Christoph Heinemann: Wie gehört: der US-Senat hat den Weg für die größte Finanzmarktreform seit den 30er-Jahren frei gemacht. Das Repräsentantenhaus hatte das Vorhaben bereits abgesegnet. Politisch ein Erfolg für Barack Obama: noch vor den Zwischenwahlen im November schließt der US-Präsident sein zweites großes Projekt neben der Gesundheitsreform ab.
In Berlin haben heute die Grünen ihre Vorschläge für eine Bändigung des Finanzmarktes vorgelegt.
Am Telefon ist der Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen. Guten Tag!
Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!
Heinemann: Herr Hickel, das US-Gesetz ist 2000 Seiten stark, die Grünen haben heute Eckpunkte benannt. Insofern muss ein Vergleich notwendigerweise sehr grobmaschig ausfallen. Trotzdem: welcher Rettungsplan überzeugt Sie mehr, Obama oder Trittin?
Hickel: Da gibt es eine klare Antwort. Sicherlich enthält der Vorschlag der Grünen, vor allem wie es Trittin und Herr Schick vorgetragen haben, ganz wichtige wesentliche Elemente der Reform. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. Der amerikanische Weg der Neuordnung der Finanzmärkte geht viel, viel systematischer vor, greift viel stärker ein sozusagen in die Fehlentwicklung. Ich will es mal so formulieren: Es war nicht die Einsicht, es war nicht Überzeugung, sondern es war maßgeblich die materielle Gewalt der letzten Krise, die dazu geführt hat, dass jetzt beispielsweise – und das ist im Grünen-Papier nicht drin – eine Institution gegründet wird unter dem Dach der Notenbank beziehungsweise in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium, nämlich der Früherkennung von Systemrisiken. Das ist das eine.
Und das zweite, was mir bei den Grünen fehlt, trotz vieler guter Vorschläge: der Schock, der Lehman Brother Schock hat maßgebliche Konsequenzen ausgelöst in dem Beschluss, der gefasst worden ist jetzt auch vom Senat in den USA, nämlich es wird eine Insolvenzordnung hergestellt, und es ist ganz entscheidend, dass diese Insolvenzordnung dazu beitragen soll, dass künftig keine steuerfinanzierten Rettungsmaßnahmen der Banken stattfinden.
Und schließlich ein drittes, das ich für sehr wesentlich halte - hätte ich nicht für möglich gehalten aufgrund des Drucks der Lobbyisten -, dass auch im Bereich dieses so krisenhaften Derivate-Handels, dass dort doch eindeutige Einschränkungen vorgenommen worden sind. Große Banken dürfen den Handel nur noch dann führen, wenn es der Risikoabsicherung dient. Also es gibt viele systematische Elemente, aber natürlich ist das ganze Konzept, das Obama vor drei Monaten vorgelegt hat, durch Lobbyisten zerrupft worden, aber es geht in die richtige Richtung.
Heinemann: Bleiben wir beim ersten Punkt: bei dem Regulierungsrat, den Obama plant. Die Bürokratie schreckt Sie nicht?
Hickel: Die schreckt mich nicht, die ist unvermeidbar. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich sehr genau aufpassen, dass die Bürokratie, die da entsteht, diese Institution, die natürlich auch widersprüchlich angelegt ist, weil in dem Streit, wer bekommt sie, die Fed, die Notenbank, oder das Finanzministerium, da hat es einen Riesen Streit gegeben. Aber ich glaube, das ist unvermeidbar, und wenn man die Formulierung, die ja ganz spannend ist, der sogenannten Auflösung eines Grundwiderspruchs der Grünen nimmt, nämlich zu sagen, wir wollen Staat, wir wollen mehr Staat und mehr Markt, dann ist das mir zu nebulös.
