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Künast gegen NPD-Verbot

Georg Ehring: Die Agrarwende mit mehr Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 20 Prozent Marktanteil für Ökoprodukte am Lebensmittelmarkt, bäuerlichen Betrieben statt großer Agrarfabriken war ja das Motto bei Ihrem Amtsantritt. Vier Jahre danach geben immer noch überwiegend die kleinen Betriebe auf. Von Marktanteilsvorgaben für Ökoprodukte hat man lange nichts mehr gehört. Und jetzt zeigt es sich, dass es schwieriger ist, Freilandeier von Dioxin frei zu halten als Käfigeier. Fangen wir mal mit dem aktuellsten Thema an: Geht bei Ihnen der Tierschutz vor Verbraucherschutz?

Moderation: Georg Ehring |
    Renate Künast: Du meine Güte, also bei Ihren einleitenden Worten könnte man schon Depressionen kriegen, wenn man nicht wüsste, dass es so eigentlich gar nicht ist. Der Tierschutz steht im übrigen, um auf Ihre konkrete Frage zu antworten, in meiner Variante des Grundgesetzes drin: "... und die Tiere sind zu schützen", aus gutem Grund nach jahrzehntelanger Diskussion und dies ist ins Grundgesetz gekommen, weil alle mitgemacht haben bis hin zum bayerischen Ministerpräsidenten Herrn Stoiber, der ja hin und wieder mal einen tierschützerischen Ausfallschritt macht. Also sage ich mal, ich stehe mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz. Viele andere Dinge, die Sie angesprochen haben, sind nun alle nicht so. Also wir müssen jetzt nicht in große Tränen ausbrechen, sondern man kann schon einiges sagen: Den Landwirten geht es gut, sie schreiben schwarze Zahlen. Nach langem, tiefem Wehklagen hat sich gezeigt, dass auch die Ängste über die Erweiterung der Europäischen Union nicht zugetroffen haben sondern Absatzmärkte da sind. Und wir sind von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr im Bereich Lebensmittelsicherheit auf einer besseren Entwicklungsstufe, zum Beispiel auch, weil wir seit dem 1. Januar dieses Jahres Grenzwerte haben für Dioxin in Eiern, übrigens für alle Eier.

    Ehring: Welche Konsequenzen ziehen Sie denn jetzt ganz konkret aus diesen Dioxinfunden?

    Künast: Ja sehen Sie mal, im Gegensatz zu anderen, die darüber reden oder schreiben, habe ich meine Konsequenzen längst gezogen. Und zwar sehen die so aus, dass es darum geht, mit einer guten Umweltpolitik die Dioxinbelastung in der Umwelt und damit dann auch beim Futter für Hühner oder beim Boden, zum Beispiel beim Holz oder so, die tatsächlich zu reduzieren. Und angefangen mit dem Verbot von Holzschutzmittel Dioxin überhaupt, damit zum Beispiel die Großfeuerungsanlagenverordnung 2003 zu reformieren und für alle den Zwang aufzubauen, eben Dioxin massiv zu reduzieren – übrigens gegen den massiven Widerstand derer, die heute so leutselig tun und fragen, was wir tun. Dann haben wir einen Grenzwert erkämpft in Brüssel. Seit 1. Januar gilt eben EU-weit der Grenzwert für die Eier, denn Eier werden ja nicht nur in Deutschland produziert. Und seitdem haben die Bundesländer seit 1. Januar bei 3 Pikogramm pro Kilogramm dann überhaupt eine Eingriffschwelle. Dann können sie die Eier einziehen, sie dürfen nicht mehr zum Verzehr verkauft werden, sondern es geht dann rückwärts auf die Betriebe. Und genau da muss es stattfinden. Es gibt ja Käfigeier. Wir haben ja bei 66 Tests mal sechs Fälle gehabt, in denen Käfigeier den Dioxinwert überschritten haben. Da muss man gucken: Was passiert dort? Da liegt es meistens an dem Futtermittel. Dann bei Boden und Freiland hat es auch ein paar Fälle gegeben, wo man jeweils gucken muss, woran es liegt. Bei Öko hat es gar keine gegeben. Ich glaube, wir haben alle Maßnahmen ergriffen.

