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Künast: Zustimmung der Grünen zu Bundeswehr-Einsatz im Libanon nicht sicher

Die Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, Renate Künast, hat die Bedenken ihrer Partei gegen eine Beteiligung deutscher Soldaten an einer UNO-Friedenstruppe im Libanon bekräftigt. Solange die Bundesregierung noch kein Konzept für einen solchen Einsatz vorgelegt habe, sei die Zustimmung der Grünen im Bundestag fraglich, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie habe den Eindruck, dass Bundeskanzlerin Merkel und Verteidigungsminister Jung überfordert seien. Nach Ansicht von Frau Künast muss auch über einen Parlamentsvorbehalt für die geplante Entsendung von Beamten der Bundespolizei in den Libanon nachgedacht werden. Bisher gilt dies nur für bewaffnete Kräfte der Bundeswehr.

Moderation: Wolfgang Labuhn |
    Labuhn: Frau Künast, die Bundesregierung ist nach den Worten von Bundeskanzlerin Merkel grundsätzlich bereit, auch bei der militärischen Umsetzung der Libanon-Resolution 1701 der Vereinten Nationen Verantwortung zu übernehmen. Das sagte Frau Merkel am Donnerstagabend. Nicht vorstellen kann sich Frau Merkel eine deutsche Beteiligung an einem Kampfeinsatz von Bodentruppen im Libanon. Statt dessen hat Deutschland der UNO den Einsatz der Bundesmarine bei der, wie es heißt, seeseitigen Sicherung der libanesisch-syrischen Grenze angeboten, ferner Lufttransport und Logistikunterstützung. Auch humanitäre und Wiederaufbauhilfe wurden in Aussicht gestellt. Über einen Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten müsste natürlich der Bundestag entscheiden. Könnten die Bündnisgrünen einem entsprechenden Mandat zustimmen?

    Künast: Also, ich muss sagen, nach der Information im Kanzleramt, nach den Ausschussinformationen und allem, was jetzt unterwegs ist, sind wir nicht klüger als zuvor. Und wir müssen immer noch feststellen, wir sind sehr weit von einer Entscheidungsfähigkeit in dem ganzen Vorgang entfernt. Ich kann für die Grünen jetzt nicht sagen, ob wir zustimmen. Die humanitäre Hilfe ist vornehmste Aufgabe einer Regierung, das wird auch niemand kritisieren. Aber das darf dann kein Präjudiz sein. Schon gar nicht darf trickreich unter Mitnutzung einer Fregatte sozusagen das Entscheidungsrecht des Deutschen Bundestages hier tangiert werden. Also, wir sagen ganz klar: Humanitäre Hilfe, technische Hilfe durch das Technische Hilfswerk, die GTZ zum Beispiel sind das eine. Da haben die Menschen Unterstützung verdient. Der andere Punkt ist der: Wir warten immer noch auf ein gutes Gesamtkonzept, bei dem sehr klar ist, um welche Aufgaben es sich jeweils handelt, was sozusagen die "Rules of Engagement", also die konkrete Aufgabe der Soldaten vor Ort ist. Und da kann ich im Augenblick nur sagen, wir haben das Gefühl, dass die Regierung ein bisschen überfordert ist. Nicht alles, was Frau Merkel sagt, ist identisch mit dem, was der Verteidigungsminister sagt. Und an manchen Stellen scheint der Verteidigungsminister, wie beim Kongoeinsatz, überfordert zu sein in den Details.

    Labuhn: Wäre zum Beispiel die Entsendung einer Fregatte der Bundesmarine zum Schutz eines Lazarettschiffes der Bundesmarine vor der libanesischen Küste mandatspflichtig, also abhängig von der Zustimmung des Bundestages?

