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Künast: Schröder hat ein "Stück Klarheit geschaffen"

Verbraucherschutzministerin Renate Künast hält es für richtig, die geplante Vertrauensfrage von Bundeskanzler Schröder nicht an ein Sachthema zu koppeln. Er habe damit ein Stück Klarheit geschaffen. Auf die Frage, ob sie noch Vertrauen zum Kanzler habe, antwortete die Grünen-Politikerin, sie habe zumindest keinen Anlass, mit "Nein" zu stimmen.

Von Stefan Heinlein |
    Heinlein: Nun also ist die Katze ein bisschen mehr aus dem Sack. Staatsmännisch verkündete der Kanzler gestern in exakt zwei Minuten ein weiteres Detail seiner Neuwahlstrategie. Kein Rücktritt und keine Verknüpfung der Vertrauensfrage mit einem Sachthema. Dennoch bleibt weiter offen, wie genau der Weg zu Neuwahlen im Herbst aussehen soll. Viel Raum also nach wie vor für Spekulationen, Falschmeldungen und halbherzige Dementis. Symptome der politischen Stimmung derzeit in Berlin. Nichts scheint unmöglich in diesen Tagen. Es regiert die Gerüchteküche in der Hauptstadt. Vor allem in der SPD herrscht Ratlosigkeit und Resignation. Kakophonie ist der Ton der Stunde. Auch der Koalitionspartner wird in Mitleidenschaft gezogen. Man geht schrittweise auf Distanz zu den Sozialdemokraten. Der eigenwillige Kurs des Kanzlers wird von vielen Grünen nur widerwillig akzeptiert und darüber möchte ich jetzt sprechen mit Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Guten Morgen!

    Künast: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Frau Künast, seit gestern sind wir also wieder ein Stückchen schlauer. Jetzt ist klar: die Vertrauensfrage wird nicht an eine Sachfrage gekoppelt. Halten Sie dies für die richtige Vorgehensweise?

    Künast: Der Kanzler hat ja ein Stück Klarheit geschaffen. Ich glaube wenn, dann liegt jetzt die falsche Vorgehensweise darin, sich immer mit der Frage genau zu beschäftigen, wie es gehen wird. Der Kanzler wird es dann entsprechend am 29. Juni konkret vorschlagen. Ich würde mich viel lieber über Programme und Ideen, Deutschland weiter voranzubringen, unterhalten.

    Heinlein: Haben Sie denn so viel Geduld bis zum 1. Juli, oder würden Sie lieber vorher wissen, mit welcher verfassungskonformen Begründung Gerhard Schröder die Vertrauensfrage stellen wird?

    Künast: Ich habe an solcher Stelle gelernt, geduldig zu sein. Wir haben mit dem Bundeskanzler ausgemacht, dass er die Details mit dem Vizekanzler, also Joschka Fischer, auch vorher bespricht und damit kann ich leben. Deshalb sind wir als Grüne längst in einer Situation, in der wir sozusagen Bilanz ziehen über rot/grün, in der wir sagen, dass rot/grün weiterhin unser Projekt ist, und klar ist, wir wollen möglichst starke Grüne. Deshalb beschäftigen wir uns mit Inhalten.

    Heinlein: Haben Sie denn noch Vertrauen zum Kanzler?

    Künast: Ich habe zumindest keinen Anlass, mit Nein zu stimmen.

    Heinlein: Also Sie werden am 1. Juli in der Vertrauensfrage für den Kanzler stimmen?

    Künast: Schauen wir mal wie es ist. Ich habe klar gesagt, nicht mit Nein zu stimmen. Es ist klar, dass es an den Grünen nicht liegen wird.

    Heinlein: Hat denn Schröder am Kabinettstisch durchblicken lassen, wer ihm denn am 1. Juli das Vertrauen entziehen wird?

    Künast: Hat er nicht und wenn es so wäre, wäre die Frage, was am Kabinettstisch besprochen wurde, im Übrigen auch vertraulich.

    Heinlein: Welche Möglichkeit kommt denn für Sie in Betracht?

    Künast: Ich kann Ihnen, Herr Heinlein, nur das sagen, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Wir haben mit dem Bundeskanzler ausgemacht, dass das vorher mit Joschka Fischer besprochen wird, und dabei bleibe ich auch. Ansonsten mache ich keine Kaffeesatzleserei mit, sondern denke, die Inhalte und die unterschiedlichen Programme sind doch viel spannender. Ich glaube nicht im Ernst, dass sich die Republik jetzt noch drei Wochen lang allein mit dieser Frage beschäftigen will. Die Frage heißt in diesen Zeiten immer, wer will wie Arbeitsplätze schaffen, wie modernisiert man Deutschland weiter mit Arbeitsplätzen, die in Zukunft auch bestehen, und wie regelt man soziale Sicherung, wie regelt man Zukunft für Kinder.

    Heinlein: Aber das ist doch die Schuld des Kanzlers, dass er nicht klar sagt, so und so sieht es aus mit der Vertrauensfrage. Mit einem klaren Wort, mit einer klaren Ansage hätte er doch gestern rasch alle Spekulationen und Gerüchte um diese Neuwahl beenden können.

