
Die Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022 hat den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in Alltag und Arbeitswelt selbstverständlich gemacht. KI kann komplexe Texte und realitätsnahe Bilder erstellen. Andere KI-Technologien erkennen in Fabriken fehlerhafte Produkte, erfassen den Wartungsbedarf bei Maschinen und erstellen komplexe Prognosen. Dieser technologische Fortschritt verändert die Art, wie wir arbeiten, und führt zu strukturellen Veränderungen. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es Gewinner und Verlierer.
Wie sehr verändert der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) den Arbeitsmarkt?
Sehr stark – zu diesem Schluss kommen Forscherinnen und Forscher vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), dem Forschungsbereich der Bundesagentur für Arbeit. Sie haben untersucht, wie sich der Arbeitsmarkt durch den Einsatz von KI in den nächsten 15 Jahren verändern könnte. Das Ergebnis: Die Gesamtzahl an Arbeitsplätzen in Deutschland dürfte weitgehend konstant bleiben. Aber dahinter verbergen sich gewaltige Veränderungen. Rund 800.000 Arbeitsplätze könnten in dieser Zeit durch KI wegfallen und rund 800.000 andere neu entstehen.
Die Gesamtwirtschaft wird aus ihrer Sicht dadurch profitieren. Kommt KI in Deutschland breit zum Einsatz, dürfte das jährliche Wirtschaftswachstum der Studie zufolge um 0,8 Prozentpunkte höher liegen als ohne KI. Das ist aus ökonomischer Sicht ein deutlicher Unterschied.
Dennoch dürften auf individueller Ebene die Veränderungen für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hart werden. Denn durch den Einsatz von KI werden manche Tätigkeiten komplett automatisiert, andere verändern sich. In einigen Branchen werden dadurch perspektivisch weniger Arbeitskräfte gebraucht.
Welche Branchen betrifft das?
Die Forscherinnen und Forscher vom IAB gehen davon aus, dass vor allem viele Unternehmensdienstleistungen künftig automatisiert werden. Dazu zählen Sekretariats- und Schreibdienste sowie die Arbeit von Callcentern und Auskunfteien. In diesem Bereich wird die Zahl der Beschäftigten in den kommenden 15 Jahren voraussichtlich um rund 120.000 Menschen sinken. Die Forscher rechnen außerdem damit, dass weniger Arbeitskräfte in den Bereichen Lagerei, Gesundheitswesen, Großhandel und öffentliche Verwaltung gebraucht werden.
Mehr Erwerbstätige werden voraussichtlich im Bereich IT- und Informationsdienstleister gebraucht. Dort könnte die Zahl der Erwerbstätigen in den nächsten 15 Jahren um 110.000 Menschen wachsen. An Personal gewinnen dürften außerdem die Bereiche Erziehung und Unterricht, Gastgewerbe, Einzelhandel und Baugewerbe, heißt es.
Die Wissenschaftler Ole Teutloff und Fabian Braesemann von der Universität Oxford weisen allerdings darauf hin, dass solche Prognosen unsicher sind. KI sei nicht der einzige Megatrend, der den Arbeitsmarkt präge, schreiben sie in einem Beitrag für die wissenschaftliche Fachzeitschrift “Wirtschaftsdienst”. Auch die Klimatransformation und der demografische Wandel spielten eine wichtige Rolle. „Angesichts all dieser gleichzeitig wirkenden Megatrends ist es schlicht unmöglich und letztlich irreführend, den isolierten Effekt von KI auf den Arbeitsmarkt identifizieren zu wollen – denn er tritt ja ohnehin nicht in Isolation auf.“
Wo hat der Einsatz von KI heute schon konkrete Folgen?
Mehrere Großunternehmen haben in den vergangenen Monaten angekündigt, wegen KI Stellen abzubauen: in den USA zum Beispiel der Digitalkonzern Amazon und der PC- und Druckerhersteller HP, in Deutschland die Lufthansa. Die Fluggesellschaft streicht bis 2030 rund 4000 Stellen in der Verwaltung. Allianz Partners, Anbieter von Kfz- und Reiseversicherungen, will laut der “Süddeutschen Zeitung” bis zu 1800 Callcenter-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch KI ersetzen.