    Künast: Nach unserer Auffassung ja, weil dann tatsächlich bewaffnete Kräfte eingesetzt werden und den Auftrag haben einzugreifen. Und deshalb sagen wir auch klar, das darf hier nicht umgangen werden. Und Sie kennen das aus vielen anderen Fragen auch. Denken Sie allein an Entscheidungen, die im Zusammenhang mit Afghanistan getroffen werden mussten. Aber das ist ja noch nicht einmal alles. Wir sagen einmal, der Einsatz einer Fregatte würde zustimmungspflichtig sein durch den Deutschen Bundestag. Aber man darf nicht einfach voraussetzen, dass die erteilt wird, weil das Gesamtkonzept klar ist. Gut, dass Frau Merkel, möglicherweise auch auf Druck von anderen, auch auf unsere Aussagen hin, sagt, Bodentruppen kommen nicht in Betracht. Dafür wird sie nie im Deutschen Bundestag eine Mehrheit bekommen. Aber viele andere Fragen sind auch unklar, zum Beispiel der Einsatz von deutscher Bundespolizei als Berater und als die, die technische Mittel mitbringen für einen dortigen Zoll oder die Grenzpolizei, als Schuler sozusagen. Wie der genau passieren soll, ob das ein Einsatz ist, wie der Botschafter bei der UN sagt, ob es tatsächlich Beratungsfunktionen sind, wie uns gesagt wurde – man widerspricht sich danach geradezu stündlich. Und daran können Sie erkennen: Wir haben eine Artikel 6-Resolution der UN plus robustem Mandat. So etwas gibt es rechtlich noch gar nicht, das muss inhaltlich ausgefüllt werden. Das wird international extrem schwierig. Und unterhalb dessen muss dann ein Konzept da sein, bei dem man auch sagen kann, dieses hat eine Chance zu funktionieren. Denn eines ist ja klar: Wenn man mit dem Konzept dort scheitert, ist das schlecht für Israel, schlecht für die gesamte Region in naher Zukunft und in weiterer Zukunft. Und nicht zuletzt haben wir auch eine Verantwortung für die Soldaten und sonstigen Mediziner, Menschen des THW, deren Leben nicht zu gefährden.


    Labuhn: Es ist ja eigentlich beruhigend, dass man in Israel selbst die Perspektive einer deutschen Beteiligung an einer solchen UNO-Mission in der Nähe des Staates Israel sehr gelassen betrachtet, zum Teil sogar für wünschenswert hält. Was sagen Sie eigentlich zu dieser "Normalisierung" in Anführungszeichen des deutsch-israelischen Verhältnisses?

    Künast: Gut, dass Sie Anführungsstriche gesetzt haben beim Sprechen, weil ich glaube, am Ende wird es nie eine wirkliche Normalisierung sein. Also, Außenpolitik passiert ja auch immer auf der Basis von Geschichte, das gilt für alle Verhältnisse, und die geht notfalls Jahrhunderte zurück. Es gibt auch so etwas wie ein kollektives Gedächtnis und Dinge, die man nicht tun sollte. Aber eines ist natürlich klar: Deutschland hat quer durch die Parteien immer seine Verantwortung gesehen. Wir haben als Grüne gerade auch mit der Person Joschka Fischer uns da immer besonders engagiert und auch gezeigt, dass wir ja eines wollten, zum Beispiel Menschen jüdischen Glaubens auch wieder in Deutschland leben und hier ihre Gemeinden aufbauen können. Wir haben für den Körperschaftsvertrag hier mit gesorgt. Das heißt, wir haben da immer eine Verpflichtung, wir werden aber auch Menschenrechtsverletzungen in Israel kritisieren. Vielleicht ist das ein bisschen Ausdruck davon, dass auch die Menschen in Israel sehen, dass Deutschland sich mit der Geschichte auseinander gesetzt hat. Wir haben mitten in dieser Stadt, in Berlin, das Holocaust-Mahnmal. Der Prozess dahin und sozusagen mitten im Regierungsviertel so ein Denkmal und eine Erinnerung zu haben, auch für die Zukunft, drückt etwas aus. Also, man sieht durchaus, es hat sich auch gelohnt, weil man damit Geschichte im Auge hat, im Kopf, im Herzen und ein Stück freier wird, als Land zu agieren.

