Warum kommt Afrika nicht voran, jedenfalls in der Mehrzahl seiner Länder nicht? Es liege an der mangelnden Disziplin seiner Landsleute, erklärte einmal der Präsident Ugandas, Yoweri Museveni. Klima, Geographie und Mentalität - was auch immer als Ursache angeführt werde, kann die Misere Afrikas dennoch nicht hinreichend erklären. In seinem klugen Buch über "Die Kraft Afrikas" sieht sich Rupert Neudeck, ein großer Liebhaber und Verehrer des Kontinents, gezwungen, immer wieder diese Misere zu umkreisen. Bei seiner Ursachenforschung trifft er allerdings immer wieder auf ein anderes Phänomen: die lange Tradition von Kleptokratie und Korruption, die Gewohnheit zahlloser afrikanischer Potentaten, ihr Land als ihren Privatbesitz zu betrachten und sich entsprechend die Taschen zu füllen. Einher gehe das mit einer unguten Gewöhnung an die Entwicklungshilfe, die Erwartung, das fremde Geld werde schon kommen, wenn es aus eigener Kraft nicht mehr reicht. Wie also könnte eine sinnvolle Unterstützung des Kontinents aussehen? Wahrscheinlich, sagt Neudeck, müsse man den afrikanischen Staaten ganz anders helfen, als man es von anderen Kontinenten und Situationen gewohnt sei.
Warum? Erkennbar hören afrikanische Regierungen, Verwaltungen, Häuptlinge und Clans auf, selbst zu arbeiten und sich selbst zu helfen, wenn von außen irgendeine Form von Unterstützung oder Hilfe kommt. Davon sind die asiatischen Nationen himmelweit entfernt: Sie konzentrieren alle Anstrengungen auf dieses eine große Ziel hin: sich unabhängig von der Hilfe zu machen. Sie alle haben in Katastrophensituationen Unterstützung aus der ganzen Welt bekommen, aber nach zwei Jahren spätestens kann man sich von dort entfernen, weil die Menschen wieder kräftig an der Arbeit sind.
Es ist Neudecks Stärke, nicht moralisierend zu argumentieren, sondern nüchtern, mit Blick auf den Nutzen. Und es nutzt Europa, Afrika zu helfen. Warum? Weil sonst alle jenen jungen Männer und Frauen, die derzeit die Festung Europa zu stürmen versuchen, nur das Vorspiel zu jenen Strömen sind, die sich in absehbarer Zeit über den alten Kontinent ergießen werden. Diese werden so gewaltig sein, dass sich ihnen nichts entgegenstellen können wird. Davon könnte Europa einerseits profitieren, denn die Schrumpfung und gleichzeitige Alterung der Gesellschaft lässt sich nur durch Einwanderung auffangen. Wie aber eine Immigration schaffen, die einerseits den europäischen Bedürfnissen gerecht wird und andererseits keinen massenhaften brain drain bewirkt, also die Abwanderung gerade der gebildeten Afrikaner? An diesem Punkt fließen Einwanderungspolitik und Entwicklungshilfe zusammen. Entwickeln, stimmt Neudeck dem tansanischen Präsidenten Julius Nyerere zu, können sich nur Menschen. Das aber setze nicht korrupte Regierungen voraus. Also empfiehlt Neudeck, sehr genau hinzuschauen, welchen Ländern man hilft.
Man müsste die wenigen Regierungen finden, die loyal genug zu ihrem Volk sind, um sich auf ein Programm einzulassen, das nicht auf der Rückführung von Migranten besteht. Man müsste solche Regierungen suchen, die auch mit ihren afrikanischen Nachbarstaaten etwas anderes vereinbaren als Militärpartnerschaften. Diese Länder müssten eine gute Investitionspolitik machen, Korruption im Keim ersticken, Landwirtschaft fördern, zukunftsträchtige Industrien aufbauen. Und nur solche Regierungen sollte man auf Dauer mit einer Partnerschaftspolitik unterstürzen. Nur mit ihnen zusammen lässt sich ein Teil des Problems, das sich in den letzten vier Jahrzehnten aufgestaut hat, wieder verringern.