    Künast: Mein Gott, ich weiß gar nicht, was daran so spannend ist. Der Kanzler hat jetzt gesagt, dass er es nicht mit einer Sachfrage verbinden will, und hat gesagt, wann er Weiteres dazu sagt. Wie auch immer es sein mag, Herr Heinlein. Trotzdem ist die wirklich spannende Frage die der Programme.

    Heinlein: Wie sehr belastet denn der derzeitige Zustand, diese besonderen Tage in Berlin und das Chaos bei der SPD, die Stimmung bei Ihnen, bei dem Koalitionspartner, bei den Grünen?

    Künast: Wir sind Grüne und ich habe ja schon mal gesagt, wir bemühen uns um ein grünes Wahlprogramm, um auch zu erklären, was haben wir bisher geschafft und was wollen wir in Zukunft schaffen. Ich glaube, dass wir als Grüne da durchaus stolz sein können. Wir haben zum Beispiel durch den Bereich erneuerbare Energien, nachwachsende Rohstoffe so richtig topp moderne Arbeitsplätze geschaffen und ich gucke eher erstaunt überhaupt um mich herum. Ich sehe, dass bei der CDU ein munteres Durcheinander ist, wo ich ehrlich gesagt schon gar nicht mehr weiß, wo ich hin greife. Da stochere ich im Nebel. Noch ein Grund mehr angesichts der Wirrungen rund um Frau Merkel, zumindest programmatisch, was soll nun sein mit den Steuern, wo sollen nun wie neue Arbeitsplätze entstehen. Da bin ich eigentlich lieber bei einem ruhigen grünen Faden.

    Heinlein: Es ist immer einfacher, Frau Künast, auf den politischen Gegner zu schimpfen, anstatt die eigene Situation zu analysieren. Sind die Angriffe von Seiten der SPD auf den Bundespräsidenten für Sie Ausdruck der wachsenden Nervosität bei der SPD?

    Künast: Dazu hat der Bundeskanzler ja das Nötige an Klarheit gesagt. Da muss ich Ihnen übrigens sagen, das waren richtige und klare Worte, weil man tatsächlich Respekt haben muss vor dem Amt. Aber auch wenn Sie jetzt gleich wieder sagen, es ist einfacher, den politischen Gegner zu kritisieren, als – ich nehme hier einfach heraus – zu sagen, alle sind Konkurrenten und ich analysiere die Modelle. Ich weiß auch, dass die CDU/CSU sich nicht gerade hervorgetan hat in den letzten Monaten dadurch, die demokratischen Institutionen zu respektieren in dieser Republik. Das hat mich auch sehr gestört. Schimpfkanonaden gegenüber dem Bundeskanzler unter der Gürtellinie sind auch nicht gut dafür, das demokratische Deutschland zu fördern.

    Heinlein: Wie schwierig, Frau Künast, wird denn für Sie im Wahlkampf der Spagat zwischen Abgrenzung zur SPD und gleichzeitiger Nähe zum Koalitionspartner, mit dem sie ja erklärtermaßen weitere vier Jahre regieren wollen?

    Künast: Ich glaube gar nicht, dass die Abgrenzung der allerwichtigste Punkt ist. Ich versuche, wir versuchen, das auch darüber zu regeln, indem wir schlicht sagen, wir stellen dar, was wir wollen. Deshalb ist ja auch wichtig zu analysieren, welche Dinge waren uns in der Koalition wichtig, wie viele haben wir davon durchgesetzt. Da erkennen wir das Grüne und wir werden das auch für die Zukunft tun. Wir machen im Ergebnis einen grünen Wahlkampf. Das heißt es wird klar gesagt, was sind unsere Wertigkeiten und wie wollen wir die Dinge finanzieren, welchen Schwerpunkt wollen wir legen. Wir tun also das, was jede andere Partei auch tut, was die CDU im Verhältnis zur FDP oder zur CSU tut.

    Heinlein: Ein grüner Wahlkampf, Frau Künast. Heißt das, sie gehen ohne Koalitionsaussage in diesen Wahlkampf?

    Künast: Wir haben immer klar gesagt, was unsere Präferenz ist, nämlich nach einer ehrlichen Bilanz, was war, und dann entsprechenden Verbesserungen mit den Sozialdemokraten. Aber trotzdem kämpft jetzt jeder allein um die Stimmen für sich.

    Heinlein: Heißt das Koalitionsaussage ja oder nein?

    Künast: Darin steckt eigentlich immer eine Aussage darüber, wir möchten mit der SPD, ja.

    Heinlein: Ihre Parteichefin Claudia Roth betonte zuletzt, die Grünen müssten im Wahlkampf sich als eigenständige linke Kraft präsentieren. Heißt das Ende der Reformen?