    Ehring: Das heißt, direkte Konsequenzen sind daraus nicht mehr zu ziehen?

    Künast: Ja, sagen wir mal so: Aufgrund unserer guten Politik haben wir dieses alles überhaupt erst entdeckt und haben wir jetzt erst das Werkzeug dazu eingerichtet. Also, die Debatte hat, glaube ich, durch ein anderes Interesse einiger, die gerne mal wieder sagen: Zur Grünen Woche flicken wir der Agrarministerin mal am Zeug – das ist eine absolut fehlgeleitete Debatte, die diskutieren da über irgend was, das ich ein echter Nebenkriegsschauplatz.

    Ehring: Das heißt, für Sie sind die Dioxinfunde jetzt kurz vor der Grünen Woche gezielte Kampagne der Käfigeierlobby?

    Künast: Na ja, ein Schelm, der Böses dabei denkt. Irgendwie fragt sich, wie der Unsinn zu dem Zeitpunkt hoch kommt. Und Sie sehen ja: Da bin ich ja mal endlich einer Auffassung mit dem bayerischen Agrarminister, der auch gesagt hat, dieses sind alte Zahlen, die uns ja gerade dazu bewegt haben, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen beziehungsweise wir sind schon seit mehreren Jahren dran.

    Ehring: Sie haben vor kurzem angedeutet, dass die kleinen Volieren, modifizierte Käfighaltung als Alternative doch wieder im Gespräch ist. Was meinen Sie damit? Worauf läuft es hinaus? Es soll ja eigentlich ab 2007 die Käfighaltung verboten werden.

    Künast: Die Käfighaltung ist auch verboten und bleibt verboten. Jetzt ist es so, dass es immer wieder Diskussionen und Debatten gibt von einigen, gibt es nicht noch Zwischenlösungen, die über dem europäischen stehen, die also berücksichtigen, dass wir hier das Käfigverbot haben? Und da habe ich ja mal einen Vorschlag gehabt, der diese 105 cm sozusagen betrifft als Möglichkeit, tatsächlich eine Kleinvoliere zu haben. Andere versuchen unter dem Deckmäntelchen Kleinvoliere eigentlich einen modernen Käfig einzuführen. Das ist das, was ich garantiert nicht mitmache. Jetzt steht das erst mal so im Raum.

    Ehring: Ihr Verhältnis zur Agrarlobby ist nach wie vor gespannt. Das ist jedenfalls mein Eindruck jetzt auf der Grünen Woche. Bauerpräsident Sonnleitner sagte zum Beispiel, die EU-Politik sei klarer und berechenbarer als die Agrarpolitik in Deutschland. Kann man nach Abschluss der Agrarreform nicht an einem Strang ziehen?

    Künast: Na, scheinbar nicht, sonst hätte er sich ja nicht zu diesem Satz verstiegen, den ich im übrigen nicht verstehe. Also ich kann ihn ja allenfalls erklären als eine Satz, der sozusagen zu populistischen Zwecken in die Welt gesetzt wird. Er hat ja offensichtlich auch mit Frau Merkel zusammen eine Presseerklärung herausgegeben, was mich schon wundert bei einem Verbandspräsidenten, dass er das mit dem einen tut, mit dem anderen nicht. Aber gut, ich wollte auch gar keine gemeinsame mit ihm herausgeben. Man kann ja ernsthaft nicht behaupten, die europäische Politik sei berechenbarer als die nationale, wenn das Ergebnis der europäischen Politik eine Reform ist, die wir hier systematisch betrieben haben und für die man mich sozusagen tausendfach beim Bauerntag 2001 ausgepfiffen hat, und der Bauernverbandspräsident vorne an. Damit wird Herr Sonnleitner leben müssen.