Das heißt auch: Mit der Entwicklungspolitik alten Schlages lässt sich die Zukunft nicht gestalten. In einem wunderbar bösen Kapitel beschreibt Neudeck die Parallelwelt der Entwicklungshilfe-Industrie, die Delegierten, Referenten, Berater und Gutachter, die vor allem in einem stark sind: die mageren Ergebnisse ihrer Arbeit durch ein aufgeblähtes Vokabular herauszuputzen. "Nachhaltigkeit" und "Kohärenz" sind die derzeitigen Zauberworte der Szene. Tauchen sie in Projektbeschreibungen nicht auf, haben die Vorhaben keine Chance. Zugleich pflegen die Entwicklungshelfer einen Lebensstil, wie er von dem ihrer Schützlinge verschiedener nicht sein könnte: Bestbezahlte Vollprofis und "Festest-Angestellte", wie Neudeck anmerkt, versehen mit Auslandszuschlägen, Trennungs- und Unterhaltsgeldern: Sie führen eine verführerisch komfortable Existenz, die sie ungern wieder aufgeben. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Denn eine solche Existenz ist nur möglich, solange die zu Entwickelnden auf diese Hilfe angewiesen sind – also möglichst lange Zeit, am besten für immer. Das System hat größtes Interesse am Selbsterhalt. Spötter, berichtet Neudeck, übersetzten etwa das Kürzel der GTZ, der "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", gerne als "Gesellschaft für Tourismus und Zeitvertreib"; engagierte Unternehmer übersetzen es gar als "Gesellschaft für totalen Zusammenbruch". Hinzu kommt ein weiteres: Das Luxusleben der Helfer wirkt alles andere als überzeugend – gerade im Vergleich mit den Chinesen, mit denen Europäer und Amerikaner um die Gunst der Afrikaner, sprich: die Bodenschätze, konkurrieren.
Wir sind ja auch schwach geworden. Junge Helfer und Diplomaten-Ehepaare ziehen aus Afrika nach Europa, wenn die Frau schwanger ist und niederkommt. Sie haben Angst vor den Krankheiten des Kontinents. Die Chinesen sind da anders, stärker, weniger pingelig, sie sind mit einfachsten Unterbringungsmöglichkeiten zufrieden. Selbst die staatlichen Repräsentanten Chinas reisen nicht von einem Luxushotel zum nächsten, sondern checken in einfachen, kleinen Pensionen ein, weil sie nicht auffallen wollen. Sie sind überall, betreiben Handel, bringen Investitionen, sorgen mit ihren eigenen Arbeitskräften dafür, dass Stadien, Häfen, Rathäuser, Straßen entstehen.
Rupert Neudeck ist nicht umsonst einer der angesehensten Journalisten und Aktivisten. Ein kühler, klarer Blick verbindet sich mit nüchterner Argumentation. Neudeck scheut sich auch nicht, mit den frommen Gewohnheiten Deutschlands ins Gericht zu gehen, etwa der, den Ländern im Süden der Welt sehr viel durchgehen zu lassen, nur weil es das seit der Nazi-Zeit gärende schlechte Gewissen so will. Ein schlechtes Gewissen macht aber noch keine gute Politik. Die hätte Afrika aber verdient – seiner Menschen wegen, von denen Neudeck in seinem Buch sehr bewegende, beeindruckende Bilder zeichnet. Sie sind es auch, deretwegen er den Kontinent nicht verloren gibt.
Rupert Neudeck, "Die Kraft Afrikas. Warum der Kontinent noch nicht verloren ist". Verlag C.H. Beck 2010, 288 S., 19,95 Euro, ISBN: 978-3406598579
Warum? Erkennbar hören afrikanische Regierungen, Verwaltungen, Häuptlinge und Clans auf, selbst zu arbeiten und sich selbst zu helfen, wenn von außen irgendeine Form von Unterstützung oder Hilfe kommt. Davon sind die asiatischen Nationen himmelweit entfernt: Sie konzentrieren alle Anstrengungen auf dieses eine große Ziel hin: sich unabhängig von der Hilfe zu machen. Sie alle haben in Katastrophensituationen Unterstützung aus der ganzen Welt bekommen, aber nach zwei Jahren spätestens kann man sich von dort entfernen, weil die Menschen wieder kräftig an der Arbeit sind.
Es ist Neudecks Stärke, nicht moralisierend zu argumentieren, sondern nüchtern, mit Blick auf den Nutzen. Und es nutzt Europa, Afrika zu helfen. Warum? Weil sonst alle jenen jungen Männer und Frauen, die derzeit die Festung Europa zu stürmen versuchen, nur das Vorspiel zu jenen Strömen sind, die sich in absehbarer Zeit über den alten Kontinent ergießen werden. Diese werden so gewaltig sein, dass sich ihnen nichts entgegenstellen können wird. Davon könnte Europa einerseits profitieren, denn die Schrumpfung und gleichzeitige Alterung der Gesellschaft lässt sich nur durch Einwanderung auffangen. Wie aber eine Immigration schaffen, die einerseits den europäischen Bedürfnissen gerecht wird und andererseits keinen massenhaften brain drain bewirkt, also die Abwanderung gerade der gebildeten Afrikaner? An diesem Punkt fließen Einwanderungspolitik und Entwicklungshilfe zusammen. Entwickeln, stimmt Neudeck dem tansanischen Präsidenten Julius Nyerere zu, können sich nur Menschen. Das aber setze nicht korrupte Regierungen voraus. Also empfiehlt Neudeck, sehr genau hinzuschauen, welchen Ländern man hilft.