    Künast: Ende der Reformen? – Das verstehe ich jetzt ehrlich gesagt überhaupt nicht. Nein, nein! Das heißt gar nicht Ende der Reformen, sondern es heißt, dass wir an der Stelle auch grün pur zeigen. Wissen Sie, wir stehen dafür, gerade zum Beispiel im ökologischen Bereich, dieses zu nutzen, Deutschland zu modernisieren und Arbeitsplätze zu schaffen - und wir haben mehr als 100.000 geschafft – und das vorwärts zu bringen. Wir haben sagen wir mal eine bestimmte Wählerschicht, die nicht identisch ist mit keiner der anderen Parteien. Wir legen unsere Schwerpunkte besonders. Wir waren als Grüne immer dafür da zu sagen, Familie ist da, wo Kinder sind, und uns von der Frage der Ehe-Entscheidung komplett zu lösen und nur auf die Kinderfrage zu konzentrieren. Da haben wir dann natürlich Besonderheiten im Verhältnis zu anderen Parteien. Darum geht es! Koalitionsprogramme werden immer erst dann geschrieben, in denen man dann einzelne Kompromisse macht, wenn die Mehrheit da ist.

    Heinlein: Stehen die Grünen denn nach wie vor zur Agenda 2010? Sollen die Reformen – das meinte ich – vorangetrieben werden, oder muss es arbeitsmarktpolitisch Korrekturen geben?

    Künast: Also wir haben keinen Grund, das was wir gemacht haben irgendwie zu dementieren, sondern wir wollen das weiterentwickeln. Das heißt für den Bereich Arbeitsmarktreform ja, das hatten wir schon vor vielen Jahren gesagt, dass die Reformen nötig sind. Sie wissen sicherlich, dass manches an der Reform, dass bei manchen Stellen die Grünen mehr wollten. Dazu muss ich allerdings sagen, dass so vieles nicht an der SPD nicht gescheitert ist, sondern an der CDU. Ich sage nur – das werden wir jetzt auch wieder darstellen -, dass unserer Meinung nach der Zuverdienst bei Hartz IV herauf muss, nicht nur wegen des Zuverdienstes, sondern wegen auch des Einstiegs in ein Arbeitsverhältnis. Daran hat uns dann aber nicht die SPD gehindert, sondern erklärtermaßen die Partei von Frau Merkel, die ja gesagt hat, der Zuverdienst sollte null sein. Aber wir werden dann jetzt auch klar benennen, wo wollen wir bei Hartz IV, was Vermögensanrechnung anbetrifft, Zuverdienstmöglichkeiten etwas weiterentwickeln. Logisch, daran erkennt man wieder das spezifisch Grüne!

    Heinlein: Frau Künast, sollte rot/grün im Herbst abgewählt werden, so ist Ihre Partei nirgendwo mehr an einer Regierung beteiligt. Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie es dann innerparteilich weiter geht?

    Künast: Ich kann gar nichts anfangen mit Wenn- und mit Sollte-Sätzen. Jetzt will ich starke Grüne und jetzt würde ich gerne, dass wir diese Koalition wie gesagt nach einer Analyse und Bilanz erfolgreich dann weiter fortsetzen. Deshalb heißt mein Projekt 18. September und sonst gibt es gar nichts zu denken.

    Heinlein: Aber das ist doch grob fahrlässig, sich keine Gedanken zu machen, wie es weiter geht nach dem 18. September, sollte es nicht reichen für ein weiteres rot/grün?

    Künast: Oh, machen Sie sich keine Sorgen um uns. Wir sind im Zweifelsfalle immer gut vorbereitet und trotzdem agiert jeder Mensch auf den wichtigsten Punkt hin. Dieser wichtigste Punkt heißt, die unterschiedlichen Konzepte so darstellen, dass die Menschen wissen was sie wählen, zu zeigen, dass wir für die unterschiedlichsten Konstellationen Angebote haben. Deshalb heißt das Projekt einfach 18. September.

    Heinlein: Gut vorbereitet heißt das auch, dass Joschka Fischer eventuell Platz nehmen wird auf der Oppositionsbank?

    Künast: Gut vorbereitet heißt, dass Joschka Fischer unsere Spitzenfigur ist.

    Heinlein: Ganz alleine oder erstreben Sie auch ein Amt an innerhalb der Fraktion?

    Künast: Herr Heinlein, Sie wissen es doch, auch wenn Sie jetzt ein Interview mit mir führen, das wie ich finde langsam langweilig wird, weil es nur eine Bauchnabelschau von Ihnen initiieren will.

    Heinlein: Wir reden über die Grünen!

    Künast: Joschka Fischer ist unser Spitzenkandidat und er wird vorne an genau und auch als erste Person darstellen, was das grüne Programm ist. Wie gesagt ich glaube kaum einer in der Republik, vielleicht außer Journalisten, interessiert sich für Bauchnabelschau. Alle anderen Menschen haben soziale Sorgen und fragen sich, wie gibt es für mich Arbeitsplätze, wie kriegen wir endlich in dieser rückwärts gewandten Entwicklung Bildung für die Kinder, wie kriegen wir etwas hin, wo wirklich die Kinder aller Schichten eine Chance bekommen. Das sind doch die wirklichen Fragen!

    Heinlein: Verbraucherschutzministerin Renate Künast heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch!

    Künast: Danke auch!