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Künstliche Befruchtung aus katholischer und evangelischer Sicht

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder möchte die künstliche Befruchtung stärker finanziell fördern. Doch auch aus den Reihen der Union kommt Kritik – unter anderem, weil die christlichen Kirchen der künstlichen Befruchtung skeptisch gegenüberstehen. In der Theologie wird das Thema kontrovers diskutiert.

Von Rainer Brandes | 29.12.2011
    Die lehramtliche Meinung der katholischen Kirche ist eindeutig. Sie lehnt jede Form der künstlichen Befruchtung bei Menschen ab. Die Grundlagen dieser Lehre finden sich in der Instruktion "Donum Vitae". Diese lehramtliche Erklärung hat die Glaubenskongregation des Vatikans 1987 herausgegeben. Ihr damaliger Vorsitzender war Kardinal Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt der Sechzehnte. Kerngedanke des Dokumentes ist die Einheit von sexueller Liebe und Zeugung, erklärt der Freiburger katholische Moraltheologe Eberhard Schockenhoff.

    "Die katholische Kirche geht in ihren Lehräußerungen davon aus, dass die Liebe der Eltern und das sexuelle Zusammensein der Eltern und die Zeugung eines Kindes zusammengehören, weil nur auf diese Weise gewährleistet sei, dass das Kind auch tatsächlich als Frucht der Liebe, als Geschenk der Liebe der Eltern und nicht als Produkt eines technisch-medizinischen Eingriffes dann zur Welt kommen kann."

    Demnach äußert sich die Liebe Gottes in der körperlichen Liebe von Mann und Frau. Diese strikte Ablehnung der künstlichen Befruchtung unter Berufung auf die Einheit von Liebe und Sexualität stößt allerdings auch innerhalb der katholischen Kirche auf Kritik, vor allem bei gläubigen Ehepaaren, die auf natürliche Weise keine Kinder bekommen können.

    Sie argumentieren, dass ihr Kind auch dann ein Produkt ihrer Liebe sei, wenn sie sich bei der Zeugung medizinischer Hilfsmittel bedient hätten. Diese liberalere Interpretation wird auch von vielen Vertretern der katholischen Moraltheologie vertreten, unter anderem von Eberhard Schockenhoff.

    "Es sind auch ethisch verantwortliche und vertretbare Formen denkbar, in denen man die künstliche Befruchtung durchführt, und dann ist auch unter dem Vorzeichen der katholischen Ethik, wie sie in Deutschland, in den USA, in Europa diskutiert wird, dagegen kein grundsätzlicher Einwand zu erheben."

    Es bleibt allerdings das ethische Problem möglicher überzähliger Embryonen. Denn bei der künstlichen Befruchtung werden grundsätzlich mehrere Eizellen befruchtet - nach deutschem Recht höchstens drei. Diese müssen in Deutschland nach der Gesetzeslage zwar alle der Frau eingepflanzt werden. In Ausnahmefällen können aber doch einzelne befruchtete Eizellen übrig bleiben, zum Beispiel, wenn die Patientin die Behandlung vorzeitig abbricht. Nach katholischer Auffassung beginnt das menschliche Leben zum Zeitpunkt der Befruchtung. Embryonen genießen also ab dem ersten Tag vollen Schutz. Noch einmal Eberhard Schockenhoff:

    "Das ist ein zentraler Einwand, der auch von den Theologen auf katholischer Seite erhoben wird, die jetzt diese lehramtliche Begründung, dass das Kind ein subjektives Recht auf eine natürliche Zeugung habe, nicht teilen, die aber sozusagen von einer moralischen Schieflage sprechen, die sich schon in der künstlichen Befruchtung andeutet, insofern man nämlich in der Regel keine sichere Vorsorge dagegen trifft, dass es nicht am Ende doch überzählige Embryonen geben kann."

    Das mögliche Problem überzähliger Embryonen führt auch auf evangelischer Seite zu einer gewissen Skepsis gegenüber der künstlichen Befruchtung. Eine klare Ablehnung - wie von der katholischen Kirche - ist für die evangelische Kirche zwar nicht denkbar. Sie kennt schließlich kein allgemeinverbindliches Lehramt. Dennoch heißt es in einem gemeinsamen Wort der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1997: "Die evangelische Kirche rät von der In-vitro-Fertilisation ab." Hier argumentiert die evangelische Kirche ganz ähnlich wie die katholische, erläutert der evangelische Sozialethiker Hartmut Kreß von der Universität Bonn.

    "Es heißt, es erfolge ein Dammbruch zu Lasten des Lebensschutzes, es handele sich um eine Verletzung der Gottebenbildlichkeit oder eine Verletzung der Menschenwürde des frühen Embryos, denn die Reproduktionsmedizin greift ja in der Tat auf frühe Embryonen zu und das möchte man nicht gerne sehen."

    Hartmut Kreß dagegen zieht diese strikte Definition des Lebensschutzes in Zweifel. Für ihn gibt es gute Gründe, einem Embryo die volle Menschenwürde erst nach der Einnistung in der Gebärmutter zuzusprechen.

    "Hilfreich ist in meinen Augen die Unterscheidung Human Life - menschliches Leben - und Human Being - also Menschsein. Der ganz frühe Embryo ist zweifellos menschliches Leben. Ob er ein Mensch im engeren Sinn ist, das ist fraglich. Und von daher wird man dann auch sagen können, der Schutz der Menschenwürde trifft auf den ganz frühen Embryo noch nicht so zu, wie er auf den weiter entwickelten Embryo und den Fetus zutrifft."

    Das Judentum steht der modernen Fortpflanzungsmedizin sehr aufgeschlossen gegenüber. Das biblische Gebot "Seid fruchtbar und mehret euch!" wird dort teilweise sogar als Pflicht zur Fortpflanzung interpretiert. Soweit könne man aus christlicher Sicht nicht gehen, meint Hartmut Kreß. Aber:

    "Die Hochschätzung von Kindern und der Gedanke, dass Kinder Ausdruck von Hoffnung, von Zuversicht sind, der ist sowohl in jüdischen als auch in christlichen Überlieferungen sehr stark zu finden. Und hieran kann man anknüpfen, wenn man sagt, Erfüllung eines Kinderwunsches, da ist die Zuhilfenahme von medizinischen Verfahren statthaft."

    Dies gilt umso mehr, als der evangelischen Kirche die naturrechtliche Vorstellung fremd ist, ein Kind müsse im körperlichen Liebesakt der Eltern gezeugt werden. Letztlich kommt es aus Sicht der protestantischen Ethik immer auf die persönliche Gewissensentscheidung des einzelnen Paares an. Noch einmal Hartmut Kreß:

    "Es gibt den Satz, dass der Protestantismus eine Gewissensreligion sei, und damit möchte ich sagen, letztlich ist es eine Frage der Gewissensfreiheit und der Gewissensverantwortung einer Frau und ihres Partners, ob sie nun auch mit der Hilfe eines technischen Verfahrens zur Erfüllung eines Kinderwunsches gelangen möchten."

    In einem sind sich die Vertreter der katholischen und der protestantischen Ethik einig: Für eine verantwortbare Gewissensentscheidung müssen Paare umfassend über Chancen und Risiken der Technik der künstlichen Befruchtung aufgeklärt werden.