Was wir vor allem brauchen ist – und das ist doch die Erfahrung und da geht der jetzt beschlossene Plan trotz aller Kompromisse gut drauf ein -, wir brauchen jetzt wirklich sozusagen Fehlentwicklungen, die sich aus dem Markt heraus ergeben. Das heißt, Märkte müssen reguliert werden. Es darf nicht mehr sein, dass Institutionen entstehen, Banken entstehen, to big to fail, die nachher gerettet werden müssen, weil sie systemische Relevanz haben. Also ich glaube, dass es hier wirklich mal darauf ankommt zu sagen, mehr Markt ist zurzeit nicht die Frage, sondern entscheidend ist die Frage, ganz im Sinne des Ordoliberalismus, wie stellen wir strenge Spielregeln auf, und die Spielregeln müssen das Marktgeschehen auf den Finanzmärkten deutlich begrenzen. Das tut beispielsweise der Plan, der jetzt vorgelegt worden ist, in den USA auch dadurch, dass beispielsweise die Beteiligungen von Hedgefonds im Grunde genommen begrenzt werden. Das ist die Tatsache, dass Banken, die normalen Geschäftstätigkeiten nachgehen, künftig nur noch in beschränkter Weise Beteiligungen bei Hedgefonds führen dürfen, weil die krisenrelevant sind. Also hier werden Spielregeln aufgestellt, und das ist das entscheidende.
Heinemann: Und für Sie, den Bremer Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel, heißt Spielregeln auch mehr Staat?
Hickel: Spielregeln heißt notwendigerweise mehr Staat, wobei es natürlich darauf ankommt – die Erfahrungen haben wir ja auch gemacht -, dass der Staat in seiner Kompetenz oftmals völlig überfordert ist. Wir haben ja beispielsweise durchaus schon Bundesaufsichtsmöglichkeiten gehabt, die etwa beim Niedergang, bei der Pleite der Sächsischen Landesbank nicht richtig berücksichtigt worden sind.
Da gibt es eine Idee in dem Obama-Plan, die auch gewisser Weise gerettet worden ist, das auf mehrere Schultern zu verteilen. Beispielsweise gibt es ja auch noch den sehr gestärkten Verbraucherrat, der etwa festlegt, unter welchen Bedingungen künftig Kredite und vor allem auch Kreditkarten vergeben werden. Also es gibt, wenn Sie so wollen, sozusagen nicht alles auf eine Bundesbehörde konzentriert – das wäre eine Katastrophe -, sondern es gibt ein sehr differenziertes System von unterschiedlichen Einrichtungen, beispielsweise die Warenterminbörsenaufsicht, oder die SEC, die zuständig ist für die Börsenaufsicht. Alle sind sozusagen jetzt in dem Spiel drin, und so entsteht ein Vernetzungssystem, von dem ich dann hoffe, dass der Bürokratiezuwachs nicht allzu groß wird, aber dass die frühzeitige Erkennung – und darum geht es eigentlich – von Systemrisiken und vor allem auch Aufstellen von Regeln zunimmt, und das ist Ordoliberalismus im wahrsten Sinne des Wortes, Aufstellen von Regeln, die es nicht zulassen, dass im Grunde genommen es zu derartigen Fehlentwicklungen kommt.
Ich will einen Punkt noch nennen, der mich sehr, sehr überrascht hat, dass er drin ist. Das sind die Beschränkungen der Kredit-Derivate. Die große letzte Immobilienkrise aus den USA ist ja dadurch zu Stande gekommen, dass da Kredite vergeben worden sind an einkommensschwache Personen. Dann sind die Kredite von der Bank mehrfach verpackt worden, verkauft worden, und das Risiko war im Grunde genommen aus der Bankbilanz verschwunden. Da sieht jetzt der Obama-Plan, beziehungsweise der Beschlüsse der Dott Frank Commission, die sehen heute vor, dass mindestens wenigstens 5 Prozent dieser Art von Krediten nicht verbrieft, nicht verkauft werden dürfen, sondern in der Bilanz drin stehen bleiben müssen und damit zumindest das Risikosignal für die Aufsichtsbehörde dann auch signalisiert wird: Stopp, was ist da.