    Labuhn: Deutschland beliefert Israel ja schon mit U-Booten, und zwar mit den modernsten, nicht nuklearen U-Booten der Welt. Wären für Sie vor dem Hintergrund der geschilderten "Normalisierung" – wiederum in Anführungszeichen – auch weitere Rüstungsexporte deutscherseits an Israel denkbar?

    Künast: Ich glaube, die Frage mit den Booten ist eine schon nicht einfache gewesen. Man konnte und musste sie aber immer begründen damit, dass Israel durchaus bedroht ist durch andere Länder, die östlich von ihm liegen. Insofern glaube ich, dass man sich damit in der Vergangenheit und auch für die Zukunft im richtigen Rahmen bewegt.

    Labuhn: Erst die Zustimmung Ihrer Partei während der rot-grünen Koalition hat ja überhaupt seit 1999 auch Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland unter bestimmten Bedingungen ermöglicht. Im Moment befinden sich etwa 7.700 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Ausland, im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in Afghanistan, im Kongo und nun bald möglicherweise auch im Libanon. Wo ist da eigentlich die Schmerzgrenze für Sie?

    Künast: Ich würde es mal so sagen: Natürlich gibt es eine Schmerzgrenze, die dann zum Beispiel heißen kann: UN-Mandat. Aber es gibt eben nicht nur Schmerzgrenzen, sondern es gibt auch einen Gestaltungswillen. Und der heißt bei uns Grünen, dass internationale Konflikte eben definitiv nicht nur mit Militär zu lösen sind. Es gibt Situationen, in denen es zumindest zeitlich befristet nicht anders geht. Es gibt – denken wir an den Kongo – Situationen, in denen man sozusagen selbst das Land fragt und die UN fragt: Könnt Ihr eigentlich einen Demokratisierungsprozess, die Implementierung einer Regierung nach einer demokratischen Wahl eine Zeit lang unterstützen? Da braucht es so was. Aber was das Grüne ausmacht, ist immer: Wir wollen – das sage ich auch klar in Richtung Herrn Jung, der schon wieder eine Erhöhung des Etats fordert bei der Verteidigung – wir wollen nicht den Verteidigungsetat erhöhen, da soll er mal lieber gucken, welche Altlasten er mit sich schleppt, sondern wir wollen, dass ein Gesamtkonzept draus wird. Und das heißt immer, Steigerung der Mittel für Entwicklungshilfe, wirtschaftliche Zusammenarbeit intensivieren, demokratische Prozesse, das Bauen, man sagt ja jetzt neudeutsch "nation building", also das Bauen von demokratischen Institutionen, zum Beispiel selber eine Polizei zu haben, die für Sicherheit in einem Land sorgt, das zu unterstützen, NGOs zu unterstützen, also die zivile Gesellschaft zu unterstützen, gehört für uns immer dazu. Also, das Militär ist überhaupt nur in Notfällen, in denen es keine andere Institution gibt, denkbar.

    Labuhn: Die Entsendung von Angehörigen des Technischen Hilfswerkes und der Bundespolizei in den Libanon, die nun ja auch erwogen wird, das würde nicht unter den Parlamentsvorbehalt fallen, da es sich dabei nicht um bewaffnete Streitkräfte im Sinne des Parlamentsbeteiligungsgesetzes handelt. Sollte der Bundestag nicht auch, Frau Künast, bei der Entsendung der Bundespolizei zu solchen Auslandsmissionen ein Wörtchen mitreden können?