    Ehring: Die Kritik hat je den konkreten Hintergrund, dass die Bauern zum Beispiel Ihnen vorwerfen, Richtlinien aus Brüssel in Deutschland immer ein Stückchen schärfer umzusetzen als das sozusagen EU-Recht wäre und den Bauern damit Wettbewerbsnachteile zu machen.

    Künast: Herr Ehring, der Witz ist, ich könnte mich jetzt darauf zurückziehen zu sagen, auch in dieser Hinsicht bin ich berechenbar. Also kann Berechenbarkeit oder Unberechenbarkeit eigentlich gar nicht der Vorwurf sein. Nein, das kann es ja auch gar nicht sein. Sondern der Punkt ist doch: Herr Sonnleitner wollte da, glaube ich, einfach mal so einen kleinen Spaltungsversuch machen. Funktioniert aber nicht. Wir haben uns in Brüssel manche Regel erkämpft, zum Beispiel ist da die Tatsache, dass wir in Deutschland uns systematisch zu einer einheitlichen Flächenprämie arbeiten. Also alte Privilegien kommen weg und dafür beginnt jetzt ein System, das anfängt mit einer kleinen Grünlandprämie und aufhört mit einer einheitlichen Prämie. Dann bekommt jedes Bundesland, ob Bayern, ob Schleswig-Holstein, alle pro Hektar die gleiche Summe, und nicht die, die besonders intensiv wirtschaften und viel herauspressen, viel Chemie einsetzen, kriegen am Ende noch besonders viel Geld und die, die Weidehaltung machen, besonders wenig. Mit diesen Privilegien hören wir auf. Und während die Brüsseler Entkopplung von Produktion und Prämie sozusagen alte Besitzstände wahrt, machen wir eine systematische Umverteilung.

    Ehring: Was ist denn Ihre Zwischenbilanz, vier Jahre nach Beginn der Agrarwende?

    Künast: Na ja, ich glaube, wir sind schon einen guten Schritt weiter gekommen, weil die Regeln, die jetzt ab 1. Januar dieses Jahres gelten, welche sind, von denen vor vier Jahren nicht viele aus der Landwirtschaft darauf gewettet hätten, dass wir dann so weit sind, aber tatsächlich eines haben: Nicht mehr eine bestimmte Produktion wird besonders finanziert, sondern es ist davon abgekoppelt. Wir habe Umwelt- und Tierschutzauflagen in der Landwirtschaft. Wenn diese Minimalauflagen nicht eingehalten werden, kann man die Gelder kürzen bis hin zu gänzlichem Streichen bei wiederholten Verstößen, was hier vorher rechtlich nicht möglich war. Und da muss man schon sagen, wir haben einige Dinge auf den Weg gebracht. Wir haben mit der Modulation eine Kürzung um fünf Prozent bei den Direktzahlungen, und diese Gelder werden für die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung des ländlichen Raumes benutzt. Und mit einigen Tierschutzregeln, zum Beispiel bei den Käfigen, mit einem systematischen Umstricken von Agrarförderung überhaupt immer mehr auf regionale gemeinsame Pläne, immer mehr auf Qualität gesetzt, regionale Verarbeitung, regionale Vermarktung sind wir, glaube ich, schon einen guten Schritt weiter gekommen.

    Ehring: Ein Kernstück der neuen Agrarpolitik ist ja, Sie haben es gerade angesprochen, die Förderung des ländlichen Raumes. Und jetzt soll die zweite Säule der europäischen Agrarpolitik mit Zustimmung Deutschlands gekürzt werden. Wie passt das zusammen?

    Künast: Ach, das ist eine Verkürzung. Der erste Punkt ist der: Wir haben als Deutschland zusammen mit fünf anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ja das Ziel, die europäischen Kosten auch ein Stück zu begrenzen. Wir haben neue Aufgaben und wir können nicht unendlich als Nettozahler, also die, die mehr zahlen als sie zurück kriegen, in die EU unbegrenzt Geld überweisen. Welche finanziellen Probleme wir haben, im Bundeshaushalt, in den Länderhaushalten, in den Kommunen, ist ja wohl bekannt. Und daraus erklärt sich, glaube ich, auch, dass die einzige verantwortliche Strategie die ist, dass wir auch auf europäischer Ebene sorgsam mit dem Geld umgehen. Da wird es Debatten geben, da wird es auch Kämpfe geben an der Stelle. Wir haben aber dafür gesorgt, dass es keine Festlegung für eine Kürzung der Mittel des ländlichen Raumes gibt. Das wird überhaupt alles jetzt noch verhandelt.

