Freitag, 19. April 2024

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Künstler-Selbstoptimierung
Raus aus Hartz IV, rein in den Kunstmarkt

Ihr Selbstoptimierungsseminar hat die Fotografin und Hartz-IV-Empfängerin Stefanie Schröder zum prämierten Videoprojekt gemacht, das zur Zeit im NRW-Forum Düsseldorf zu sehen ist. Gewinne zu maximieren sei nicht ihr Hauptinteresse, sagt Schröder im Dlf. "Es muss auch eine Kunst geben, die jenseits des hochpreisigen Kunstmarktes stattfindet."

Stefanie Schröder im Corsogespräch mit Ulrich Biermann | 30.11.2017
    Ein Ausschnitt aus der Projektion "40h, max 2 Monate (work in progress)" von Stefanie Schröder. Eine Frau zeigt auf ein Flipchart, gelangweilte Teilnehmer der Maßnahme sitzen am Tisch
    Die Maßnahme der Agentur für Arbeit hat sich für Stefanie Schröder auf Umwegen ausgezahlt (Stefanie Schröder)
    Stefanie Schröder ist Fotografin, Fotokünstlerin, Künstlerin auch mit bewegten Bildern. Vor drei Jahren erhielt sie den "gute aussichten"-Preis, der für junge deutsche Fotografie vergeben wird, und in diesem Jahr hat sie das erste "gute aussichten"-Stipendium erhalten – für ihre Arbeit, die aktuell im NRW-Forum in Düsseldorf zu sehen ist. "40h, max 2 Monate (work in progress)" - eine zweikanalige Videoprojektion, die nachstellt, wie Stefanie Schröder auf den Kunstmarkt und die Selbstständigkeit vorbereitet wird und sich selbst dafür auch noch stärkt.
    "Auf einem Umweg hat mir das tatsächlich was gebracht"
    Ulrich Biermann: Willkommen zum Corsogespräch, Stefanie Schröder.
    Stefanie Schröder: Hallo.
    Biermann: Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt, auch noch staatlich gefördert?
    Schröder: Staatlich gefördert ist eigentlich eine ganz schöne Umschreibung. Also, tatsächlich findet das statt mit einer Förderung. Ich bin selbstständig tätig als Künstlerin und Fotografin, habe aber nicht genug Einnahmen und daher stocke ich auf beim Arbeitsamt. Ich bin sozusagen eine Hartz IV-Empfängerin, die selbstständig ist und anteilig Hartz IV bekommt. Und dieses Seminar, was bei der Unternehmensberatung stattfand, also auch … "Unternehmensoptimierung" ist quasi der Titel des Seminars – das ist im Prinzip eine Maßnahme vom Jobcenter.
    Biermann: Dieses Stipendium, was Sie gerade bekommen haben, dieses "gute aussichten"-grant, lässt ja vermuten, Ihre Ausbilder bei der Unternehmensoptimierung waren sehr erfolgreich, oder?
    Schröder: Auf eine Art, ja. Natürlich hat mir diese Unternehmensoptimierungsmaßnahme was gebracht, weil sie mir einen Inhalt geliefert hat für eine künstlerische Arbeit. Mit dem Konzept dafür habe ich mich eben für dieses Stipendium beworben und das bekommen. Also, auf einem Umweg hat mir das tatsächlich was gebracht.
    Die Ursachen von Hartz IV liegen im System, nicht in den Empfängern
    Biermann: Ich habe eher ironisch gefragt.
    Schröder: (Lacht)
    Biermann: Sie lachen. Ich musste auch viel lachen, als ich Ihre Projektion und Ihr fast 45-minütiges Werk gesehen habe. Sie stellen viel nach: da sind Screenshots, nachgestellte Szenen aus der Maßnahme, erzählte und bebilderte Passagen aus Tagebüchern, weil sie durften nicht drehen. Warum?
    Schröder: Also, ich habe jetzt keine ganz genaue Begründung bekommen, warum nicht. Aber ich habe dann eben für mich beschlossen, dass ich das nacherzählen werde, auf verschiedenen Ebenen. Ich denke, dass das im Endeffekt sogar ganz gut war für den Film. So war das halt von vornherein offener und ich glaube, dass das eigentlich ganz gut passt.
    Biermann: Sehr viel offener heißt, Ihre Projektion, Ihr Film, ist komplex, spannend, angenehm fordernd. Da gibt es Passagen aus Tagebüchern, nachgestellte Szenen, ich habe es erwähnt. Und mir wird klar, während ich das sehe: Leben an sich ist äußerst komplex, anstrengend und spannend. Optimierung ist da vielleicht ein geträumter Begriff, ein Wunsch, aber in der Realität? Vergiss es. Optimierung funktioniert nicht.
    Schröder: Na ja, ich habe das Gefühl, hier wird ein Problem verschoben. Vielleicht erzähle ich mal ganz kurz die Szene in dem Film, die mir sehr, sehr wichtig ist: Da geht das Ganze so ein bisschen in Richtung Therapiesitzung. Wir Teilnehmer der Maßnahme sollen Kindheits-Verhaltensmuster auf ein Flipchart schreiben – was ich sehr schön fand in der Szene, dass im Prinzip so gut wie niemand die Frage verstanden hat. Diese Aufgabe, von wegen "ich suche in meiner eigenen Vergangenheit, in meiner Kindheit irgendwie nach Gründen dafür, warum ich jetzt im Hartz IV-Bezug gelandet bin", das ging so nicht auf – weil das kein psychologisches Problem ist. Dass es Hartz IV gibt, und dass Leute auf Hartz IV sind, die Ursachen dafür sind nicht in der Psyche dieser Leute zu suchen, sondern in dem System, was Hartz IV hervorgebracht hat.