    Künast: Also, wir sagen als Grüne ganz klar, wir wollen über das Gesamtpaket mitreden und entscheiden. Und ich glaube, dass man auch gut beraten ist, sozusagen das Gesamtpaket im Deutschen Bundestag zu diskutieren, weil man ja im Übrigen nicht isoliert, obwohl es rechtlich so ist, sozusagen über eine Anzahl x von Gerätschaften oder meinetwegen Marine diskutieren kann, sondern das wird ja alles im Lichte der Gesamtplanung berücksichtigt. Da wollen wir Details wissen. Die werden sozusagen diskutiert und auf der Basis wird dann auch die Fraktion insgesamt ihre Entscheidung treffen. Man schickt ja auch nicht Bundespolizei irgendwo hin, ohne zu wissen, ob man das eigentlich den Menschen gegenüber legitimieren und begründen kann. Denn die werden ja auch einem Existenzrisiko und Lebensrisiko ausgesetzt. Also, das Gesamtpaket muss stimmen, und das eine ist die juristische Frage, wo gilt der Parlamentsvorbehalt und kann nur der Deutsche Bundestag entscheiden. Unabhängig davon wird der Deutsche Bundestag, wir Grüne zumindest nehmen das in Anspruch, immer das Gesamtpaket betrachten, weil das Gesamtpaket ja auch eines ausmacht: Ob der Einsatz zum Beispiel von der Marine überhaupt Sinn macht. Da muss das Gesamtpaket stimmen.

    Labuhn: Besteht in Ihren Augen nicht prinzipiell die Gefahr, dass die Bundesregierung mit der Bundespolizei, also dem früheren Bundesgrenzschutz, einer Truppe mit über 30.000 Polizistinnen und Polizisten, mit über 6.000 Fahrzeugen, mit 80 Hubschraubern, mit 20 Schiffen über so etwas wie eine Nebenarmee verfügen könnte, die auch ohne parlamentarische Zustimmung im Ausland einsetzbar wäre? Gibt es da eine Gesetzeslücke?

    Künast: Da sprechen Sie einen interessanten Punkt an. Auf alle Fälle ist das Minimum, dass darüber im Bundestag diskutiert wird und dass es sozusagen dargelegt wird, den Ausschüssen, dem Plenum. Man wird das für die Zukunft sehr genau betrachten müssen, weil sich ja eines zeigt, dass wir den Parlamentsvorbehalt für das Militär haben, das dann tatsächlich ein meinetwegen robustes Mandat hat und auch schießen kann und natürlich die Auswertung dessen, was sonst noch passiert, immer größer wird. Da würde ich die Bundespolizei reinnehmen, aber auch die ganze wirtschaftliche Zusammenarbeit, wo investieren wir eigentlich was. Das geht ja manchmal hin bis zu Hermes-Bürgschaften, welchen Aufbau von was unterstützen wir eigentlich. Man sollte, nehmen wir allein die Atomenergie, in diesem Bereich ja nicht nationale Politik konterkarieren, oder beim Umgang mit nuklearem Material sozusagen keine Risiken schaffen und noch selber finanzieren. Also, ich glaube, dass das Gesamtpaket immer ins Parlament gehört. Ich würde heute noch nicht so weit gehen zu sagen, dass wir eine reine Gesetzeslücke haben an der Stelle, aber man muss sehr genau aufpassen, was diese Betroffenen dort immer tun. Denken wir an den Gaza-Streifen und den Süden, den Grenzübergang zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten, Rafah. Dort haben ja auch Polizisten aus Deutschland, auch aus anderen EU-Mitgliedstaaten, sozusagen eine Unterstützung gegeben für den Aufbau eines Grenzkontrollpunktes, und die zeigen denen, wie man das strukturell macht, wie man auch dafür sorgt, dass es keine Korruption gibt von Beamten, die dort Kontrollen machen. Solche Dinge sind zu akzeptieren.

    Labuhn: Die Bündnisgrünen drücken nun im Bundestag nach siebenjähriger rot-grüner Regierungsarbeit wieder die harten Bänke der Opposition. Das schärft vielleicht den Blick auf die Arbeit der jetzigen großen Koalition. Welche Bilanz, Frau Künast, ziehen Sie da ein knappes Jahr nach der vorgezogenen Bundestagswahl?