Dass Unternehmen neue Technologie wie KI nutzen, um effizienter zu werden und Personalkosten zu sparen, ist nicht neu, und wegen der schwachen Konjunktur ist der Spardruck bei vielen Unternehmen derzeit groß. Eine neue Entwicklung sei aber, dass solche Kürzungen nun auch Verwaltungs- undExpertenjobs betreffen und nicht mehr nur die Produktion, schreiben die KI-Forscher Ole Teutloff und Fabian Braesemann. „Damit rücken Berufsgruppen ins Zentrum möglicher Automatisierung, die bisher als sicher galten.“
Im Sommer 2025 setzten gut 40 Prozent der Unternehmen KI ein, schreibt das ifo Institut. „Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr mit 27 Prozent.“ Der Anteil dürfte weiter steigen. Außerdem werden die KI-Tools, dieUnternehmen nutzen, immer umfassender. Wenn smarte Software in Deutschland entwickelt wird, entstehen dadurch aber auch neue Jobs. Das Applied AI Institute for Europe, hinter dem vor allem die BMW-Erbin Susanne Klatten und Dieter Schwarz (Kaufland, Lidl) stehen und das den Einsatz von KI unterstützen soll, hat ermittelt, dass es mehr als 900 KI-Start-ups in Deutschland gibt. Das sei ein starker Anstieg gegenüber dem Vorjahr, heißt es in der Analyse.
Welche strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt sind durch KI zu erwarten?
Mehrere Studien aus den USA kommen zu dem Schluss, dass KI vor alle Berufseinsteigern schadet, weil Tätigkeiten automatisiert werden, die bisher noch relativ unerfahrene Arbeitskräfte übernommen haben. Das schreiben Forscher der Universität Stanford. Forschende aus Harvard kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Die amerikanische Journalistin und KI-Expertin Jin Hu kritisiert aber, die Studie aus Harvard überschätze den Einfluss von KI. Die schwierige Jobsuche für Berufseinsteiger habe andere Gründe, schreibt sie in einem Blogbeitrag. „Die Studie ignoriert, wie stark sich die Inflationsentwicklung und Rezessionsängste auf diese Kürzungen ausgewirkt haben.“
Welche strukturellen Veränderungen KI auslöst, ist aus Sicht der Wissenschaftler Ole Teutloff und Fabian Braesemann von der Universität Oxford nicht allein eine technologische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Frage. KI könne menschliche Arbeit zugunsten von Arbeitgebern ersetzen oder zugunsten von Arbeitnehmern erleichtern. Sie könne inklusiv gestaltet werden, sodass auch Menschen mit geringerer Bildung davon profitierten, oder exklusiv Höhergebildeten vorbehalten bleiben.
„Wie auch in früheren Wellen technologischen Wandels kommt es durch KI zu Machtverschiebungen am Arbeitsmarkt – zwischen Berufsgruppen, zwischen Berufseinsteigern und Erfahrenen sowie zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern“, schreiben sie. Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe, diesen Wandel zu gestalten.
Wie kann eine faire Transformation gelingen?
Viele Instrumente, um die digitale Transformation im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitzugestalten, existieren – etwa Gewerkschaften, Betriebsräten, Gleichstellungs- und Datenschutzbeauftragten. Diese Strukturen gilt es zu nutzen. Außerdem seien Weiterbildung und berufliche Neuorientierung wichtig, schreibt das IAB.
Die Forscher Teutloff und Braesemann empfehlen dabei, grundsätzlich analytisches Denken und unternehmerische Initiative bei Arbeitnehmern zu trainieren. Das sei sinnvoller, als etwa Buchhalter zu Finanzberatern umzuschulen. Es wisse eh niemand, welche Fähigkeiten künftig konkret gebraucht würden.
Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung findet, dass deutsche Unternehmen, wenn überhaupt, zu wenig und nicht zu viel in KI investierten.
Damit die deutsche Wirtschaft wachse und neue Jobs entstünden, brauche es Innovationen. Aus ökonomischer Sicht kann sich Deutschland dem Einsatz von KI also kaum verweigern, auch wenn individuellen Folgen für Beschäftigte hart sein können. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre die Alternative, KI nicht einzusetzen, aber noch schlechter. Denn dann verlieren deutsche Unternehmen perspektivisch international an Wettbewerbsfähigkeit und das würde die Wirtschaftskraft insgesamt schwächen.




