    Ehring: In vielen Ländern wächst der Anbau gentechnisch veränderter Produkte. Auch bei uns werden sie ja auf dem Umweg über Tiermägen in großem Umfang verzehrt. Aber der Bauernverband muss Landwirten vom Anbau abraten, weil die Haftungsvorschriften nach seiner Ansicht kaum zu handhaben sind. Muss Deutschland da nachbessern um Chancengleichheit mit dem Ausland, auch mit dem europäischen Ausland, zu bekommen?

    Künast: Also, wenn wir verantwortlich Politik machen, müssen wir uns doch diesen Themenbereich mal anschauen und sagen: Welche Vorteil haben wir wovon und welche Nachteile können wir haben? Reichtum hat zum Beispiel der Gensoja-Anbau Argentinien nicht gebracht, im Gegenteil. Es haben vielleicht einige große Profiteure ordentlich Geld abgezockt, aber das war alles. Zwischenzeitlich haben sie sich sogar komplett verzockt in der Frage, wie viel braucht China zum Beispiel und andere für sie wichtige Exportmärkte, so dass sie jetzt auf GMO-Soja im wahrsten Sinne des Wortes sitzen. Ich sage ganz klar, es gibt – wieder mit beiden Beinen auf dem Grundgesetzt – auch das Recht am eingerichteten Betrieb. Das heißt, wir müssen auch sicherstellen, dass nicht durch eine schleichende Dominanz von Gentechnik sozusagen alle anderen Bauern, die schon da sind und konventionell oder ökologisch ohne Gentechnik arbeiten und arbeiten wollen, dass wir die nicht faktisch enteignen. Auch dafür bin ich verantwortlich. Und deshalb ist es richtig, Regeln zu machen. Und genau die haben wir mit unserem Gesetz geregelt. Nun ist ja nicht eine populistische Äußerung des Bauernverbandes – wenn der eine populistische Äußerung nach der nächsten tut, ist das ja nicht die Wahrheit. Zumindest wird das meinen Ansprüchen nicht gerecht. Wir haben ein Gesetzt gemacht, das sozusagen Mindestanforderung an Koexistenz überhaupt erst ermöglicht, also gegen die Dominanz von einem. Ansonsten müsste der Bauernverband ja die Frage beantworten, wer denn den anderen Bauern die Schäden bezahlen soll. Wollen Sie das bezahlen, wenn ein Ökobauer seine Produkte nicht mehr als Ökoprodukte verkaufen kann, und zwar über Jahre seine Zertifizierung verliert, weil sein Acker durch Auskreuzung und Samen komplett verändert ist, wollen Sie das bezahlen? Wenn ein konventioneller Bauer sagt: Ich habe eine gute Vermarktung, ich habe zum Beispiel nicht gentechnisch verändertes Futter geliefert irgendwo hin, wer bezahlt das denn?

    Ehring: In anderen Ländern gibt es zum Beispiel Haftungsfonds, Beispiel Niederlande, Dänemark, die von der Industrie gespeist werden. Sie haben gesagt, der Staat gibt kein Geld dazu – natürlich nicht. Aber kann er vielleicht Geburtshelfer für solche Haftungsfonds spielen?