    Künast: Also, zuerst muss man die Bilanz ziehen, dass das, was die immer versprochen haben, sie könnten es besser, definitiv nicht eingetreten ist, sondern es geht uns in der Opposition wie vielen in der Republik: Man vermisst den roten Faden. Wo wollen die eigentlich hin? Also, es wird viel moderiert, viel gegipfelt, aber es gibt kein Ziel. Und ich nehme mal den Bereich Energiepolitik. Da sieht man wieder: Über allen Gipfeln ist Ruh’. Es werden insbesondere die Großen eingeladen, aber es wird gar nicht gesagt, was denn die Regeln sind, die Kriterien, nach denen man sich weiter entwickeln will. Ich will mal eines nennen: Punkt eins heißt, Herr Steinmeier hat ein Stück damit angefangen, in Fortsetzung von Joschka Fischers Politik zu sagen, dass Energiepolitik Kern der Außenpolitik ist, dass da deutsche Interessen dranhängen, dass wir also ein Interesse haben, zum Beispiel nicht nur von russischem Öl oder Gas abhängig zu sein, sondern uns das ein bisschen zu erweitern. Aber das allein hilft ja nicht. Die Energiefrage darf man nicht als eine Sicherheitsfrage oder eine Außenpolitikfrage allein diskutieren, wie es zum Beispiel auch George Bush im Augenblick tut. Man muss doch klar sagen, wie kommen wir weg vom Öl. Wie schaffen wir es, dass der Exportweltmeister Deutschland mit einem, ich sage gerade von den Grünen erarbeiteten Vorsprung technologisch, bei den grünen Technologien, und die sind die Zukunft des 21. Jahrhunderts, wie man da den Vorsprung halten will. Das heißt für mich zum Beispiel, dass man ein ganz klares Konzept baut – wir haben ja als Grüne gesagt 4 x 25, also im Laufe der nächsten zehn Jahre in allen vier Energiebereichen – Kraftstoffe, Wärme, Strom und die stoffliche Nutzung – dazu zu kommen, zu ersetzen oder einzusparen. Wir sagen, man muss in die nachwachsenden Rohstoffe investieren und man muss auch auf die Autoindustrie Druck ausüben, und zwar einen segensreichen, hilfreichen Druck, damit der Durchschnittsverbrauch eines neuen Autos massiv gesenkt wird. Wir sagen, wir brauchen weiter Biomasse-Aktionspläne. Wir sagen, wir brauchen eine Effizienzstrategie, also nicht Geld in Agro-Gentechnik investieren, weder national noch auf der europäischen Ebene, sondern in weiße Biotechnologie. Da geht es um Enzyme, Katalysatoren, mit denen man in Produktionsprozessen 50 bis 60 Prozent des bisher verbrauchten Wassers oder des Stroms einsparen kann. Das ist gut für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für den deutschen Mittelstand, weil die ja ungeheuer hohe Energie- und Rohstoffkosten haben. Und das muss unsere noch vorhandene Vorreiterrolle bei solchen technologischen und Verfahrensentwicklungen weiter halten. Und ich sage mal eines ganz klar: Frau Merkel stellt zwar zwischendurch ganz nett die Frage, wir müssen uns überlegen, wie man unter Bedingungen der Globalisierung lebt. Aber das läuft doch längst. Indien bildet jedes Jahr 300.000 Ingenieure aus. Wir kennen alle das Problem des Outsourcing, nicht nur für solche technologischen Fragen, auch im Dienstleistungsbereich, Callcenter im Süden Indiens, von denen ja insbesondere der angelsächsische Bereich betroffen ist. Da muss man hier ganz kreativ sein. Und ich sage mal, das, was wir heute und morgen an Problemen haben bis hin zur Klimaveränderung, die ja Wahnsinnskosten allein für Häuslebauer und ihre Versicherung für das Haus auslösen - die Probleme von heute und morgen lösen wir nicht mit der Denkweise von gestern, indem wir beim Energiegipfel drei, vier große Konzerne einladen und nur mit Wattebäuschen werfen. Nein, da muss man richtig klar sagen: Emissionshandel, zehn Prozent Versteigerung wird gemacht, um den Anreiz zu haben, sich technologisch zu entwickeln. Durchschnittsverbrauch von Autos muss klar geregelt werden, auch jetzt in den nächsten Monaten auf europäischer Ebene, rein die Forschungsgelder in die Effizienzstrategien. Und mein letzter Punkt ist an der Stelle, die Bildung und Betreuung unserer Kinder genau daran auszurichten. Das hat etwas mit Energie und grünen Technologien der Zukunft zu tun, aber es ist in Wahrheit auch eine Gerechtigkeitsfrage. Gerechtigkeit ist nicht nur Transferleistung, sondern auch Bildung ab dem ersten, dritten Lebensjahr.

