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Künstliche Finger für die Stoffprüfung

Was macht eigentlich ein Tribologe? Er befasst sich mit der Lehre von der Reibung und sucht beispielsweise Methoden, durch Schmierung Verschleiß zu verringern. Französische Tribologen haben nun eine Apparatur entwickelt, die aus der Reibung eines Stoffes Rückschlüsse auf die Textilqualität zulässt.

Von Suzanne Krause |
    Roberto Vargiolu knüllt ein Stück Küchenpapier, reibt es wieder glatt. Mit zwei Fingern der linken Hand packt er das Stück in der Mitte und zieht es, wie einen Regenschirm gefaltet, durch die halbgeschlossene linke Hand. Eine traditionelle manuelle Qualitätsprüfung.

    "Wenn man einen Stoff anfasst, werden die mechanischen Rezeptoren der Fingerkuppe angesprochen: über 2000 pro Quadratzentimeter Fingerkuppe. Beim Betasten des Stoffes vibrieren diese mechanischen Rezeptoren in unterschiedlichen Frequenzen. Diese lösen jeweils bestimmte elektrische Signale aus, die vom Gehirn dann genutzt werden, um einen Stoff als mehr oder minder weich zu beschreiben."

    Ein komplexer Vorgang, den das neue Verfahren nachahmt. Die simple Vorrichtung nimmt wenig Platz ein und ermittelt im wahrsten Sinne des Wortes handstreichartig die Stoffqualität. In einer mannshohen schmalen Glaskabine ist ein fünfzehn Zentimeter hohes ovales Objekt installiert, das an einen Rugby-Ball erinnert, allerdings an beiden Enden offen. Eine kleine Arbeitsplatte darunter bietet Platz für eine Stoffprobe: Diese wird angesaugt und wie durch die Hand an einem Zipfel in der Probenmitte nach oben durchgezogen, vorbei an den im Inneren des Rugbyballs verborgenen hochsensiblen Messgeräten.

    "Der Messkopf im Inneren misst, welche Vibrationen beim Betasten entstehen und gleichzeitig, wie steif die Textilprobe ist. Wenn wir diese beiden Messwerte miteinander kombinieren, erhalten wir, was wir als die Unterschrift eines Textils bezeichnen."

    Diese sogenannte Unterschrift eines Textils ist seine Visitenkarte, ein Charakterisierungsstandard. Und damit lassen sich Textilarten objektiv klassifizieren. Standards ermittelten die Forscher in Lyon schon für Stoffe beispielsweise aus Kaschmir, aus Seide, aus Jersey. Machbar ist dies auch bei neuen Textilien aus Kunstfaser oder Plastik. Und das Verfahren ist gleichfalls geeignet, Qualitätsschwankungen bei der Produktion eines bestimmten Stoffes aufzudecken. Angesichts von Fertigungsmethoden, die immer komplexer werden, kann es von einem Produktionsschritt zum nächsten passieren, dass sich der Stoff plötzlich anders anfühlt, seine Qualität verändert hat.

    "Ein Beispiel: ein Krawattenhersteller. Am Ende der Stofffertigung wird die Qualität von Hand geprüft. Und der Prüfer entscheidet, ob dieser Stoff für die Herstellung von Krawatten geeignet ist oder nicht. Doch wenn er sich mal täuscht und einen ungeeigneten Stoff zu Krawatten verarbeiten lässt, entsteht fehlerhafte Ware, die sich wellt und Ähnliches. Ein Unding, vor allem im Luxusbereich. Wenn man hingegen mit einer objektiven Messmethode am Ende der Stoffproduktion feststellt, dass die Ware nicht mehr den Ansprüchen für die Krawattenherstellung entspricht, lässt sich das mit chemischen Mitteln retten."

    Ein Fabrikant von Luxusseide in Lyon setzt das Verfahren schon ein, andere, bis hin zu Herstellern von Stoffen aus Kunstfaser und Plastik, zeigen sich laut Tribologe Roberto Vargiolu sehr interessiert.