    Künast: Na ja, nun ist es ja so, das sind alles Maßnahmen der Erwachsenenbildung. Ich weiß nicht, ob die mich nun bräuchten, um einen Fonds aufzulegen. Das sind alles kluge Leute, die schaffen auch sonst bis hin zum internationalen Handel vieles. Klar ist doch, dass unsere Haftungsregeln, die ja im übrigen nur die Fortsetzung der Haftung des Bürgerlichen Gesetzbuches ist, überhaupt nicht ausschließt, dass man da einen Haftungsfonds dranhängt. Das kann ja jederzeit gemacht werden. Da können sich die Landwirte zusammentun oder sozusagen die Saatguthersteller – na bitte. Ich habe ja gerade bei der letzten Lesung des Gentechnikgesetzes im Bundesrat erklärt: Hier ist Raum für einen Haftungsfonds und man kann sich hinsetzen. Ich weiß aber, dass vor kurzem noch einmal die Versicherungen abgefragt wurden, ob es um ein Versicherungsmodell geht. Die verneinen das und sagen, das finanzielle Ausmaß, das Risiko ist uns zu ungewiss. Denn Sie müssen ja mal wissen: Sie wissen ja nicht, ob Sie, wenn Sie einem gut situierten Ökobauern den Acker mit Saatgut so verunreinigen, haben die ja pro Hektar Zehntausende, Hunderttausende Saatkörner in ihrem Acker, die nach und nach kommen. Auf viele Jahre hinaus kann der ja dicht machen, kann er gar kein Ökoprodukt verkaufen. Der fängt bei Null an. Das sind ja unabsehbare Summen.

    Ehring: Halten Sie denn Gentechnik-Saatgut für unsicher, was von der EU genehmigt worden ist?

    Künast: Dann dürfte die EU es ja nicht zulassen. Ich weiß nur, wir wissen noch relativ wenig und da ist noch eine ganze Menge an Forschung nötig. Aber die andere Frage ist ja immer: Dieses ist natürlich auch ein Eingriff in die Natur im Sinne einer extremen Beschleunigung und Veränderung. Da kommen natürlich in einer große Menge Pflanzen mit Eigenschaften, bei denen man meines Erachtens noch nicht hinreichend weiß, welche Auswirkungen hat das zum Beispiel auf Biodiversität.

    Ehring: Zum Auftakt der Grünen Woche haben Sie ja aufgerufen zu großzügiger Hilfe für die Flutopfer. Betroffene Länder, zum Beispiel Thailand, verlangen die Aufhebung von Agrarhandelsbeschränkungen eher als Hilfsgelder. Der Dritten Welt gehen ja durch Zollschranken Milliarden Einnahmen verloren. Die EU will sich auch langsam von Exportsubventionen verabschieden. Wann fließen die letzten?

    Künast: Wenn wir mit der WTO-Runde durch sind und es positiv ist. Es ist ja so, dass die Europäische Union längst überlegt, ob einzelne Präferenzen für diese Länder auch vorgezogen werden. Diese Diskussion findet intern längst statt. Und darüber hinaus kann man ja nun ernsthaft sagen, Deutschland hat immer viel Druck gemacht und machen wir auch weiterhin, dass es tatsächlich EU-Agrarreform gibt. Da haben Sie den Bezug zu dem, was wir vor 20 Minuten besprochen haben, nämlich tatsächlich diesen Punkt, wir brauchen unsere Reformen, weil sie das handelsverzerrende endlich beenden müssen und die Handelsverzerrung, wenn man sie abbaut, zum Beispiel durch eine Abschaffung der Exportsubvention ja mehr Marktgerechtigkeit für andere Länder bringen. Aber auch dort sage ich: Wie in allen Dingen im Leben geht es hier nicht populistisch und platt und einfach, sondern jeder einzelne Reformschritt muss ja so sein, dass auch bei uns noch nachhaltige Landwirtschaft möglich ist, muss so sein, dass wir jetzt nicht international sozusagen einigen Präferenzen geben, die andere erdrücken. Also es geht mir nicht nur um Schwellenländer, sondern um die Ärmsten der Armen, wie man sagt, die am wenigsten entwickelten Länder. Für die muss auch Platz sein.