Heinemann: Aber Herr Hickel, kann der Staat den Wettlauf mit findigen Investment-Bankern denn überhaupt gewinnen?
Hickel: Da sind wir an einer ganz entscheidenden Frage, die sich heute stellt: wird beispielsweise dieses Gesetz dafür sorgen, dass es keine Finanzmarktkrisen oder weniger oder in geringerem Ausmaß Finanzmarktkrisen gibt. Da bin ich ganz, ganz skeptisch. Erstens ist natürlich in dem Gesetz, in den 2000 Seiten, unglaublich viel offen geblieben, und das ist gefährlich, weil der massive Druck der Lobbyisten, der ja beispielsweise auch dazu geführt hat, dass die Bankenabgabe abgeschafft beziehungsweise nicht eingeführt worden ist, da droht natürlich die Gefahr, dass jetzt sozusagen das Gesetz so verändert wird, dass am Ende wieder Goldman Sachs und JP Morgan, die heute super Zahlen vorlegen, weiter ihre Geschäfte machen können. Es bleibt, wenn man so will, ein Dauerkampf zwischen staatlicher Regulierung, staatlicher Aufsicht auf der einen Seite und dem Versuch der Banken und der Finanzinstitute, auch der Fonds, mit allen Mitteln sich dieser Regulierung zu entziehen. Die sind ja sehr findig, die werden neue Wege finden. Deshalb kann man sagen, mit einem solchen Gesetz ist überhaupt nichts abgeschlossen. Da ist jetzt ein Lernprozess in Gang gesetzt, und da kommt es darauf an, den jetzt auch kontrolliert durchzusetzen. Dann haben wir eine Chance, rauszukommen.
Heinemann: Apropos "neue Wege". Unser Börsenkorrespondent Konrad Pohl rechnet damit, dass die Kunden die Zeche zahlen werden.
Konrad Pohl: Hauptsache, die Banken verdienen Geld. So ähnlich würde das wahrscheinlich ein Händler sagen. Jedenfalls sind die Banken schon die ganze Zeit fleißig dabei, Mittel und Wege zu ersinnen, wie sie trotz der neuen Finanzregeln Geld verdienen können. Zum Beispiel nehmen die Bank of America und die Bank Wells Fargo wieder Geld für die Führung einfacher Girokonten. Die waren lange Zeit gratis. JP Morgan Chase und Goldman Sachs investieren massiv in den Aufbau neuer Handelsabteilungen, und zwar für Wertpapier-Derivate.
Heinemann: Herr Hickel, werden die Banken höhere Kosten auf die Kunden abwälzen?
Hickel: Es wird in der Tat eine Tendenz geben, dass versucht wird, das auf die Kunden abzuwälzen, aber man muss doch sehen, dass die hoch riskanten Geschäfte, da sind ja die Kunden nicht unmittelbar beteiligt. Wenn jemand eine Einlage hat oder einen Kredit, ein kleinerer, mittlerer Unternehmer einen Kredit aufnimmt, dann wird er sozusagen von diesen Regulierungen eigentlich eher geschützt als belastet. Ich glaube, das Rad, das da gedreht wird, liegt vor allem in Milliarden-Höhe. Da haben ja die Grünen Recht, wenn sie darauf hinweisen, dass mit einem minimalsten Einsatz sozusagen an Eigenkapital und über Schulden diese ganzen riskanten Projekte finanziert werden, dass das nicht unmittelbar auf die Kunden durchschlägt. Aber eine Argumentation, die ist mir heute auch ganz wichtig: Wir haben begriffen, dass die Finanzmarktkrise, die privatwirtschaftlich, privatwirtschaftlich-kapitalistisch durch große monopolistische Banken und Finanzinstitutionen ausgelöst wird, dass wenn die in die Krise gerät, dass dann die gesamte Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft betroffen ist. Also es entstehen dann brutale externe Schäden, und darauf kommt es an, sozusagen gleichsam in der Prophylaxe zu verhindern, dass es am Ende zu solchen Schäden kommt, die zwar diejenigen, die sie verursacht haben, nicht bezahlen, sondern überwälzen meistens an die Steuerzahler.
