – unterhalten.

    Gute Laune statt grauser Taten: Quälereien Hilfloser, Vergewaltigungen, Überfälle, ein Mord, das lässt David Bösch seine drei Akteure in Zürich mit, ja: lässiger Selbstverständlichkeit erzählen, singen, rocken; ja geradezu verführerisch heiter, Einverständnis mit dem Publikum herstellend, sprechen und grimassierend illustrieren und vertanzen. Einen Jux wollen sie sich machen. Was sonst. Damals wie heute. Die drei sind rhythmisch hervorragend aufeinander eingespielt, mit kleinen individuellen Nuancen und Ausrastern. Pete mit seiner verschwitzten Clownsmaske ist für alles zu haben. Doofie, der Mann fürs Grobe, macht mit unbewegtem Gesicht aus Polizisten lächerliche Kasperlpuppen, die ihn schon mal am Ohr ziehen und mit ihren Holzköpfen auf ihn einklopfen dürfen – bis es ihm reicht. Und Alex, der nicht unumstrittene "Anführer" der in Zürich auf drei Figuren geschrumpften "Gang", ist und bleibt der nette Junge von nebenan. Ein Charmebolzen – der sich selbst stolz einen Wahnsinns-Dreckskerl von einem Sportsfreund nennt.

    Virtuos wechseln sie alle die Sprechweisen. Jörg Pohl als Erzähler und Drahtzieher Alex fistelt genüsslich und komisch, wenn er von schnatternden kleinen Mädchen spricht, äfft, ganz Strahlemann, ihr ängstliches Gequieke nach, wenn er und die "Seinen" – sie waren eben keine blöden Hippies – sich schließlich über sie hergemacht hatten. Nur ganz selten lässt er einen Subtext, eine zweite Spur der Härte, der Lust am Quälen ahnen. Angstschreie, sagt er, sind wie Musik in seinen Ohren. Das muss man sich wohl so ähnlich vorstellen wie die Wirkung von Beethovens "Neunter", die ihn angetörnt und zu immer neuen Großtaten inspiriert habe.

    Tja, mit der erhofften besänftigenden Wirkung großer Kunstwerke ist es also nicht weit her. Und alle anderen Strafen und Besserungsversuche versagen ebenfalls. Die neue Ludovico-Methode soll ihn zum funktionierenden Automaten machen. Im Text ist sie Ausdruck der in der Gesellschaft institutionalisierten und von ihr sanktionierten Gewaltsamkeit: Aufgehängt und festgezurrt muss sich Alex Großaufnahmen von Folter und Gewaltopfern ansehen. Aber wie entstehen solche Bilder? Es muss ja Täter und Mittäter gegeben haben. Und die Filmmitschnitte hat vielleicht sogar einer der heuchlerischen Gewalt-Gegner gemacht! Danach biegt sich Alex, kurzzeitig, vor Schmerzen, wann immer er selbst ausrasten will – doch ein Sprung aus dem Fenster kuriert ihn von diesem Übel. Nachdem alle Knochenbrüche geheilt sind, spricht er wieder in zufriedenstellender Weise auf die bewährten Testmethoden an: will nix als dreinschlagen und dem Pfau die Federn seines stolzes Rades einzeln ausreißen. Die Welt ist wieder in Ordnung. Gewalt gibt es nun mal und wird es immer geben. So einfach ist das. Der Schluss ist dünne. Auch wenn er ironisch gemeint sein sollte. Der Stachel sitzt nicht.

    Gewaltakte als Kunstwerke – beschrieben in einer künstlichen Sprache, die eine angenehme Distanz schafft. So als wären andere Menschen aufschlitzbare, mit rotem Saft gefüllte Puppen. Wenn Regisseur David Bösch zeigen wollte, dass Jugendliche wie Alex und Co Mord als schöne Kunst betrachten, ist seine zweifelsohne gekonnte, ästhetisierende Darstellung problematisch. Kubricks Kultfilm hatte dem rotzig-witzelnden Erzählton grausame Bilder unterlegt. Und die Diskrepanz zwischen Text und Bild machte den Film verstörend. In Zürich feiert die Fun-Gesellschaft einen Sieg über den Ernst des Gewaltthemas. Wem sollte sich nach soviel Jubel und Getrappel noch die Frage stellen, worüber man da so herzerfrischend gelacht und gekichert hat.