    Ehring: Bleiben wir bei der Zuckermarktordnung, die Sie gerade angesprochen haben. EU-Kommissarin Fischer-Boel will das ja in diesem Jahr über die Bühne bekommen. Wie ist denn da Ihre Haltung? Die Bauer wünschen möglichst hohe Preise und weiter möglichst Exportsubventionen, die armen Länder, die bisher nach Europa Zucker exportieren dank Vorzugsabkommen, wollen nicht vom Markt verschwinden und die Schwellenländer wollen die Liberalisierung.

    Künast: Ein gutes Beispiel dafür, wie kompliziert die Situation ist. Trotzdem, wir werden sozusagen den Tiger reiten müssen und haben ja mindestens drei Gruppen, die, die mehr Liberalisierung wollen, die, die außen den Preis halten wollen um die Einnahmen zu sichern und die, die hier keine Veränderung wollen. Aber herauskommen wird eine Veränderung. Denn wir haben jetzt mühevoll und mit wochenlangen und nächtelangen Sitzungen mit zwei sozusagen Reformtranchen große Reformen gemacht im Bereich EU-Agrarreform, die wir auch schon in nationales Recht umgesetzt haben mit Wirkung dieses Januars. Und da passt die Zuckermarktordnung heute systematisch nicht mehr dazu. Und ich gehe fest davon aus: Es wird Preissenkungen geben, weil künstliche Preise auch nicht mehr zu unserem System passen und deshalb nicht mehr gewollt werden. Und da wird man zwischen alledem einen Kompromiss finden müssen.

    Ehring: Also Preissenkungen ja, aber nicht in dem Umfang, wie es die EU derzeit avisiert hatte?

    Künast: Wir müssen es genau und im Detail berechnen. Wir haben ja mit der Kommission auch darüber geredet, in welchem Zeitraum diese Reform passieren muss. Ich will sie vor der Dezembersitzung in Hongkong, wenn sich die WTO-Minister wieder dort treffen mit dem Versuch, dort zu einem Abschluss zu kommen. Das setzt voraus, dass wir dann im November dieses Jahres zu einer politischen Entscheidung kommen. Das ganze kann dann in sozusagen einen Rechtstext noch umgesetzt werden und im Januar oder Februar verabschiedet werde. Da, wo große Veränderungen passieren, wo vielleicht Zuckerproduktionen ganz aufhören, weil sie sich nicht mehr lohnen in Mitgliedsstaaten, weil auch die Standorte nicht wettbewerbsfähig genug sind oder zu klein sind, die wollen natürlich eine Kompensation haben. Schon wieder geht es ans Geld.

    Ehring: Neuer Schwerpunkt Ihrer Agrarpolitik ist ja gesunde Ernährung gegen Übergewicht bei Kindern. Welchen Stellenwert hat das für Sie?

    Künast: Na ja, da ist die Ernährungsministerin in mir tätig. Ich glaube, dass das Thema jetzt so langsam endlich anfängt, nachdem auch wir drei Jahre lang daran gebohrt und gemacht haben, ernst genommen zu werden und überhaupt die Folgen erkannt werden. Schauen Sie mal, wir sind auf dem besten Wege, die gleiche Entwicklung zu haben wie die USA. Da sind 40 Prozent der Menschen, Erwachsene, übergewichtig. Übergewicht ist eine Ursache für eine Vielzahl von Erkrankungen, für die Zunahme von Diabetes bei Jugendlichen, und zwar ernährungsbedingte Diabetes, die wir immer "Altersdiabetes" genannt haben, weil man die eigentlich später bekam. Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen zu, Probleme mit dem Bewegungsapparat nehmen zu, psychische Belastungen nehmen zu. Zweites Problem ist: Die Krankenkassen werden hier finanziell in einem Maße belastet, das kann Ihnen keine Gesundheitsreform wieder reparieren. Deshalb ist es richtig, hier präventiv tätig zu sein und von Bildung im Kindergarten bis zur Stadtentwicklung und zur Frage, wie sehen die Lebensmittel der Zukunft aus, was ist deren Nährwertprofil, wie viel Fett, Zucker und Kohlehydrate haben die – das sind alles Punkte, auf denen wir tätig sind und auch massiv sein werden.