Heinemann: Professor Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Hickel: Schönen Dank.
In Berlin haben heute die Grünen ihre Vorschläge für eine Bändigung des Finanzmarktes vorgelegt.
Am Telefon ist der Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen. Guten Tag!
Rudolf Hickel: Schönen guten Tag!
Heinemann: Herr Hickel, das US-Gesetz ist 2000 Seiten stark, die Grünen haben heute Eckpunkte benannt. Insofern muss ein Vergleich notwendigerweise sehr grobmaschig ausfallen. Trotzdem: welcher Rettungsplan überzeugt Sie mehr, Obama oder Trittin?
Hickel: Da gibt es eine klare Antwort. Sicherlich enthält der Vorschlag der Grünen, vor allem wie es Trittin und Herr Schick vorgetragen haben, ganz wichtige wesentliche Elemente der Reform. Aber es gibt einen fundamentalen Unterschied. Der amerikanische Weg der Neuordnung der Finanzmärkte geht viel, viel systematischer vor, greift viel stärker ein sozusagen in die Fehlentwicklung. Ich will es mal so formulieren: Es war nicht die Einsicht, es war nicht Überzeugung, sondern es war maßgeblich die materielle Gewalt der letzten Krise, die dazu geführt hat, dass jetzt beispielsweise – und das ist im Grünen-Papier nicht drin – eine Institution gegründet wird unter dem Dach der Notenbank beziehungsweise in Zusammenarbeit mit dem Finanzministerium, nämlich der Früherkennung von Systemrisiken. Das ist das eine.
Und das zweite, was mir bei den Grünen fehlt, trotz vieler guter Vorschläge: der Schock, der Lehman Brother Schock hat maßgebliche Konsequenzen ausgelöst in dem Beschluss, der gefasst worden ist jetzt auch vom Senat in den USA, nämlich es wird eine Insolvenzordnung hergestellt, und es ist ganz entscheidend, dass diese Insolvenzordnung dazu beitragen soll, dass künftig keine steuerfinanzierten Rettungsmaßnahmen der Banken stattfinden.
Und schließlich ein drittes, das ich für sehr wesentlich halte - hätte ich nicht für möglich gehalten aufgrund des Drucks der Lobbyisten -, dass auch im Bereich dieses so krisenhaften Derivate-Handels, dass dort doch eindeutige Einschränkungen vorgenommen worden sind. Große Banken dürfen den Handel nur noch dann führen, wenn es der Risikoabsicherung dient. Also es gibt viele systematische Elemente, aber natürlich ist das ganze Konzept, das Obama vor drei Monaten vorgelegt hat, durch Lobbyisten zerrupft worden, aber es geht in die richtige Richtung.
Heinemann: Bleiben wir beim ersten Punkt: bei dem Regulierungsrat, den Obama plant. Die Bürokratie schreckt Sie nicht?
Hickel: Die schreckt mich nicht, die ist unvermeidbar. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich sehr genau aufpassen, dass die Bürokratie, die da entsteht, diese Institution, die natürlich auch widersprüchlich angelegt ist, weil in dem Streit, wer bekommt sie, die Fed, die Notenbank, oder das Finanzministerium, da hat es einen Riesen Streit gegeben. Aber ich glaube, das ist unvermeidbar, und wenn man die Formulierung, die ja ganz spannend ist, der sogenannten Auflösung eines Grundwiderspruchs der Grünen nimmt, nämlich zu sagen, wir wollen Staat, wir wollen mehr Staat und mehr Markt, dann ist das mir zu nebulös.
