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Künstlicher Halm

Technik. - Mit möglichst wenig Material möglichst viel Bauen, das beherrscht die Natur durch Jahrmillionen lange Auslese perfekt. Kein Fernsehturm ist so schlank und elastisch wie Grashalme im Wind. Deshalb schufen Forscher im Kompetenznetz Biomimetic einen künstlichen Pflanzenhalm. Er ist so leicht und doch so stabil, dass er Flugzeugbauer interessiert.

Von Carl-Josef Kutzbach |
    Am Teich des Botanischen Gartens der Universität Freiburg wächst eine Pflanze, die der Laie für Schilf halten könnte, nur ist sie dafür zu groß. Deshalb lässt sich an diesem Pfahlrohr die Konstruktion von Gräsern gut studieren. Die Biologin Doktor Olga Speck:

    "Also wir haben hier eigentlich den Giganten eines Grases, eines Süßgrases, so ähnlich wie jedes normale Gras, das Sie in Ihrem Rasen haben, aber das kann eben bis zu sechs Meter hoch werden und ist verholzt, hat so einen Durchmesser von zwei, drei Zentimeter und erinnert auch ein bisschen an einen Bambus."

    Gräser sind einerseits sehr elastisch und biegen sich im Wind, andererseits sind sie außerordentlich schlank und trotzdem stabil. Würde das Pfahlrohr über 200 Meter hoch, also wie der Stuttgarter Fernsehturm, dann wäre es am Boden trotzdem nur einen Meter dick. Weil Gräser mit ganz wenig Material Erstaunliches leisten, reizen sie Konstrukteure zur Nachahmung. Der Ingenieur Dr. Markus Milwich hat auf seinem Tisch im Denkendorfer Institut für Textil- und Verfahrenstechnik handliche rohrförmige Kunststoffteile in verschiedenen Braun- und Grautönen:

    "Das sind die so genannten Technischen Pflanzenhalme. Das ist so, dass dieser Technische Pflanzenhalm nicht nur eine Pflanze abbildet, oder nachbildet, sondern in diesem Technischen Pflanzenhalm sind tatsächlich vier verschiedene pflanzliche Vorbilde, beziehungsweise Prinzipien vereinigt. Das sind Faserverbundstrukturen, die vom Querschnitt tatsächlich ganz genau so aussehen wie zum Beispiel der Winterschachtelhalm oder so ähnlich aussehen wie ein Pfahlrohr oder auch ein Bambus."

    Eines der Rohre sieht aus, als ob seine Wand aus lauter hohlen Fasern bestünde oder aus zu einem Kreis nebeneinander geklebten Strohhalmen.

    "Wir haben hier die Struktur, die einen zentralen Mittelkanal hat und zwölf außen liegende Seitenkanäle. Diese Seitenkanäle kann ich jetzt nun mit verschiedenen Funktionen füllen, sei es, dass ich Elektrizität transportieren kann, sei es, dass ich Medien transportieren kann, dass ich Druckluft transportieren kann oder auch Flüssigkeiten."

    Dieser Querschnitt, der wie eine Ring aus lauter Ringen aussieht, ist auch wesentlich stabiler als ein normales Rohr. Denn eigentlich sind es ja zwei Ringe mit lauter Verstrebungen, den Wänden der einzelnen Hohlfasern, dazwischen. Markus Milwich:

    "Zum Beispiel beim Winterschachtelhalm, wo diese Struktur ganz deutlich zum Vorschein kommt, habe ich mit dieser Doppelringstruktur mit den Verbindungsstegen, mindestens die 30-, 40-, 50-fache höhere Biegefestigkeit und Knickfestigkeit, als wenn ich da eine einfache Ringstruktur hätte."

    Von den verschiedenen künstlichen Halmen auf dem Tisch ist einer außen längs gerippt wie ein Scharfgarbenstängel. Ein dritter zeigt außen schräg verlaufende Fasern. Bei beiden dient diese Struktur dazu, Kräfte aufzunehmen, die bei diesen Bauteil auftreten werden, sei es durch Drehung, Biegung oder weil daran gezogen wird.

    Wie man technische Pflanzenhalme erzeugt, zeigt Markus Milwich in der Werkstatt des Textilforschungsinstitutes. Die einzelnen Fasern, auch hohle, liegen auf Rollen aufgewickelt bereit. Von dort werden sie abgewickelt und zusammengeführt:

    "Die Fasern werden zusammengefasst, gehen durch ein Harzbad durch. Und danach gehen sie rein in eine beheiztes Werkzeug. Das Werkzeug hat innen eine Form ausgefräst, wie das fertige Profil aussehen soll. Das heißt, die Fasern gehen durch das Werkzeug durch und beim Durchlaufen durch dieses Werkzeug härtet die Harzmatrix, mit der die Fasern getränkt worden sind, aus: wie ein Kuchenbacken in der gewünschten Form, aber online, das heißt, hinten kommt der fertige Kuchen immer kontinuierlich aus dem Werkzeug raus."

    Das geht schneller und billiger, als ein Metallrohr herzustellen. Das Verfahren ermöglicht Bauteile in beliebiger Länge und in verschiedenen Formen, also rund, eckig, massiv oder als Rohr.

    Die Luftfahrtindustrie hat wegen des geringen Gewichtes und der großen Stabilität schon Interesse gezeigt. Aber auch zum Bau von Antennen, als Stützen für Zelte und Messehallen oder im Automobilbau taugt der künstliche Pflanzenhalm, wobei nötige Versorgungsleitungen wie bei Pflanzen geschützt in seinem Inneren verlaufen können.