    Ehring: Was kann man denn machen außer Kampagnen? Werbeverbote, Kennzeichnungsvorschriften?

    Künast: Es gibt eine Vielzahl an Geschichten. Zum Beispiel bessere Kennzeichnungsvorschriften, die so genannte Herz-Claims-Verordnung, also welchen gesundheitlichen Nutzen darf man bei Lebensmitteln überhaupt bewerben, ist ein Ansatzpunkt. Wo darf geworben werden? Also die Frage diskutieren wir nicht nur hier sondern auf europäischer Ebene, ob eigentlich Werbung für so genannte Kinderlebensmittel so mitten im Kinderprogramm richtig ist. Und dann ist einer der wichtigen Ansatzpunkte, aufzuklären über gute Ernährung und es gehört in den Bildungsauftrag von Kindergärten und Schulen rein. Da kann ich nur sagen, es ist einer der großen Mängel der Kultusministerkonferenz, dieses unbeweglichen Tankers Kultusministerkonferenz, dass auch wir seit Jahren dort bohren und sie immer so tun, als hätten sie alles getan. Ich höre nur, die Schulen sind voll mit falscher Ernährung, mit gar keinem Essensangebot, mit keinem spaßigen und guten Unterricht zu dem Thema bis hin zu der Tatsache, dass dort immer noch Automaten mit Zuckerwasser und Süßigkeiten stehen.

    Ehring: Thema Nebeneinnahmen von Politikern. Da haben Sie ja jetzt mit Ludger Volmer einen eigenen Fall in den eigenen Reihen. Wie beurteilen Sie das Verhalten?

    Künast: Na ja, der Fraktionsvorstand bei uns hat sich ja damit beschäftigt. Und nach deren Kenntnissen ist es so, dass die jetzt geltenden Regeln von ihm eingehalten werden. Aber viel spannender finde ich die nächste Frage, die Sie wahrscheinlich stellen werden, nämlich: Wo geht es hin? Ich glaube, dass wir diesen Zeitpunkt jetzt nutzen müssen, mehr Transparenz noch reinzukriegen. Also, dass es nicht reicht, dass die Angaben von Abgeordneten gegenüber dem Bundestagspräsidenten Herrn Thierse gemacht werden, sondern es transparenter wird für die Bevölkerung überhaupt, wer wo und wie viel verdient, weil sie zu recht davon ausgehen, dass im wesentlichen ein Abgeordneter seine Arbeitskraft dort verwendet. Aber auf der anderen Seite wollen wir immer die Breite der Gesellschaft.

    Ehring: Ist denn Ludger Volmer richtig in seiner Funktion in der Außenpolitik, wo er da auch von solchen Sachen profitiert haben soll?

    Künast: Ja, da müssen Sie jetzt einen Beweis vorlegen. Die Fraktion hat sich damit beschäftigt. Das ist natürlich in Mode, immer noch hinterher zu rühren. Aber das macht ja nur Sinn, wenn wir Tatsachen haben, und die Fraktion hat sich damit beschäftigt und wird da weiter wachsam sein, wenn es eine solche Tatsache gäbe.

    Ehring: Zielt denn die Kritik an Volmer vielleicht in Wirklichkeit auf den Außenminister, auf Joschka Fischer?

    Künast: Warum sollte sie das jetzt gerade in der Sache?

    Ehring: Es geht um den Visa-Erlass für Ukrainer und andere Länder, wo viele mit zweifelhafter Einreisemöglichkeit nach Deutschland gekommen sein sollen.

    Künast: Ja, aber dann wäre dieses Themenfeld ja, glaube ich, an der Stelle überhaupt nicht dafür geeignet, das zu machen. Also, ich versuche immer, das zu trennen. Man muss sich die einzelnen Gebiete immer angucken. Dieses wird jetzt im Untersuchungsausschuss geklärt. Das ist das gute Recht des Parlamentes. Dazu ist das Instrument da und dann werden die Fakten da auf den Tisch gelegt.