    "Die Unterstellung, dass ein Künstler ein Unternehmer ist, stößt mir auf"
    Biermann: Was ich spannend finde – es ging ja darum, Ihre hauptberufliche Selbstständigkeit als Künstlerin ein bisschen nach vorne zu bringen und Sie aus der Statistik rauszuschaffen…
    Schröder: Ja, genau.
    Biermann: …und dass Sie auch kein Geld mehr vom Amt bekommen. Ich frage mich nur: Kann so ein Amt, können solche Unternehmensberater eigentlich etwas mit freien Künstlern anfangen? Weil Gewinnoptimierung, das wird ja dann auch deutlich in Ihrer Projektion, steht ganz vorne. "Wie werde ich Unternehmer?", wird da gefragt. Das spielt doch eigentlich überhaupt keine Rolle im künstlerischen Schaffen?
    Schröder: Doch. Ich habe ganz am Schluss von dem Video, was auch noch nicht so richtig fertig ist - also, dieses "work in progress" - da habe ich Ausschnitte vorgelesen aus Ratgebern für Künstler, wie man sich quasi am Kunstmarkt etablieren könnte, wie man eine Galerie findet und solche Dinge. Und natürlich ist der Kunstmarkt relativ nah dran an dieser, ich sage jetzt einfach mal, an dieser "Ideologie des Unternehmers". Und das ist einfach das, was ich auch infrage stellen möchte. Ein Unternehmer arbeitet ja vor allen Dingen, um Gewinne zu maximieren. Und ich glaube, das ist nicht mein Hauptinteresse. Natürlich würde ich auch gerne mal Geld verdienen, aber diese Annahme, oder diese Unterstellung, dass ein Künstler ein Unternehmer ist, das stößt mir erst mal auf. Ich finde es persönlich wichtig, dass es eine Kunst gibt, die auch außerhalb von dem hochpreisigen Kunstmarkt stattfindet. Das muss es einfach geben. Als Künstler ernstgenommen oder wahrgenommen werden können nicht nur diejenigen, die am Kunstmarkt erfolgreich sind, weil das sind sehr, sehr wenige. Das fände ich einfach schade und traurig. Und das würde ein sehr kleines, schmales Bild nur abgeben, wenn nur diese Leute sichtbar sind und die anderen dann eher in so eine Sparte fallen. Da gibt es eben auch das Wort "Hobbykünstler" – und ich finde das irgendwie schwierig.
    "Sie hat sich stets bemüht"
    Biermann: Das sind Sie ja alles nicht mehr. Sie sind ja keine Hobbykünstlerin mehr, Sie haben Ihre Maßnahme beendet, 40 Stunden, maximal zwei Monate.
    Schröder: Ja.
    Biermann: Bewertung – Erfolgseinschätzung - Urteil? Teilgenommen.
    Schröder: (Lacht) Genau.
    Biermann: Sie lachen? Was heißt das?
    Schröder: "Teilgenommen", das ist ja so … Es gibt doch, wenn man eine Kündigung, oder wenn man einen Job gemacht hat …
    Biermann: … "Sie hat sich stets bemüht".
    Schröder: Ja. Oder "er ist ein geselliger Mensch" – und das bedeutet dann, dass man Alkoholiker ist oder so. Und ich hatte so den kleinen Verdacht, dass "teilgenommen" auch codiert sein könnte, dass das irgendwas bedeutet. Also, dass das bedeutet, dass ich körperlich anwesend war, aber geistig irgendwo anders oder so was. Das fand ich daran ganz interessant, diese versteckten Messages.
    Hartz IV-Bilder haben ein Drohpotenzial
    Biermann: Sollen die das verklausulieren, wir sehen das kreative Ergebnis im NRW-Forum bis zum 4. Februar des nächsten Jahres. Sie sind Fotografin?
    Schröder: Ja.
    Biermann: 45 Minuten Video – viel bewegtes Bild für eine Fotografin.
    Schröder: Ja. Also, ich mache schon seit Längerem überwiegend Videos, aber die Fotografie spielt da natürlich trotzdem eine große Rolle in dem Video, weil es gibt einen Abschnitt, wo ich mich mit Stock-Fotografie auseinandergesetzt habe, also mit Fotos, die man auf Portalen kaufen kann. Und ich habe die sozusagen statistisch ausgewertet.
    Biermann: Zu Hartz IV zum Beispiel?
    Schröder: Genau. Ich habe einfach "Hartz IV" als Stichwort eingegeben und geschaut, was für Bilder kriege ich zum Stichwort "Hartz IV" und das sind …
    Biermann: Geldscheine.
    Schröder: … Sehr viele Geldscheine und sehr viele Plattenbauten. Und das sagt ja auch was aus, vor allem die Plattenbauten sagen sehr viel aus. Stockfotografie funktioniert ja auch so, dass die relativ schnell und billig produziert wird. Diese Fotos werden eben benutzt, um Artikel zu bebildern, und da sieht man ja irgendwie auch genau, was passiert, wenn nicht genug Zeit und nicht genug Geld dafür da ist, sich tiefer mit so einem Thema wie Hartz IV auseinanderzusetzen. Dass man dann halt immer wieder diese Bilder sieht, die sich immer wieder ähneln - und die haben ja auch ein Drohpotenzial -, die dann so was wie Armut zeigen oder wie "da möchte ich nicht hin". Also, das Standbild kommt in dem Video daher sehr viel vor. Es ist vielleicht nicht Fotografie, aber es ist ein Video auch über Fotografie.
    Biermann: "40h, max 2 Monate" – eine Projektion zweikanalig, Video, von Stefanie Schröder. Danke Ihnen für das Gespräch.
    Schröder: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.