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Künstliche Intelligenz im All
ESA setzt auf lernfähige Computersysteme

Computer, die ständig dazu lernen, sollen bei künftigen Missionen der Europäischen Raumfahrtagentur eine Schlüsselrolle spielen. Um die Entwicklung solcher KI-Systeme voranzutreiben, kooperiert die ESA nun eng mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.

Von Piotr Heller | 28.01.2021
Vega-Start im September 2020
Start einer Vega-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou: Noch spielt künstliche Intelligenz bei solchen Missionen keine Rolle - aber das soll sich ändern. (JM Guillon/ESA/Arianespace)
Als der deutsche Astronaut Thomas Reiter 2006 auf der Internationalen Raumstation war, ging ein Experiment kaputt. Es war dafür gedacht, die Lungenfunktion in der Schwerelosigkeit zu erforschen. Die Crew am Boden, erinnert sich Reiter, konnte den Fehler damals nicht ausmachen:
"Ich habe dann gesagt: Na gut, dann lass mich das Ding auseinander schrauben. Da stehen dann allen Controllern sofort die Haare zu Berge: Ein Astronaut schraubt ein Gerät dort oben auseinander! Und um eine lange Geschichte abzukürzen: Es ist mir dann gelungen, einfach nur aufgrund von Vermutungen, festzustellen, dass da ein winziges Ventil gehangen hat, das ich mit einer Gitarrensaite dann wieder gängig gemacht habe und dann hat das Gerät wieder funktioniert."

Improvisationstalent und Intuition sind Trumpf

Ähnliches war ihm zehn Jahre zuvor bei einer Mission auf der russischen Raumstation MIR geglückt, als dort ein Kühlsystem ausgefallen war: "Wo wir also auch durch Vermutungen dann endlich darauf gekommen sind, dass eine Fehlkonfiguration vorlag. Und die Bodenkontrolle hat aufgrund der Telemetrie-Daten aufs Schärfste widersprochen, dass das nicht sein kann - haben sich dann aber Gott sei Dank darauf eingelassen. Und siehe da: Das war dann tatsächlich die Lösung."
Thomas Reiter ist inzwischen Koordinator und Berater bei Europas Raumfahrtagentur ESA. Die Erinnerungen an seine Missionen als Astronaut hat er gestern bei der Vorstellung einer Kooperation zwischen seinem Arbeitgeber und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz DFKI erzählt. Die Geschichten haben nämlich eines gemeinsam: Es gab Probleme im All, die man nur mit Vermutungen, Intuition und Bauchgefühl des Astronauten lösen konnte.

"KI verleiht Computern so etwas wie Intuition"

Heute wären das klassische Beispiele für den Einsatz künstlicher Intelligenz, sagt Thomas Reiter: "Weil nicht garantieren kann, dass man im nächsten Fall dann auch wieder die richtige Idee hat. Und genau da könnten solche Systeme zum Einsatz kommen."
Denn künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind im Grunde Methoden, die Computern so etwas wie Intuition verleihen. Sie bringen ihnen bei, Muster zu erkennen und aus alten Erfahrungen zu lernen.
Daher startet die ESA jetzt eine dauerhafte Kooperation mit dem DFKI, und zwar im Rahmen ihrer sogenannten ESA_Labs – eines Netzwerks aus inzwischen 18 europäischen Universitäten und Forschungszentren, die direkten Zugriff auf die Wissenschaftler, Technologien und Labore der ESA haben.

Maschinelles Lernen zur Kollisionsvermeidung im Orbit

Für die Forschenden am DFKI besonders interessant wäre da etwa das Satellitenkontrollzentrum in Darmstadt, erklärt Andreas Dengel vom DFKI. Der Grund: Nicht zuletzt wegen Mega-Satelliten-Konstellationen wie Starlink müssen die Experten dort immer mehr Objekte im Auge behalten: "Hier glauben wir eben, dass man maschinelle Lernverfahren einsetzen kann, um dort eben verschiedene Dimensionen der Objekte wie Abstände, relative Abstände, die Geschwindigkeit, Trajektorien oder aber auch die verschiedenen Typen von Objekten zu betrachten - um Risiko-Kollisions-Bewertungen durchzuführen und eventuell Korrekturmaßnahmen."
Solche Computersysteme könnten die Menschen im Kontrollzentrum unterstützen. Weitere Themen, die man gemeinsam angehen wolle, sei die Vorhersage der Sonnenaktivität oder die Auswertung der 30 Terabyte an Daten, die alleine die 16 ESAS-Erdbeobachtungssatelliten täglich zur Erde funken. In Zukunft werden zudem immer mehr Telekommunikationssatelliten bei dieser Übertragung aushelfen. Bei deren Wartung könnte KI ebenfalls wichtig werden, betont Thomas Reiter.
"Da ist man ganz stark darauf angewiesen, dass die zuverlässig, rund um die Uhr 7 Tage die Woche funktionieren. Da braucht man an Bord eine Autonomie, die frühzeitig irgendwelche Trends, die zu Problemen führen, erkennt. Und dann entsprechende Warnung gibt. Wiederum ein klassisches Einsatzgebiet für die KI."
Denn wenn bei so einem Satelliten oder den zukünftigen umbenannten Mars- und Mondfahrzeugen etwas kaputt geht, wird kein Astronaut vor Ort sein, um es mit einer Gitarrensaite zu reparieren.
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