    Ehring: Der NPD-Eklat im sächsischen Landtag hat ja die Forderung nach einem NPD-Verbot wieder laut werden lassen oder nach einer Verschärfung des Versammlungsrechts. Wie ist Ihre Haltung dazu.

    Künast: Das muss man sich alles sehr genau angucken. Ich war hinsichtlich des Verbots noch nie eine Anhängerin, weil ich glaube, dass selbst ein sorgfältig geprüftes Verbot, das nachher auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wird, dieser Antrag dann angenommen wird, löst ja das Problem nicht, nämlich das Problem, dass da sozusagen einige richtig die kulturelle Hegemonie schaffen, dass die tatsächlich in der Freizeitszene, nicht nur aber gerade in einigen Bereichen der neuen Bundesländer sehr stark das Geschäft übernommen haben. Da gibt es ja Dörfer und Regionen, wo sich Jugendliche, die nicht rechtsextrem sind, in Jugendfreizeitbereichen gar nicht aufhalten können, weil sie gleich sozusagen physischen und psychischen Druck dort erleben. Da habe ich schon als Parteivorsitzende 2000 darauf hingewiesen, dass dieser rechtsextreme Bereich immer systematischer versucht, die Musikszene zum Beispiel in Clubs zu bestimmen. Das ist eine ganz grundsätzliche Frage. Und diese Möglichkeit, dieses Denken würden Sie ja auch nicht mit einem Verbotsantrag durch kriegen. Das kann man gerne prüfen. Aber Erklärungsmuster wie "Dieser nimmt uns unseren Arbeitsplatz weg" oder diese sprachlichen Entgleisungen im Umgang mit dem Holocaust, das haben Sie nicht weg indem Sie eine Gruppe verbieten. Dann kommt die als andere Gruppe an anderer Stelle wieder hoch. Also die konkrete Auseinandersetzung da tut Not.

    Und ich glaube, dass nicht nur die Auseinandersetzung, das Reden, das kennen lernen Not tut, sondern der Kernpunkt ist immer, Perspektiven eröffnen. Man darf die Jugendlichen dort nicht sitzen lassen, eigentlich nur mit der Beschäftigung, wie kann ich überhaupt irgendwo hin gehören und mit der Beschäftigung sozusagen, eine Hühnerleiter zu finden, wo man noch ein bisschen nach unten treten kann. Aber wenn Sie sehen, dass wir 30 Prozent Arbeitslosigkeit irgendwo haben, dann wissen Sie auch, warum Harz IV von Bedeutung ist mit einem Betreuungsschlüssel 1 : 75 bei Jugendlichen und dass man sagt, wir entwickeln ein Maßnahmenpaket, und dann müssen die in eine Maßnahme rein. Man muss ihnen eine Chance geben, überhaupt sich irgendwo in einer Lebensstruktur zu befinden, wo sie etwas anderes kennen lernen, nicht nur rumhängen und solchen Erklärungsmustern nachgehen, sondern wo sie sich selber überhaupt beweisen können, sehen, dass sie etwas schaffen können. Und deshalb schließen sich auch ganz komische Kreise, Harz IV als Antwort: Unterstützung, Beschäftigungsmöglichkeiten, Arbeit, Ausbildung bis hin zu neue Landwirtschaftspolitik, wo wir ja nicht nur diese Strukturreform machen, sondern neue Wege eröffnen.

    Sehen Sie mal, die Geschichte mit den nachwachsenden Rohstoffen zum Beispiel, weg vom Öl, Biokraftstoffe. Das sind alles Wachstumsmärkte, auf die die Landwirte jetzt eingehen können. Und das heißt, da stehen neue Jobs dahinter, nicht nur für die Landwirte, sondern auch in der Verarbeitung. Solche Bereiche müssen wir schaffen, denn wir wollen ja nicht nur den Vermittlungsmodus verbessern, sondern wir müssen auch etwas haben, wohin wir vermitteln können.