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Kühlung ist das A und O

Joachim Knebel leitet am Karlsruher Institut für Technologie das Programm "Nukleare Sicherheitstechnik" und hat zahlreiche Simulationen zur Kernschmelze durchgeführt. Im Interview erläutert er, was bei diesem Prozess genau passiert.

15.03.2011
    Monika Seynsche: Wir haben es den ganzen Tag über gehört: Aus Japan kommen immer wieder widersprüchliche Meldungen, ob es nun schon zu einer Kernschmelze gekommen ist oder noch nicht. Einer, der sich auskennt mit Kernschmelzen ist Joachim Knebel vom Karlsruher Institut für Technologie. Er leitet dort das Programm nukleare Sicherheitstechnik und hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Simulationen zur Kernschmelze durchgeführt. Herr Knebel, was passiert denn eigentlich genau bei einer Kernschmelze?

    Joachim Knebel: Bei einer Kernschmelze kommt es zu einem teilweisen Versagen der Brennelemente durch zu hohe Temperaturen. Also die Hüllrohre schmelzen, der Kernbrennstoff wird freigegeben, es bildet sich ein Schmelzesee aus Kernbrennstoff geschmolzenen Einbauten im Reaktor-Druckbehälter. Und jetzt hängt es ganz entscheidend davon ab, wie die Kühlung für den Reaktorkern aufrecht erhalten werden kann, also wie viel Kühlmittel, wie viel Wasser in den Reaktor-Druckbehälter eingegeben werden kann. Und wie dann die an das Kühlmittel übergebene Wärme auch nach außen abgeführt werden kann.

    Seynsche: Sie hatten gerade die Kühlung angesprochen. Zurzeit wird die ja noch von 50 Arbeitern durchgeführt, die wahrscheinlich noch dort sind. Auch da sind die Quellen etwas widersprüchlich. Was passiert denn, wenn diese 50 Arbeiter diese Kühlung nicht mehr aufrecht erhalten können, weil sie abgezogen werden müssen, weil es viel zu gefährlich wird?

    Knebel: Die Antwort, die ich Ihnen jetzt geben kann, liegt im Bereich der Spekulation, weil ich keine Aussagen davon habe, welche Funktionen der Anlage noch automatisch funktionieren, welche Funktionen von Menschen durchgeführt werden müssen. Was aber gesagt werden kann ist: Wenn die Zufuhr von Kühlmittel, von Kühlwasser in den Reaktor nicht aufrecht erhalten werden kann, dann verdampft das im Reaktor befindliche Wasserinventar. Und wenn kein Kühlmittel mehr vorhanden ist, dann überhitzen sich die Brennstäbe so weit, dass sie dann erst teilweise und dann gegebenenfalls ganz zusammenschmelzen können.

    Seynsche: Und warum wäre das so gefährlich, wenn es passieren würde?

    Knebel: Die Gefährlichkeit liegt darin, dass die heiße Kernschmelze in dem Reaktordruckbehälter nach unten, in den unteren Teil sich ausbreiten würde. Wenn es dann zum Versagen der Edelstahl-Kalotte, also der unteren Berandung des Reaktor-Druckbehälters kommt, dann tritt Kernschmelze in das Containment auf und dann besteht die Möglichkeit, dass sich die Kernschmelze durch das Betonfundament aus dem Reaktor heraus frisst.

    Seynsche: Aber dann würde sie doch einfach nur im Untergrund landen und wahrscheinlich lokal etwas verseuchen. Aber wäre das wirklich so ein großes Problem?

    Knebel: Das sind Dinge, die muss man wirklich im Detail angucken, wie die Bodenbeschaffenheit dort bei dem Kraftwerk ist, wie die Grundwasserbeschaffenheit ist, in welcher Menge die Kernschmelze, in welchem Zustand die Kernschmelze austritt. Ob sie sich im Containment verteilt oder ob sie lokal direkt in die Reaktorgrube eintritt. Das sind alles Spekulationen, die ich hier nicht als harte Fakten auf den Tisch legen kann. Das, was wir wissen ist, dass es jetzt von ganz entscheidender Bedeutung ist, dass die Arbeiter dort genügend Kühlwasser in den Reaktor hineinkriegen, um die Nachwärme abzuführen.

    Seynsche: Gehen wir mal davon aus, dass es zu einer solchen Kernschmelze kommt oder vielleicht ja auch schon gekommen ist. Wie lange würde so etwas denn anhalten? Also wann wäre dieser Spuk dann vorbei?

    Knebel: Das hängt auch wieder davon ab, wie die Kernschmelze in dem Reaktor vorliegt - ob die weit verteilt ist, was bei einem Hochdruckversagen des Reaktor-Druckbehälters der Fall wäre. Da würde die Kernschmelze unter hohem Druck in das Containment eingeblasen und sich weit verteilen. Da wäre sie leichter kühlbar, wenn man genügend Wasser hineinkriegt. Wenn die Schmelze sich in der Reaktorgrube ansammelt, ist die Kühlung deutlich schwieriger.

    Seynsche: Sie haben ja selbst Experimente, Simulationen durchgeführt zur Kernschmelze. Aufgrund dieser Erfahrung können Sie sagen, ob es irgendetwas gibt, womit man eine solche Kernschmelze aufhalten könnte?

    Knebel: Wir haben hier einen Kernfänger entwickelt. Das ist eine technische Vorrichtung, die nach unserem technischen Ermessen in der Lage ist, eine aus dem Reaktor-Druckbehälter austretende Kernschmelze zu stabilisieren und zu kühlen. Ein solcher Kernfänger mit einem ähnlichen Design ist ja in den neuen Generation-3-Reaktoren, die jetzt in Finnland, Frankreich gebaut werden, integriert. Diese neuen Reaktoren haben eine Vorrichtung, wo wir Ingenieure davon ausgehen, dass sie die Kernschmelze, sollte sie eintreten, stabilisieren kann. Die Reaktoren, wie sie in Japan an dem Standort auftreten, haben eine solche Vorrichtung nicht.

    Seynsche: Das heißt, dort könnte man nichts tun?

    Knebel: Da kommen wir dann in eine sehr schwierige Situation, wenn der Reaktor-Druckbehälter versagt, ja.