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Kündigung des Rostocker Volkstheater-Intendanten
Latchinian hat seine Rolle missverstanden

Für die fristlose Entlassung des Rostocker Volkstheater-Intendanten Sewan Latchinian gibt es viele Gründe, kommentiert Silke Hasselmann. Nicht alle Fehler dafür lägen bei Latchinian selbst - aber einen wichtigen habe er begangen.

Von Silke Hasselmann | 07.06.2016
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    Der gekündigte Intendant des Rostocker Volkstheaters, Sewan Latchinian. (picture alliance / dpa)
    Wollte Sewan Latchinian die Vorgänge um seine Rostocker Intendantenzeit in eine literarische Form gießen - er wählte wohl die Farce. Der 55-Jährige sieht sich jedenfalls als Intrigen-Opfer inmitten einer Stadt, die seit je ein schwieriges Pflaster für Kultur ist, vor allem am Volkstheater.
    Vor allem die notorisch zerstrittene Rostocker Bürgerschaft präsentiert sich immer wieder in einer Mischung aus Größenwahn, Dilettantismus, Inkompetenz - auch und vor allem in kulturellen Dingen. Als die Stadt Sewan Latchinian 2014 nach Rostock holte, ließ sie sich auch davon blenden, dass der Mann als Intendant das Theater Senftenberg überregional bekannt gemacht hatte. Die Bürgerschaft übersah aber, dass es sich dort nur um ein reines Schauspielhaus handelte, wohin der erfahrene Schauspieler und Regisseur auch bestens passte. Rostock aber hat eine Vier-Sparten-Bühne. Warnungen, Latchinian könnte damit überfordert sein, wurden überhört, sollten sich aber leider bestätigen, wie nicht nur im Ensemble zu hören ist.
    Die Wahrheit ist komplex
    Möglich wäre die Erzählung jedoch auch als Mini-Drama. Da ist ein Konflikt, der sich seit Latchinians Amtsantritt im September 2014 immer weiter zugespitzt hat. Wer will, kann zudem in der gestrigen Entscheidung die überraschende dramatische Wendung sehen. Denn hatte die Bürgerschaft im vorigen Sommer die vom genervten Oberbürgermeister verfügte fristlose Entlassung des widerständigen Intendanten noch kassiert, waren nun bis auf einen Linken-Abgeordneten alle Freizeitparlamentarier einverstanden, Sewan Latchinian fristlos vor die Tür zu setzen.
    Warum? Die Wahrheit ist komplex und liegt zwischen den Polen, die zwei Leser-Kommentare in regionalen Medien darstellen. "Das musste ja so kommen", heißt es an der einen Stelle. "Man hat den Intendanten Latchinian langfristig demontiert. Dabei spielte die hervorragende Arbeit im Theater keine Rolle und es wurde ihm keine Chance auf Kontinuität gegeben." Und anderswo: "Na endlich. Dann kommt vielleicht endlich mal Bewegung ins Volkstheater. Herr Latchinian ist ja im Wesentlichen dadurch aufgefallen, sich jedem Beschluss zu widersetzen und dabei möglichst viel Krawall zu machen."
    Unterirdische Zuschauerzahlen
    Tatsächlich war Sewan Latchinian aufgrund seines Vier-Sparten-Konzeptes berufen worden. Doch schon bald sollte er einen Stadtbeschluss umsetzen, das notorisch klamme Haus nur noch mit zwei eigenständigen Sparten zu bedienen - und für die beiden anderen Bereiche auf Kooperationen mit und Gastspiele von anderen Bühnen zu setzen. Latchinian sollte sich die Einzelheiten selbst ausdenken, übte aber von Anfang an lautstarke, teils absurde Totalopposition gegen einen immerhin demokratisch gefassten Beschluss seines Dienstherren, der Stadt. Auch gegen den späteren konkreteren Beschluss, ein Opernhaus-Modell zu erarbeiten, hat sich der wiedereingesetzte Latchinian gewehrt. Dessen war die Bürgerschaft nun müde, zumal sie neben dem Vertrauensverlust auch mangelnde künstlerische Ergebnisse beklagte. Die Zuschauerzahlen sind jedenfalls für Mecklenburg-Vorpommerns größte Stadt unterirdisch.
    Letztlich gab es nicht nur einen, konkreten Auslöser, sondern viele Gründe für das Scheitern der Verbindung Rostock-Latchinian, und längst nicht alle Fehler liegen bei Sewan Latchinian. Doch einen wichtigen hat er begangen: Er hat seine Rolle missverstanden. Es ist gut, wenn ein Theaterintendant auch politisch denken kann, gar Politik auf der Bühne verhandeln lässt. Es funktioniert aber nicht, wenn ein Theaterintendant meint, er könne die Politiker ersetzen oder sei selber einer.