Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Künstler Simon Denny
Von Bergbau nach Datenklau

Simuliert im Game „Minecraft“ sowie real ist die neue Ausstellung „Mine“ des neuseeländischen Künstlers Simon Denny zu erleben. Darin geht es unter anderem um die Mechanismen des digitalen Kapitalismus. Kurz: Arbeit 4.0.

Von Peter Backof | 04.09.2020
Ich laufe fast eine Stunde orientierungslos herum, online, in der Parallelwelt von "Minecraft". Hier war ich doch schon; das kenne ich! Es ist die Zeche Zollverein in Essen, grobschlächtig redesignt, eine "Minecraft"-typische Landschaft in Datenkacheln und -haufen; ich werde nicht eingelullt von "immersiver" Grafik. Ich soll sehen, dass hier alles simuliert ist! - Und das ist auch der Grund, warum Simon Denny seine Ausstellung "Mine" auch in "Minecraft" zeigt?
"Ach, am Ende ist doch alles analog, auch virtuelle Ausstellungen! Sie sehen durch Screens, Sie haben ein Netzwerk; das hat alles auch eine Körperlichkeit. Und in meiner Schau geht es darum, wie nun die physische Erde mit digitalen Systemen verschränkt ist," sagt mir Simon Denny in der physischen Realität der Pressekonferenz in Düsseldorf. Während ich dann zu Hause am Abend und die halbe Nacht weitersuche: Wo ist die Ausstellung? "Unter der Zeche" habe ich noch im Ohr. Ok, ich hüpfe in ein Wasserbecken und ertrinke; das kostet mich ein virtuelles Lebensherzchen.
Spiele als Kunst
Endlich, drei Durchgangsräume wie in der Pressekonferenz. Ich kann die Installationen und Videos der Ausstellung als Belohnungen einsammeln. Mehr aber auch nicht! - Wenn ich die Werke nicht schon vorher "in echt" gesehen hätte, würde mich das hier in "Minecraft" nicht begeistern. Simon Denny indes kreiert seit Jahren Spiele, als Kunst. Genauer gesagt Brettspiele, die Kunstwerke sind. Nicht nur, weil sie "kunstvoll" gemacht sind: "Meine Ausstellung hier geht aus vom Brettspiel ´Sqatter´, ein Klassiker 'Down under'; gibt es seit den 60ern: Sie bauen eine Schaffarm auf und verkaufen die Wolle. Ich habe die Spielmechanik redesignt. Sie sind nicht mehr Farmer, sondern ein Marktforschungsinstitut oder eine Bitcoin-Mine und handeln mit Daten."
"Extractor" heißt das Spiel, das man quasi aus der Ausstellung heraus kaufen kann; für 65 Euro - ein realistischer Preis für ein gutes Brettspiel. Und das ist Simon Dennys Punkt: das Spiel selber, mit Dutzenden Verpackungen auf einem werbemäßigen Display präsentiert, ist die Kunst. "Das Potenzial von Brettspielen und auch Computerspielen: Sie können Prozesse in ihrer Mechanik sichtbar machen, Sie können aber auch die Ideologie dahinter verständlich machen."
Maschinen im Design von "Minecraft"
Vom Handel mit Daten geht es in Düsseldorf im nächsten Raum hinein in autonome Bergbau-Technologie. Eine Welt ohne Menschen mit selbstfahrenden Baggern. Die sind aus Pappe nachgebaut, wieder im groben "Minecraft"-Design und werden in Videos auf Screens angepriesen. Zukunftstechnologie, die in der Bergbau-Nation Australien bereits boomt. "Und da wird es politisch: es geht ja nicht darum, alle Menschen arbeitslos und nutzlos zu machen, sondern die meisten von uns. Den Nutzen haben die, die diese Maschinen besitzen."
Maschinen im Design von "Minecraft" gebaut, im Fall der Ausstellung, die in 3 Sälen dargeboten wird, sieht es aus wie auf einer Tech oder Games Messe. An den Wänden Screens mit Video. Das gedankliche Herzstück versteckt sich fast ein wenig. Es ist eine Gerichtszeichnung: Ein paar Kapitalisten und Karrieristen sitzen gezeichnet auf der Anklagebank und müssen sich rechtfertigen, wegen geldmäßiger Ausbeutung und Umweltsünden. Das Szenario eines Welt-Klima-Gerichtshofs: Immerhin eine mögliche, reale Zukunft.
Ein Käfig für einen idealen Bergbauarbeiter
Schade, die Feinheiten der Ausstellung sind in der Online-Version von "Mine" auf "Minecraft" gar nicht zu sehen. Auch ein letzter "Schocker" der realen Ausstellung, taucht nur als undefinierter Metallkäfig auf. "Die Firma Amazon sichert ja laufend Patente für sich. Hier geht es um eins, das wieder zurückgenommen wurde. Ein Käfig für einen idealen Bergbauarbeiter." Ein Schutzkäfig gegen Steinschlag nur auf den ersten Blick. Das Stück Humankapital, das darin sitzen soll, wird von K.I. totalüberwacht. Zu müde für den Job heute? Feuern, den Mann! - Da kommt man nicht vorbei an der Assoziation zu Charlie Chaplin in "Moderne Zeiten", diese Fütterungs- und Optimierungsmaschine. "Genau das ist es. Diese Frage von Charlie Chaplin müssen wir uns nach hundert Jahren immer noch stellen: Was machen autonome Systeme mit uns?"
Und was habe ich jetzt eigentlich mit mir machen lassen, stundenlang in "Minecraft" unterwegs? Der Mehrwert für mich und das, was die Kunst von Simon Denny leistet: Da wird nicht Digitales gegen Analoges ausgespielt, sondern beides bespiegelt sich. Die Onlineschau ist am Ende mehr als eine datenreduzierte Version: Die Wirklichkeit ist Programmiertext ist die Wirklichkeit. Und Spiel! 2020 und folgende. Es lohnt sich, beide Versionen von "Mine" zu besuchen!