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Künstlerische Albernheit

Laut Ankündigung war es "sensationelle Geldnot", die die drei Ex-Chefredakteure des Satiremagazins "Titanic" an die Berliner Volksbühne trieb. Und weil Oliver Maria Schmitt, Thomas Gsella und Martin Sonneborn nun einmal da waren, veranstalteten sie auch gleich ein bittersüßes Medienspektakel.

Von Arno Orzessek | 05.11.2013
    "Guten Abend, Berlin. Wir sind noch nie zusammen aufgetreten im Rahmen eines Comebacks. Wir sind total aufgeregt. Ihr nicht? Das sieht man Euch an. Immer die gleichen gelangweilten Fressen. Das macht aber nichts. Wir schauen weg."

    Tja, was macht man als Einheizer, wenn die Leute anfangs nur so herumglotzen und nicht einmal den Klassiker - die Publikumsbeschimpfung - mit Lächeln belohnen?

    Ex-Titanic-Chefredakteur Oliver Maria Schmitt kam leicht ins Schwimmen - und schwamm dann rücksichtslos weiter.

    "Dann versuchen wir es einfach mal ohne gute Stimmung, ohne La-Ola-Welle und ohne - einfach berlinerisch, authentisch beschissen berlinerisch. Deswegen sind wir hier. Wer hier scheitert, der scheitert überall."

    Und nun lief's... selbstverständlich auf das Erwartbare hinaus: auf Satire mit Köpfchen, aber gern ohne Subtilität - dafür umso lieber schön zotig.

    Als Thomas Gsella Gedichte vortragen wollte, quakten ihm Oliver Schmitt und Martin Sonneborn in kichernder Pennäler-Unanständigkeit dazwischen.

    "Ich muss kurz unterbrechen, weil die Kollegen wieder ein ziemlich blödes Spiel treiben. Während ich lese, nennen Sie mich Wichser. So, dass Sie das nicht hören. Aber dauernd ohne Pause: Wichser, Wichser, Wichser... Jetzt schon wieder, ich komm nicht zum lesen."

    Eine fingierte Störung, klar - und eine etwas alberne Art, die Vorliebe der Boygroup für das künstlerisch durchaus wertvolle Stilmittel Albernheit vorzuführen. Thomas Gsella kam indessen doch zu Wort und stampfte deutsche Städte dichterisch in Grund und Boden.

    "Die Frauenkirche zu zerhauen, um mit den freien Steinen, die Mauer wieder aufzubauen und so das Land zu einen, in dem man wieder atmen lässt den Osten und den Westen, das kann man nicht in jedem Nest, das kann man nur in Dresden."

    Dass die Boygroup gewisse Kreativ-Defizite hat, erkannte man auch an dem vielen gebrauchten Material. Martin Sonneborn, als Politiker Partei-Chef der Partei "Die Partei", zeigte einige seiner Filmchen für die "Heute Show" im ZDF, und las aus Briefen aus seiner Zeit als Titanic-Chef vor - nicht zuletzt aus dem an die Bild-Zeitung.

    "Mit großer Erleichterung, Bild-Zeitung, haben wir gerade Deine Meldung gelesen: Amok-Läufer erschießt vier Kollegen. Da dürften die Straßen jetzt wohl für eine Weile sicher sein. Schwer beruhigt, Titanic."

    Lesenwert auch Sonneborns Brief an das Ordnungsamt Potsdam - eine Klage über Probleme beim Ausfüllen des Jagdschein-Antragsformulars.

    "Und jetzt bereiten uns schon die ersten Frage des offiziellen Formblattes Kopfzerbrechen. Entscheiden wir uns für a) einen Falkner-Jagdschein, b) einen Tages-Jagdschein für Inländer, c) einen Jahres-Jagdschein für Inländer, oder lieber für d) einen Ausländer-Jagdschein?"