    Labuhn: Um Ihre Vorstellung durchsetzen zu können, müssten Sie wieder auf die Regierungsbank zurückkehren. Da gibt es nach Ansicht von Ex-Außenminister Joschka Fischer in einem Fünf-Parteien-System neben der großen Koalition nur zwei Konstellationen, die schwarze oder die rote Ampel, das heißt Dreierbündnisse unter Einschluss der FDP. Ein Probelauf für die schwarze Ampel ist ja zurzeit in Frankfurt zu beobachten, wo die Stellvertreterin von Oberbürgermeisterin Petra Roth, CDU, Jutta Ebeling von den Grünen ist und die FDP ebenfalls mitregiert. Das nannte der SPIEGEL "Jamaika für Anfänger". Ist das ein Modell auch für die Länder- und Bundesebene?

    Künast: Also, für mich ist als Erstes einmal wichtig, dass man in der Opposition immer eine Machtoption haben muss. Ich kann mich ja nicht auf den luxurierenden Standpunkt zurückziehen und sagen, es bleibt alles zwingend immer beim Alten und ich lasse die anderen mal machen. Also, wenn die SPD mit der CDU kann, dann sagen wir auch ganz klar, wir haben mehr als eine rot-grüne Option. Aber das heißt für uns Grüne gerade immer, dass jetzt auch eine Phase da ist, wo wir auf Inhalte gucken. Jetzt kann ich gar nicht die CDU beurteilen, weil die CDU selber nicht weiß, was und wer sie ist. Keiner weiß, wer Frau Merkel ist, wofür sie steht. Selbst Herr Rüttgers kritisiert etwas. Also, es gibt mehrere, die in die unterschiedlichsten Richtungen ziehen. Schon deshalb könnte man da gar keine Aussage heute dazu treffen. Ich weiß nur eines: Ich will, dass wir – und wir haben im Augenblick zehn Prozent in den Umfragen, und das finde ich nach dem Weggang von Joschka und nach einer Regierungsbeteiligung in der Opposition ein gutes Ergebnis, das sind keine Leihstimmen wie bei anderen Oppositionsfraktionen, das sind unsere, und da will ich weiter bauen. Und da will ich weiter sagen: Wofür stehen wir Grüne? Und im entscheidenden Augenblick, wo die Frage der Regierungsbildung ansteht, wird genau nach diesen Kriterien entschieden. Wer macht zukunftzugewandte Politik, zum Beispiel im Bereich nachwachsende Rohstoffe, erneuerbare Energien? Wer sorgt dafür, dass jedes Kind in dieser Republik die Chance hat, sich entsprechend seinen Interessen und Fähigkeiten zu entwickeln? Wer macht eine gute Integrationspolitik, damit wir friedlich miteinander zusammen leben? Wer sorgt dafür, dass die natürlichen Lebensgrundlagen, oder ich kann auch sagen die Grundlagen der Schöpfung, erhalten werden? Danach muss es dann knallhart entschieden werden. Ich glaube, dass wir Grünen in dem Augenblick dann auch so weit sein werden.

    Labuhn: Joschka Fischer meinte ja bei der Perspektive schwarzer oder roter Ampeln, da sei er persönlich froh, nicht mehr dabei zu sein. Wie fühlen Sie sich denn als grüne Politikerin der ersten Stunde bei diesem Gedanken?

