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Kühner Bilderverschränker

Die Nummer Z 10/2004 wird die letzte sein in Werner Tübkes Werkverzeichnis, eine Zeichnung, die kaum zwei Monate alt ist und doch schon einigermaßen weit entrückt wirkt wie die eines Klassikers. Sie zeigt laut Titel eine historische Häusergruppe in Samarkand, aber es wäre des Guten bei weitem zuviel, in dieses unauffällige Blatt irgendwelche Todesahnungen des Künstlers hineinzuinterpretieren. Der Tod kam für ihn unerwartet, falls das bei einem Maler wie Tübke, der sich selbst als Malermönch bezeichnet und so viel mit dem Tod beschäftigt hat, überhaupt statthaft ist, anzunehmen. Aber speziell in diesem Blatt zeichnet er einfach genau so, wie er fortwährend in seinem Leben gezeichnet hat, überaus präzis und doch frei, das heißt: nicht akademisch. Auf seine Weise war Tübke schon zu Lebzeiten ein Klassiker.

Von Carsten Probst |
    Nach der Wende wurde er allerdings erst einmal abgeschafft. Wie manch andere erfolgreiche Künstlerbiografie der DDR begann auch die seine eigentlich erst im Westen richtig, und zwar mit jener inzwischen fast legendären Ausstellung Anfang der siebziger Jahre in einer Mailänder Galerie, durch die vor allem Sammler in Westdeutschland nachdrücklich auf den Leipziger aufmerksam wurden. So läßt sich etwa bei der großen Retrospektive von Tübkes Zeichnungen auf Schloß Gottorf bei Schleswig, die seit einer Woche zu sehen ist, die im Grunde kaum erstaunliche Entdeckung machen, daß nahezu sämtliche Leihgaben zu Tübkes Werk aus westlichen Sammlungen stammen. Diese Bilder verkauften sich exzellent außerhalb der DDR, was übrigens dem alten Vorurteil widerspricht, in Westdeutschland interessiere man sich ausschließlich für Abstraktion und Konzeptkunst, während der Osten nur figürlichen Sozrealismus produzieren konnte. Genau dieses Vorurteil rastete aber pünktlich mit dem Fall der Berliner Mauer in den Köpfen ein.

    Hans-Werner Schmidt, Direktor des Museums der Bildenden Künste in Leipzig, der sich gut in der Norddeutschen Szene auskennt, berichtet, wie Werner Hofmann in den siebziger Jahren für die Hamburger Kunsthalle einige große Gemälde des Leipzigers ankaufte und sie jahrelang in der ständigen Sammlung präsentierte. 1989/90 verschwanden diese Bilder erst einmal in den Depots. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des deutschsprachigen Feuilletons exekutiert diese gewendete Stimmungslage bis heute in mitunter peinlichsten Formen des Geschichtsopportunismus, wenn etwa in Nachrufen auf Werner Tübke noch immer vom "anti-modernen" Auftragsmaler die Rede ist, über den die Geschichte hinweggegangen sei.

    Nichts weniger war Tübke als anti-modern, meint Eduard Beaucamp, der als Kunstkritiker der FAZ Tübkes Werk drei Jahrzehnte lang begleitet und seinerzeit auch nicht wenig zu dessen Bekanntheit im Westen beigetragen hat. Beaucamp sagt eigentlich nur, was er seit jeher und bei jeder Gelegenheit öffentlich sagt, daß die Zeit der modernen Kunst als dauernder Selbstbespiegelung und Selbstreduktion, wie sie im Westen in den siebziger und achtziger Jahren bekannt wurde, vorüber sei, daß die Sprache von minimal art und Konzeptkunst eben nicht mehr als Ausgangspunkt für Künstler verbindlich sei und die Karten der Kunstgeschichte gerade neu gemischt würden. In Bezug auf Werner Tübkes Werk dürfte diese Einschätzung allerdings wie sonst nur auf wenige zutreffen. Tübke war schon zu Lebzeiten ein störrischer Verweigerer gegenüber allem Zeitgeist.

    Die Geschichte seiner Ausmalung des Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen, mit 14 auf 141 Metern noch immer das quantitativ größte Gemälde Europas, zeigt, daß er es auch zu DDR-Zeiten gegenüber seinen offiziellen Auftraggebern verstand, seine künstlerischen Interessen durchzusetzen. Sein bisweilen geradezu irrwitziger und apokalyptisch getönter Realismus ist bei genauerer Betrachtung ein Patchwork aus unterschiedlichsten Stilen und kunsthistorischen Epochen. Als der Westberliner Maler Johannes Grützke Ende der achtziger Jahre mit einem ähnlichen Monumentalwerk, nur eben im Westen, nämlich mit der Ausmalung der Paulskirche in Frankfurt am Main zum Thema "Die Anfange der Deutschen Demokratie 1848" beauftragt wurde, sei auch Tübke gefragt worden, ob er sich nicht an der Ausmalung beteiligen wolle. Das jedenfalls berichtet Johannes Grützke bei diesem Symposion, der Tübke nach eigenen Worten als Bruder im Geiste betrachtet. Tübke habe damals jedoch abgelehnt mit der Begründung: Er sei nun einmal nicht auf das 19., sondern auf das 16. Jahrhundert spezialisiert.

    Wahrscheinlich ist es das, was vielen heute immer noch als anti-modern erscheint. Aber Tübke war kein schlichter Kopist klassischer Formen, kein akademischer Starrkopf und erst recht kein Historienmaler. Vielmehr holte er Geschichte mit hinein in die Absurditäten des 20. Jahrhunderts, und diese eigentümliche Mischung gibt vielen seiner Bilder den burlesken, leise ironischen Charakter, der ohne jede Pädagogik auskommt. Klebte man das Etikett "postmodern" darauf und ließe den Namen des Malers weg: Es wäre wahrscheinlich sogar "chic".