    Oliver Schmitt recycelte seinerseits, indem er berühmte Titanic-Titelblätter vorstellte - von der Zonen-Gaby mit Banane bis zum adretten Berlusconi:

    "Wir wollten noch einmal an unseren römischen Leser Silvio Berlusconi erinnern, mit einer Fotografie, wie man ihn ganz selten sieht, nämlich im Büro, angezogen und ohne Erektion. Eine ganz seltene Aufnahme."

    Thomas Gsella glaubte sogar, das Publikum mit verstaubten Reporter-Floskel-Enzyklopädie aus dem letzten Jahrtausend unterhalten zu können - und irrte sich nicht.

    "Es ist mein bisher erfolgreichstes und auch mit Abstand schlechtestes Buch. 'So werde ich Heribert Faßbender'. Faßbender war 1840 bis 1860 Sportchef der ARD, glaube ich."

    "Kapitel 20. Philosophie. Rummenigge ist nicht Hoeneß. Fußball ist eine schnelllebige Zeit. Kapitel 24. Zeit. Jetzt sind genau 10 Minuten gespielt, also genau eine Viertelstunde. Je länger das Spiel dauert, desto weniger Zeit bleibt. Zwei Minuten gespielt, noch immer hohes Tempo."

    Auf der Höhe ihrer Kunst war die Boygroup immer dann, wenn sie Minderheiten diskriminieren, Kranke diffamieren und Wehrlose - zumal aus dem sächsischen Sprachraum - in den Staub treten konnte.

    Sonneborn hatte einst als Manager des Energiekonzerns Powerplus einem Herrn Kudrun Polen-Strom aufgeschwatzt und zur Beruhigung eine Probelieferung vereinbart. Das nachgestellte Gespräch hörte sich in der Volksbühne so an:

    "'Dann schalten wir jetzt auf den billigen Polen-Strom um. Drei, zwei, eins, jetzt. So, wenn Sie jetzt mal durch Ihre Wohnung gehen. Haben Sie so ein transportables Telefon?' 'Ja, ich hab ne transportables Telefon, jawoll, ich kann rumlaufe. Soll ich mal rumlaufen jetzt. Soll ich mal rumlaufen?' 'Ja, beschreiben Sie mal, was Sie da sehen.' - 'Ja, ich kann mal loslaufen. Ich kann absolut keine Veränderung feststellen. Ich kann hier nichts feststellen. Ich lauf jetzt grad durch die Küche. Jetzt geh ich ins Bad, bei der Waschmaschine. Die ist an. Die Heizung hab ich voll aufgedreht, auf 90 Grad hier. Da läuft alles. Das läuft tadellos."

    Schmitt, als Conferencier grenzwertig ungestüm, glänzte als grotesker Stimmen-Imitator - auch beim Nachsprechen eines Treffens zwischen Bild-Chef Kai Diekmann, Alt-Bundeskanzler Kohl und Maike Richter Kohl im Restaurant.

    "'Wwff, wssss, wwrrrr, krrrr.' - 'Helmut, Herr Kohl, ich bin doch nur, der Kai' - 'Krrooo, pffrrrttt, krrroo.' - 'Helmi, um Gottes Willen, Helmi.' - 'Meine Fresse, ein Notfall... Fotograf. Schnell, ruft einen Fotografen.' - 'Krrrroooomm, krruuuummm, rrrrroooo.' -... - 'Scheiße, er stirbt. Fuck, fuck, fuck. Das glaube ich ja nicht. Hallo Herr Kohl, bitte schauen Sie zu mir? - 'rrrrrr, trrröööö, gruuu' - 'Alle Maschinen stop. Weltexklusive Megameldung Kohl stirbt. Der Abgang des Altkanzlers.'"

    Gemessen an den Tiefpunkten ist das Comeback der Titanic-Boygroup misslungen. Aber es gab auch Höhepunkte... und wie man solche erzielt, das erklärte Martin Gsella.

    "Geht man von 15 Zentimetern erigierter Penislänge aus, erlebt eine Frau während ihres Liebeslebens insgesamt 200 Kilometer Penis. Das entspricht der sechsfachen Länge des Ärmelkanaltunnels.'"