    Künast: Also, ich stelle mich dem, dieser Verantwortung, denn ich will ja verändern. Ich bin unruhig, wenn ich sehe, was diese Koalition alles nicht tut und nicht anpackt und so vor sich hin moderiert. Insofern sage ich mal, ich will das Land verändern. Ich will etwas Gutes für das Land tun im Konzert mit der Europäischen Union, mit den anderen Mitgliedsstaaten. Und das ist für mich eine Herausforderung. Aber man muss dabei immer grün sein und grün bleiben. Und dieser Kern muss gehalten werden. Und dass es für Joschka anders ist, sehe ich. Sehen Sie mal, er war unser Frontmann, und das ist ja – das weiß jeder in der Politik – sozusagen die Frontperson zu sein, zu ziehen, zu schieben, durch alle Höhen und Tiefen, eine starke Geschichte.

    Labuhn: Fehlt er Ihnen sehr?

    Künast: Rein persönlich finde ich es schade, wenn er ein Jahr weg ist. Also, Sie können sicher sein, wenn ich in dem Jahr in die USA fahre, was ich garantiert tue, werde ich versuchen, ihn zu treffen. Denn er ist natürlich eine hochintelligente Person, die sehr stark analysiert, und man hat ja ein gutes Stück des Weges miteinander verbracht. Aber die Grünen haben sich jetzt auch ohne ihn positioniert.

    Labuhn: Die Grünen, Frau Künast, sind ja einst als Partei des konsequenten Umweltschutzes angetreten und der konsequenten Friedenspolitik und brachten damit frischen Wind in die deutsche Politik. Nach der Wende in der DDR kamen dann grüne Bürgerrechtler hinzu. Nun sind Ihre ökologischen Forderungen teils verwirklicht, siehe Atomausstieg, teils Allgemeingut geworden, das sich auch in den Programmen anderer Parteien findet. Und zur Friedenspolitik, wie erörtert, können jetzt nach grünem Selbstverständnis unter bestimmten Bedingungen auch Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland gehören. Worin unterscheiden Sie sich eigentlich noch von den anderen etablierten Parteien?

    Künast: Wir denken anders. Und ich muss im Übrigen auch sagen, wenn Sie jetzt sagen, Atomausstieg durchgesetzt, alles andere wie Umweltschutz ist Allgemeingut, dem kann ich gar nicht zustimmen. Sie sehen ja an der Art und Weise, dass offensichtlich der Wirtschaftsminister Glos immer noch geheime Gespräche führt, zumindest widerspricht er öffentlich nicht, dass es da ein starkes Interesse gibt, sozusagen doch wieder im Bereich Atomenergie zu bleiben. Also, es ist immer noch so, dass für Euratom Geld ausgegeben wird auf Brüsseler Ebene. Also, da gibt es noch jede Menge zu tun, und insbesondere zu tun, weil wir wissen, dass es eben auf der ganzen Welt bisher kein Endlager gibt. Das Wort "sicher" brauche ich nicht mal benutzen, es gibt nirgendwo ein wirkliches Endlager. Also, wir haben das Risiko der Radioaktivität, und wir haben sogar noch zu kämpfen mit der Restradioaktivität von Tschernobyl. Denken wir nur allein daran, dass man im Wildschweinfleisch in Bayern immer wieder Radioaktivität findet, und das ist die zum Beispiel noch vom Unfall, vom GAU in Tschernobyl. Also, es gibt da noch viel zu tun und ich glaube, es reicht nicht, sich eine Headline zu setzen, eine Überschrift, und zu sagen, wir kümmern uns jetzt um Umwelt. Es gibt keine ehrgeizige Umweltpolitik, ohne dass es auch mal weh tut. Also, es reicht nicht zu sagen, ich lade beim Energiegipfel mal eine Handvoll Konzerne ein, sondern man muss dann auch wirklich eine dezentrale Politik machen. Man muss dafür sorgen, dass tatsächlich zum Beispiel akzeptable Netzentgelte für die Durchleitung bezahlt werden. Da leiden wir heute noch am Energiewirtschaftsgesetz, das Herr Rexroth von der FDP mal implementiert hatte, wo er gesagt hat, keine Bürokratie, keine Kriterien drin, wie diese Netzentgelte zu finanzieren sind. Heute kriegt der Endverbraucher noch sozusagen eine Art Stromschlag, wenn er seine Endabrechnung regelmäßig sieht. Also, es gibt viel zu tun. Um dieses Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, also, dass wir wirklich nicht mehr als zwei Grad Erwärmung haben seit Beginn der Industrialisierung, gibt es noch ungeheuer viel zu tun. Und das sind Dinge, für die man im wahrsten Sinne des Wortes Mut braucht, die umzusetzen, vom Fahrzeug bis zum Thema Emissionshandel. Da muss man die Gelder auch umtopfen und sagen, wir investieren nicht in das Falsche, sondern nur in das, was Zukunft hat. Und ich sage mal, selbst das Zwei-Grad-Ziel, sagt ja jeder Wissenschaftler, ist ein gegriffenes. Selbst das Zwei-Grad-Ziel führt ja zu Klimaveränderungen, bei denen viele Küstenregionen, viele Inselstaaten darunter leiden. Selbst das Zwei-Grad-Ziel, wenn es eingehalten wird, heißt Zunahme von Extremwetterlagen. Ich nehme mal ein Beispiel: Die großen Rückversicherer, auch die Swiss Re und die Allianz, die ja als Rückversicherer der Versicherungen sehr genau gucken, wo sie ihr Geld anlegen, die steigen systematisch aus dem Feld Immobilien aus. Warum? Weil sie zum Beispiel sagen, wie sollen wir eigentlich im Süden der USA unsere Finanzierung absichern über Immobilien, wo da die Tornados und die Hurricans zunehmen. Wissen Sie, in was die investieren? In nachwachsende Rohstoffe und erneuerbare Energien, da ist die Zukunft.