Was wir vor allem brauchen ist – und das ist doch die Erfahrung und da geht der jetzt beschlossene Plan trotz aller Kompromisse gut drauf ein -, wir brauchen jetzt wirklich sozusagen Fehlentwicklungen, die sich aus dem Markt heraus ergeben. Das heißt, Märkte müssen reguliert werden. Es darf nicht mehr sein, dass Institutionen entstehen, Banken entstehen, to big to fail, die nachher gerettet werden müssen, weil sie systemische Relevanz haben. Also ich glaube, dass es hier wirklich mal darauf ankommt zu sagen, mehr Markt ist zurzeit nicht die Frage, sondern entscheidend ist die Frage, ganz im Sinne des Ordoliberalismus, wie stellen wir strenge Spielregeln auf, und die Spielregeln müssen das Marktgeschehen auf den Finanzmärkten deutlich begrenzen. Das tut beispielsweise der Plan, der jetzt vorgelegt worden ist, in den USA auch dadurch, dass beispielsweise die Beteiligungen von Hedgefonds im Grunde genommen begrenzt werden. Das ist die Tatsache, dass Banken, die normalen Geschäftstätigkeiten nachgehen, künftig nur noch in beschränkter Weise Beteiligungen bei Hedgefonds führen dürfen, weil die krisenrelevant sind. Also hier werden Spielregeln aufgestellt, und das ist das entscheidende.
Heinemann: Und für Sie, den Bremer Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel, heißt Spielregeln auch mehr Staat?
Hickel: Spielregeln heißt notwendigerweise mehr Staat, wobei es natürlich darauf ankommt – die Erfahrungen haben wir ja auch gemacht -, dass der Staat in seiner Kompetenz oftmals völlig überfordert ist. Wir haben ja beispielsweise durchaus schon Bundesaufsichtsmöglichkeiten gehabt, die etwa beim Niedergang, bei der Pleite der Sächsischen Landesbank nicht richtig berücksichtigt worden sind.
Da gibt es eine Idee in dem Obama-Plan, die auch gewisser Weise gerettet worden ist, das auf mehrere Schultern zu verteilen. Beispielsweise gibt es ja auch noch den sehr gestärkten Verbraucherrat, der etwa festlegt, unter welchen Bedingungen künftig Kredite und vor allem auch Kreditkarten vergeben werden. Also es gibt, wenn Sie so wollen, sozusagen nicht alles auf eine Bundesbehörde konzentriert – das wäre eine Katastrophe -, sondern es gibt ein sehr differenziertes System von unterschiedlichen Einrichtungen, beispielsweise die Warenterminbörsenaufsicht, oder die SEC, die zuständig ist für die Börsenaufsicht. Alle sind sozusagen jetzt in dem Spiel drin, und so entsteht ein Vernetzungssystem, von dem ich dann hoffe, dass der Bürokratiezuwachs nicht allzu groß wird, aber dass die frühzeitige Erkennung – und darum geht es eigentlich – von Systemrisiken und vor allem auch Aufstellen von Regeln zunimmt, und das ist Ordoliberalismus im wahrsten Sinne des Wortes, Aufstellen von Regeln, die es nicht zulassen, dass im Grunde genommen es zu derartigen Fehlentwicklungen kommt.
Ich will einen Punkt noch nennen, der mich sehr, sehr überrascht hat, dass er drin ist. Das sind die Beschränkungen der Kredit-Derivate. Die große letzte Immobilienkrise aus den USA ist ja dadurch zu Stande gekommen, dass da Kredite vergeben worden sind an einkommensschwache Personen. Dann sind die Kredite von der Bank mehrfach verpackt worden, verkauft worden, und das Risiko war im Grunde genommen aus der Bankbilanz verschwunden. Da sieht jetzt der Obama-Plan, beziehungsweise der Beschlüsse der Dott Frank Commission, die sehen heute vor, dass mindestens wenigstens 5 Prozent dieser Art von Krediten nicht verbrieft, nicht verkauft werden dürfen, sondern in der Bilanz drin stehen bleiben müssen und damit zumindest das Risikosignal für die Aufsichtsbehörde dann auch signalisiert wird: Stopp, was ist da.
Heinemann: Aber Herr Hickel, kann der Staat den Wettlauf mit findigen Investment-Bankern denn überhaupt gewinnen?
