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Künstliche Wunden
Angebohrt zu Forschungszwecken

Im Würzburger Translationszentrum "Regenerative Therapien für Krebs und Muskuloskelettale Erkrankungen“ entstehen seit Kurzem durch einen filigranen Bohrer künstliche Wunden. Was nach Foltermethode klingt, soll nach den Vorstellungen der Fraunhofer-Gesellschaft die Tests von neuen Wundheilungstherapien verbessern.

Von Silke Schmidt-Thrö | 25.02.2015
    "Das ist jetzt diese künstliche Haut, die wir verwenden. Und die wird auf solchen Zellkulturinserts hergestellt, das heißt Plastikträgern."
    Die Proben, die Florian Groeber vom Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik aus dem Brutschrank holt, schwimmen in einer pinkfarbenen Nährlösung. Aus menschlichen Zellen wächst Gewebe, das in Form und Größe an trübe Kontaktlinsen erinnert.
    "Und auf der Oberseite dieser wachsartigen Struktur wird dann die Oberhaut ausgesät. Die Haut ist ungefähr einen halben bis ganzen Millimeter ... die wir ihnen gleich zeigen, werden noch etwas dicker sein."
    Simulation von Wunden
    Der Biologe will mit den Hautmodellen im Fraunhofer Translationszentrum Heilungsprozesse in Wunden simulieren und untersuchen.
    "Wenn man die Wundheilung untersuchen möchte, muss man natürlich auch eine reproduzierbare Wunde setzen können. Man hat jetzt die Möglichkeit das mit dem Skalpell zu tun. Das Problem ist hierbei, dass die Wunde an sich dann abhängig ist vom Benutzer selber. Das heißt: Schneidet er tiefer, sieht sie anders aus, schneidet er vielleicht etwas länger, hat man auch wieder eine andere Wunde."
    Der "Artificial Tissue Cutter" soll dagegen identische Wunden herstellen. Auf den ersten Blick wirkt der Roboter, kurz ARTcut, wie eine kleine Fräsbank. Nur der eingespannte Bohrer ist ungewöhnlich fein, dünn wie eine Bleistiftmine. Bevor man die künstliche Haut auf der Platte unter dem Bohrer platzieren kann, muss eine Glashaube von der Größe eines Aquariums geöffnet werden. Sie schützt den Innenraum vor Partikeln aus der Umgebung.
    "Dieses rote Leuchten, das ist jetzt diese Lichtschranke, dass dann im Prinzip misst, wo jetzt das Modell anfängt. Da es sich um biologisches Material, handelt, sind leichte Variationen innerhalb der Modelle."
    Wie tief und mit welcher Geschwindigkeit jede einzelne Wunde gebohrt wird, kann der Forscher vorher am Computer einstellen. Eine Kamera nimmt den Prozess zur Kontrolle auf.
    "Wenn man das Modell anschließend gegen das Licht hält, dann sieht man jetzt diesen Wundkanal relativ deutlich. Ein Punkt ungefähr von der Breite von einem Millimeter."
    Fokus auf spezieller Art von Wunde
    Die Automatisierung der Herstellung macht Heilungsstudien am Wundmodell aussagekräftiger, sagt Jörn Probst. Er ist Leiter des Gesundheitsbereichs am Fraunhofer Institut für Silicatforschung. Das Würzburger ISC war federführend im Forschungsprojekt "SkinHeal", in dem Maschine und Wundmodell entwickelt wurden. Der Fokus der Wissenschaftler lag dabei auf einer speziellen Art von Wunde:
    "Eine chronische Wunde ist eine Wunde, die aus dem Stadium der Entzündungsphase nicht wieder mehr rauskommt. Und speziell in unserem Projekt haben wir uns sehr stark um diabetische Wunden gekümmert. Das heißt: Typisches Beispiel ist das offene Bein."
    Schon eine Druckstelle von einem Schuh reicht bei Diabetikern aus: Es entstehen Wunden, die nicht mehr von selbst heilen. Damit die Wunde aus dem Labor einer realen diabetischen ähnelt, werden Makrophagen in die künstliche Haut injiziert. Diese Fresszellen aus dem Blut säubern Wunden normalerweise in der Entzündungsphase. In einer chronischen Wunde aber herrscht ein Zusammensetzung von Fresszelltypen, die die Heilung stört. Genau diese Mischung enthält die Haut aus dem Labor. Am Modell können nun Wundheilungstherapien erprobt werden.
    "Die ganze Prozedur über ein in-Vitro-Haut- und Wundmodell soll letztendlich die Zahl der Tierversuche auf ein Mindestmaß reduzieren und auch dadurch, dass man hier humane Zustände simuliert, bessere wissenschaftliche Aussagen bekommt."
    Florian Groebers Arbeitsgruppe am Translationszentrum testet zur Zeit die künstlichen Wunden mit einer Wundauflage, die sich beim Menschen bereits bewährt hat.
    "Was wir hier testen, ist ob sich unsere Haut im Labor unsere künstliche Haut genauso mit dieser Wundauflage genauso verhält, wie wir das auch in klinischen Studien schon gesehen haben."
    Letztendlich ist das Modell aber doch eine Vereinfachung der realen Bedingungen. Es besitzt wie im Körper zwar Lederhaut und Oberhaut, aber die Blutgefäße darin fehlen etwa. Weil jedoch auch die Durchblutung eine wichtige Rolle in einer Wunde spielt, werden sie gerade in einem nächsten Schritt in das Modell integriert.