Man müsste die wenigen Regierungen finden, die loyal genug zu ihrem Volk sind, um sich auf ein Programm einzulassen, das nicht auf der Rückführung von Migranten besteht. Man müsste solche Regierungen suchen, die auch mit ihren afrikanischen Nachbarstaaten etwas anderes vereinbaren als Militärpartnerschaften. Diese Länder müssten eine gute Investitionspolitik machen, Korruption im Keim ersticken, Landwirtschaft fördern, zukunftsträchtige Industrien aufbauen. Und nur solche Regierungen sollte man auf Dauer mit einer Partnerschaftspolitik unterstürzen. Nur mit ihnen zusammen lässt sich ein Teil des Problems, das sich in den letzten vier Jahrzehnten aufgestaut hat, wieder verringern.
Das heißt auch: Mit der Entwicklungspolitik alten Schlages lässt sich die Zukunft nicht gestalten. In einem wunderbar bösen Kapitel beschreibt Neudeck die Parallelwelt der Entwicklungshilfe-Industrie, die Delegierten, Referenten, Berater und Gutachter, die vor allem in einem stark sind: die mageren Ergebnisse ihrer Arbeit durch ein aufgeblähtes Vokabular herauszuputzen. "Nachhaltigkeit" und "Kohärenz" sind die derzeitigen Zauberworte der Szene. Tauchen sie in Projektbeschreibungen nicht auf, haben die Vorhaben keine Chance. Zugleich pflegen die Entwicklungshelfer einen Lebensstil, wie er von dem ihrer Schützlinge verschiedener nicht sein könnte: Bestbezahlte Vollprofis und "Festest-Angestellte", wie Neudeck anmerkt, versehen mit Auslandszuschlägen, Trennungs- und Unterhaltsgeldern: Sie führen eine verführerisch komfortable Existenz, die sie ungern wieder aufgeben. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Denn eine solche Existenz ist nur möglich, solange die zu Entwickelnden auf diese Hilfe angewiesen sind – also möglichst lange Zeit, am besten für immer. Das System hat größtes Interesse am Selbsterhalt. Spötter, berichtet Neudeck, übersetzten etwa das Kürzel der GTZ, der "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit", gerne als "Gesellschaft für Tourismus und Zeitvertreib"; engagierte Unternehmer übersetzen es gar als "Gesellschaft für totalen Zusammenbruch". Hinzu kommt ein weiteres: Das Luxusleben der Helfer wirkt alles andere als überzeugend – gerade im Vergleich mit den Chinesen, mit denen Europäer und Amerikaner um die Gunst der Afrikaner, sprich: die Bodenschätze, konkurrieren.
Wir sind ja auch schwach geworden. Junge Helfer und Diplomaten-Ehepaare ziehen aus Afrika nach Europa, wenn die Frau schwanger ist und niederkommt. Sie haben Angst vor den Krankheiten des Kontinents. Die Chinesen sind da anders, stärker, weniger pingelig, sie sind mit einfachsten Unterbringungsmöglichkeiten zufrieden. Selbst die staatlichen Repräsentanten Chinas reisen nicht von einem Luxushotel zum nächsten, sondern checken in einfachen, kleinen Pensionen ein, weil sie nicht auffallen wollen. Sie sind überall, betreiben Handel, bringen Investitionen, sorgen mit ihren eigenen Arbeitskräften dafür, dass Stadien, Häfen, Rathäuser, Straßen entstehen.
Rupert Neudeck ist nicht umsonst einer der angesehensten Journalisten und Aktivisten. Ein kühler, klarer Blick verbindet sich mit nüchterner Argumentation. Neudeck scheut sich auch nicht, mit den frommen Gewohnheiten Deutschlands ins Gericht zu gehen, etwa der, den Ländern im Süden der Welt sehr viel durchgehen zu lassen, nur weil es das seit der Nazi-Zeit gärende schlechte Gewissen so will. Ein schlechtes Gewissen macht aber noch keine gute Politik. Die hätte Afrika aber verdient – seiner Menschen wegen, von denen Neudeck in seinem Buch sehr bewegende, beeindruckende Bilder zeichnet. Sie sind es auch, deretwegen er den Kontinent nicht verloren gibt.
Rupert Neudeck, "Die Kraft Afrikas. Warum der Kontinent noch nicht verloren ist". Verlag C.H. Beck 2010, 288 S., 19,95 Euro, ISBN: 978-3406598579