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Künstliche Muskeln aus Kohlenstoff

Die Mikrossytemtechnik ist auf dem Weg in die industrielle Umsetzung. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den künstlichen Muskeln, den Mikroaktoren zu. Die Technologie-Entwicklungsgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft hat künstliche Muskeln aus Kohlenstoff entwickelt und will sie im Herbst zum Patent anmelden.

    Als die Marssonde Pathfinder im Anflug auf den roten Planeten war, hat sie enorm viel Energie verbraucht. Denn um punktgenau aufsetzen zu können, mussten die Landeklappen quasi im Sekundentakt gesenkt oder angehoben werden. Ein Grossteil des Gewichts von Raketen und Sonden ist deshalb den Energiespeichern der Raumfahrzeuge zuzuschreiben. Der Ingenieur Ivica Kolaric von der Fraunhofer-Technologieentwicklungsgruppe in Stuttgart will das ändern.

    Wenn Sie eine Landeklappe senken wollen, brauchen Sie einen Drehstrommotor und ein Umlenkzahngetriebe, so dass sie eine Linearbewegung daraus bekommen. Mit so einem künstlichen Muskel, der dadurch reagiert, dass wenn Sie eine Spannung oder Energie aufbringen, sich ein umlenkt oder ausdehnt, können Sie das direkt an die Landeklappe ankleben und dadurch diese Bewegung erzielen. Und bei diesen Carbon-Nanotubes liegt der theoretische Wirkungsgrad bei 1. Sie bringen dann 1 Watt hinein und bekommen dann 1 Watt hinaus im Idealfall.

    Solche künstlichen Muskeln, auch Mikroaktoren genannt, verbrauchen nicht nur wesentlich weniger Energie als die herkömmlichen Stellglieder, sie sind auch viel kleiner und leichter.

    Also das ist leicht wie Papier, deswegen heißt es auch Bucky Paper und hat eine Dichte von 1,4 Gramm pro Kubikzentimeter und ist also wesentlich leichter als zum Beispiel Stahlaktoren.

    Stahlaktoren mit einem Drehstromantrieb benötigen eine relativ hohe Ausgangsspannung. Bei industriellen Anwendungen liegt sie nicht selten bei 250 Volt. Der künstliche Muskel aus Kohlenstoff hingegen begnügt sich mit 1,2 Volt Spannung.

    Dieser Muskel ist einfach so, dass wenn da eine Spannung angelegt wird, dass er sich ausdehnt. Ähnlich wie der menschliche Muskel, der auch bei einem Reiz, einem Stromreiz sich ausdehnt oder kontrahiert eben und dadurch eine Bewegung erzielt.

    Die Forscher haben dafür werden Milliarden von Nanometer großen Kohlenstoffröhrchen wie die Fasern eines natürlichen Muskels regelrecht verdrillt. Erreicht wird damit eine sehr hohe Festigkeit der Fasern, und die erlaubt eine große mechanische Spannung. Um die zu erzielen, wird der künstliche Muskel aus Kohlenstoff mit Ionen beschossen. Ionen-Beaufschlagung nennen die Forscher diesen Prozess, durch den elektrische Energie in mechanische Bewegung umgewandelt wird.

    Prinzipiell geht man davon aus, an dieser Tube lagert sich ein Ion an, dass dann dadurch die Valenzelektronen, die Bindungslänge ändern, und das Nanotube reagiert dann mit Ausdehnung, einfach weil die elektrischen Ladungen sich geändert haben in der Tube. Wird dieses Ion entfernt, geht die Tube wieder zusammen. Also so erklärt man sich das.

    Zahlreiche Einsatzmöglichkeiten sehen die Entwickler für den künstlichen Muskel. Zum Beispiel in der Medizin. Denn er ist hundertprozentig biokompatibel, wie die Experten das nennen. Kohlenstoff führt im menschlichen Organismus zu keinen Abstoßungsreaktionen. Und so gilt der Mikroaktor als wahrer medizinischer Tausendsassa.

    Im Bereich der Orthopädie, Gelenke, Amputationen. Es gibt auch noch so andere Themen, wie der künstliche Schließmuskel. Da gibt es dann die Iris, der Augenringmuskel wäre so etwas, das ist grenzenlos.

    Die Autoindustrie interessiert sich ebenfalls sehr für die Nanotube-Muskeln. Und das hat den Wettbewerb in der Entwicklung so richtig angeheizt. Ivica Kolaric.

    Also wir haben da eine Applikation schon realisiert, die ich nicht nennen darf aufgrund der Geheimhaltung. Aber man könnte sich vorstellen Schließsysteme beispielsweise. Zum Beispiel der Türschließmechanismus, dass man einfach den Türschließer zuzieht oder Fensterhebersysteme könnte man sich vorstellen. Man könnte sich auch vorstellen, Einspritzsysteme, die da von Siemens realisiert werden mit Piezo-Folien, dass man die durch unseren Muskel ersetzt.

    Vor zwei Jahren kostete das Rohmaterial noch über 1000 Dollar pro Gramm. Heute liegt der Preis bei ungefähr 130 Dollar. Und der Preisverfall wird in den nächsten Jahren noch weiter anhalten. Denn was jetzt noch von einem Laboranten quasi in Handarbeit hergestellt werden muss, wird bald im industriellen Maßstab gefertigt werden. Nach Ansicht der Fraunhofer-Entwickler ist der künstliche Muskel erst der Anfang. Sie gehen davon aus, dass die Carbon-Nanoröhrchen überall dort eingesetzt werden, wo ein Stellglied mit Motorkraft vonnöten ist. Die Kohlenstoffmuskeln könnten dann den Laserkopf in CD-Spielern genauso positionieren wie Roboter steuern.