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Kühler Blick auf die harte Wirklichkeit

In den 1920er-Jahren begannen Maler wie George Grosz, Christian Schad und Otto Dix, die sozialen Abgründe in der Weimarer Republik in ihren Bildern festzuhalten. In den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden kann man wichtige Vertreter der sozialkritischen Malerei kennenlernen.

Von Carsten Probst | 01.10.2011
    Wer verstehen will, warum die Kunst in der DDR nicht einfach "DDR-Kunst" war, sondern mit dem Westen an einem gemeinsamen Erbe der Moderne partizipierte, sollte in diese Ausstellung gehen. Sie ist eine Schatzkammer der Neu- und der Wiederentdeckungen und eines einzigartigen Ausblicks auf die Wurzeln einer Kunstgeschichte des Kalten Krieges. Dass Dresden über die Schätze verfügt, um diese Kunstgeschichte in einzigartiger Weise zu schreiben, ist seit langem bekannt - dass die Staatlichen Kunstsammlungen und die Depots des Sächsischen Kulturfonds ein Zentrum für die Aufarbeitung der Kunst und Geschichte Deutschlands seit 1945 sein könnten, ebenfalls. Dass man sich hier diesem für die Gegenwart so elementaren Auftrag erst jetzt allmählich zu öffnen beginnt, ist wohl nur, wenn auch nicht wirklich befriedigend, mit der speziellen Vergangenheitsbewältigungspsychologie am Standort Dresden zu erklären.

    Schnell wird einem in dieser überreichen Schau klar, dass die Neue Sachlichkeit als Phänomen viel mehr ist, als es die als stilbildend angesehenen Bilder nahezulegen scheinen. "An die Schönheit" von Otto Dix vor allen Dingen, das oft als das Programmbild der Neuen Sachlichkeit schlechthin begriffen wird und den Künstler 1922 als rotwangigen Dandy mit stechendem Blick vor der Kulisse eines zeittypischen großstädtischen Vergnügungsetablissements zeigt; oder George Grosz' berühmtes "Porträt des Schriftstellers Max Herrmann-Neiße" von 1925 oder auch die Porträts von Conrad Felixmüller. Diese entweder in Dresden geborenen oder dort später praktiziert habenden Künstler pflegen bei aller zeichnerischen Strenge ihrer Bilder immer auch eine Affinität zum Expressiven, zur Überspitzung und zu einem gewissen, gesellschaftskritischen Lyrismus, der den Gedichten eines Gottfried Benn oder Georg Trakl verwandt zu sein scheint.

    Aber wer nur einen Blick auf die Gemälde des heute weithin unbekannten Richard Müller wirft, versteht, dass man es hier mit einem Realismus der etwas anderen Art zu tun hat. Dieser Richard Müller lehrte drei Jahrzehnte an der Dresdner Kunstakademie und darf sich im Nachhinein wohl mit Recht als eine Art Inspirator und Chefausbilder der Neuen Sachlichen bezeichnen lassen. Max Ackermann, Otto Dix, George Grosz, Rudolf Bergander und etliche andere gingen in seine Zeichenklassen, in denen er ihnen sein virtuos altmeisterlichen Handwerk des präzisen Zeichnens angedeihen ließ. Wer Müllers lange zu Unrecht übersehene, tief in die Tradition des akademischen Klassizismus zurückreichenden Gemälde in dieser Ausstellung sieht, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Preziosen wie die "Liegende mit dem Grünen Sonnenschirm" wirken in ihrem schwül-erotischen und zugleich verklemmten Hyperrealismus so übersteigert, dass man ihnen das Etikett der Konzept-Malerei andichten möchte.

    Und doch verdanken die Neuen Sachlichen Müller eben jenen klassizistischen Hang zu Präzision, zum Altermeisterlichen und zur Groteske wie keinem anderen. Neben den radikal flächigen Malereien eines Hermann Glöckner aus den 20er-Jahren wirken Müllers Gemälde wie unfreiwillige Vorwegnahmen der Pop Art. Otto Dix lehrte schließlich selbst seit 1927 an der Dresdner Akademie und bildete bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten 1933 insgesamt 51 Schüler aus, von denen viele Mitglieder der sogenannten Asso waren, der kommunistischen "Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler" und wurden wie Hans Grundig, Wilhelm Lachnit oder Ernst Bursche von den Nationalsozialisten als entartet eingestuft und verfolgt.

    Aus diesem Kreis rekrutierten sich später zahlreiche Künstler und Kunstlehrer der DDR, wie etwa der heute völlig zu Unrecht fast vergessene Curt Querner oder auch Karl von Appen, einer der ersten Lehrer Gerhard Richters, die in ihren modernen Spuren kaum mit dem späteren Begriff des Sozialistischen Realismus wirklich zu fassen sind. Gerhard Richter selbst mag in den 50er-Jahren in Dresden als junger Maler einiger sozialistischer Programmbilder noch am Erbe der Neuen Sachlichkeit partizipiert haben. Andere wie Georg Siebert interpretierten dagegen den Stil eher als eine Art naturalistische Heimatmalerei und waren damit auch im Dritten Reich als Kriegsmaler erfolgreich - ohne freilich dabei seinen neusachlichen Stil wesentlich zu verändern.