    Labuhn: Was wären für Sie, in welcher Regierungskoalition auch immer, unverzichtbare Eckpunkte grüner Politik?

    Künast: Tatsächlich eine ganz intensive Umweltpolitik zu machen und Umwelt- und Energiepolitik quasi als Erhalt der Schöpfung und der Natur plus die Möglichkeit, sich ökonomisch weiter zu entwickeln, den Mittelstand zu unterstützen, die Großen zu unterstützen, Arbeitsplätze zu haben, diese Verbindung, das sind für mich die modernen grünen Technologien, in welcher Art auch immer. Also, das ist für mich unverzichtbarer Teil. Es gibt im Bereich des demokratischen Zusammenlebens viele Punkte, und ich sage mal das Thema Kinder, Kinder, Kinder. Wir müssen alte Privilegien abbauen. Nehmen wir mal das Beispiel der steuerlichen Privilegierung durch das Ehegattensplitting. Warum muss der Steuerzahler eine Ehe finanzieren, bei der weder Kinder großgezogen werden noch Alte oder Kranke gepflegt werden. Dafür gibt es null Begründung. Diese Milliarden möchte ich da rausbrechen, es sind fast fünf, und zum Beispiel investieren in eine Kinderbetreuung. Unser langfristiges Ziel muss sein, und da muss man Schritt für Schritt mit Reformschritten hin, dass am Ende der Kindergarten etwas Kostenloses ist, dass genug da sind und dass der kostenlos ist. Das wird noch einige Jahre dauern, aber der Einstieg muss ja erst mal heißen: Ehegattensplitting runter, in die Struktur investieren, ins Personal und dann anfangen mit einem ersten kostenlosen Jahr. Das ist Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.

    Labuhn: Dieses Programm müssen Sie nun als kleinste Bundestagsfraktion versuchen durchzusetzen. Dafür leisten Sie sich gleich zwei Fraktionsvorsitzende, nämlich neben Ihnen Fritz Kuhn und auch zwei Parteivorsitzende, Claudia Roth und Reinhard Bütikofer. Ist das eigentlich noch zeitgemäß als Struktur Ihrer Partei?

    Künast: Ach, es ist jetzt so: Wir haben uns das immer geleistet, und darin liegen im Ergebnis im Übrigen auch immer ein paar Stärken. Ich komme damit klar.

    Labuhn: Würde es Sie reizen, die Parteiführung zu übernehmen?

    Künast: Nein. Also, jetzt sehe ich zwei Kandidaten, die heißen Bütikofer und Roth.

    Labuhn: Danke schön.