Hickel: Da sind wir an einer ganz entscheidenden Frage, die sich heute stellt: wird beispielsweise dieses Gesetz dafür sorgen, dass es keine Finanzmarktkrisen oder weniger oder in geringerem Ausmaß Finanzmarktkrisen gibt. Da bin ich ganz, ganz skeptisch. Erstens ist natürlich in dem Gesetz, in den 2000 Seiten, unglaublich viel offen geblieben, und das ist gefährlich, weil der massive Druck der Lobbyisten, der ja beispielsweise auch dazu geführt hat, dass die Bankenabgabe abgeschafft beziehungsweise nicht eingeführt worden ist, da droht natürlich die Gefahr, dass jetzt sozusagen das Gesetz so verändert wird, dass am Ende wieder Goldman Sachs und JP Morgan, die heute super Zahlen vorlegen, weiter ihre Geschäfte machen können. Es bleibt, wenn man so will, ein Dauerkampf zwischen staatlicher Regulierung, staatlicher Aufsicht auf der einen Seite und dem Versuch der Banken und der Finanzinstitute, auch der Fonds, mit allen Mitteln sich dieser Regulierung zu entziehen. Die sind ja sehr findig, die werden neue Wege finden. Deshalb kann man sagen, mit einem solchen Gesetz ist überhaupt nichts abgeschlossen. Da ist jetzt ein Lernprozess in Gang gesetzt, und da kommt es darauf an, den jetzt auch kontrolliert durchzusetzen. Dann haben wir eine Chance, rauszukommen.
Heinemann: Apropos "neue Wege". Unser Börsenkorrespondent Konrad Pohl rechnet damit, dass die Kunden die Zeche zahlen werden.
Konrad Pohl: Hauptsache, die Banken verdienen Geld. So ähnlich würde das wahrscheinlich ein Händler sagen. Jedenfalls sind die Banken schon die ganze Zeit fleißig dabei, Mittel und Wege zu ersinnen, wie sie trotz der neuen Finanzregeln Geld verdienen können. Zum Beispiel nehmen die Bank of America und die Bank Wells Fargo wieder Geld für die Führung einfacher Girokonten. Die waren lange Zeit gratis. JP Morgan Chase und Goldman Sachs investieren massiv in den Aufbau neuer Handelsabteilungen, und zwar für Wertpapier-Derivate.
Heinemann: Herr Hickel, werden die Banken höhere Kosten auf die Kunden abwälzen?
Hickel: Es wird in der Tat eine Tendenz geben, dass versucht wird, das auf die Kunden abzuwälzen, aber man muss doch sehen, dass die hoch riskanten Geschäfte, da sind ja die Kunden nicht unmittelbar beteiligt. Wenn jemand eine Einlage hat oder einen Kredit, ein kleinerer, mittlerer Unternehmer einen Kredit aufnimmt, dann wird er sozusagen von diesen Regulierungen eigentlich eher geschützt als belastet. Ich glaube, das Rad, das da gedreht wird, liegt vor allem in Milliarden-Höhe. Da haben ja die Grünen Recht, wenn sie darauf hinweisen, dass mit einem minimalsten Einsatz sozusagen an Eigenkapital und über Schulden diese ganzen riskanten Projekte finanziert werden, dass das nicht unmittelbar auf die Kunden durchschlägt. Aber eine Argumentation, die ist mir heute auch ganz wichtig: Wir haben begriffen, dass die Finanzmarktkrise, die privatwirtschaftlich, privatwirtschaftlich-kapitalistisch durch große monopolistische Banken und Finanzinstitutionen ausgelöst wird, dass wenn die in die Krise gerät, dass dann die gesamte Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft betroffen ist. Also es entstehen dann brutale externe Schäden, und darauf kommt es an, sozusagen gleichsam in der Prophylaxe zu verhindern, dass es am Ende zu solchen Schäden kommt, die zwar diejenigen, die sie verursacht haben, nicht bezahlen, sondern überwälzen meistens an die Steuerzahler.
Heinemann: Professor Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Hickel: Schönen Dank.
