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Künstliches Leben aus Null und Eins

1987 wurde bei einer Konferenz in Los Alamos / USA das Forschungsgebiet des Künstlichen Lebens - Artificial life (Alife) - gegründet. Während das klassische Gebiet der Künstlichen Intelligenz in eine Sackgasse geraten ist, hat die Alife-Forschung einen enormen Aufschwung genommen. Die Raumfahrt-Industrie beispielsweise investiert viel Geld, um autonome Robotereinheiten zu entwerfen, die auf anderen Planeten sich relativ frei bewegen können. Dabei wird heute angestrebt, die Maschinen nach dem Vorbild der Natur wie Insekten einer Evolution zu unterziehen. In Dortmund fand dazu in dieser Woche die Ecal 2003, die siebte Europäische Konferenz zum Thema ''Alife'', statt.

20.09.2003
    Von Wolfgang Neuhaus

    Das Programm der European Conference on Artificial Life 2003, war breit angelegt und zeigt, dass sich die Alife-Forschung zu einem respektablen Forschungsgebiet entwickelt hat, das von Biologen, Chemikern, Sprachwissenschaftlern und Robotik-Ingenieuren bearbeitet wird. Im Zentrum steht die Frage nach den grundlegenden Mechanismen des Lebens. Wie kann man die biologischen Prozesse der Selbstorganisation verstehen und kann man sie informationstechnisch reproduzieren? Während einige das weit gesteckte Ziel verfolgen, lebende Systeme aus nicht-lebenden Einzelteilen zu konstruieren und damit die Kluft zwischen wissenschaftlichem Computer-Modell und physischer Wirklichkeit zu überbrücken, sehen andere die Alife-Forschung vor allem als Beitrag zur theoretischen Biologie. Ein zentrales Konzept dieser Forschung ist das der Emergenz, des Auftauchens von Komplexität aus ursprünglich einfachen Sachverhalten. Was da emergent werden soll, sei mehr als die Summe seiner Teile. Peter Bentley, Informatiker am University College in London, erläutert diesen Begriff.

    Wenn man eine Ansammlung einfacher Dinge hat, vielleicht eine Ansammlung von Zellen oder von Ameisen, und diese Dinge interagieren auf eine Weise - sie müssen auf die richtige Weise interagieren. Durch wirklich ganz einfache Regeln der Interaktion erhält man Komplexität, Muster, die sich formen, und komplexes Verhalten, das auftaucht. Es sieht irgendwie so aus, als bekommt man mehr raus als man reingesteckt hat.

    Als Beispiel dafür sei das Ameisenvolk genannt, das als Ganzes ein Verhalten zeigt, das über die Kapazität einer einzelnen Ameise weit hinausgeht. Thomas Christaller, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Autonome Intelligente Systeme in Sankt Augustin, ist allerdings skeptisch, was den Erklärungswert des Emergenz-Begriffs in diesem Zusammenhang angeht.

    Hat jemand schon mal eine individuelle einzelne Ameise gesehen, die überlebt hat? Da denke ich, nein. Hat man schon mal zehn Ameisen gesehen, die überlebt haben? Nein. Tausend? Nein. Das heißt also: Erst wenn eine genügend große Population in so einem Ameisenvolk da ist, dann ist überhaupt die einzelne Ameise selbst überlebensfähig. Und nun kann man natürlich heftig darüber streiten, was da emergent ist und was da nicht-emergent ist.

    Emergenz sei ein Begriff, der aus der Physik und der Chemie komme, und es sei schwierig, ihn ohne entsprechende formale Anpassung auf biologische Systeme zu übertragen. Während das Leben ein komplexer chemischer Prozess ist, der seine Energie aus der Sonne bezieht, verbraucht Alife im Computer Rechenzeit. Man startet beispielsweise mit einer Zufalls-Population mit Einzelindividuen, stattet diese mit bestimmten Eigenschaften aus, setzt diese gegen ein anderes Populations-Programm und lässt sie nach Regeln der Mutation und des Wettbewerbs interagieren. Auf dem Bildschirm sieht man eine Menge roter Punkte, die sich gegen eine Menge blauer Punkte bewegt oder um sie herum. Was immer diese Programme aber an komplexen Erscheinungen zeigen, ihre "Initialzündung" erfolgt durch den Wissenschaftler. Thomas Christaller ist der Meinung, dass neunzig Prozent der Zeit in die Vorbereitung solcher Software-Experimente gehen und nur zehn Prozent in ihren automatischen Ablauf. Schon deshalb könne es keine Emergenz geben.

    In der Alife-Forschung kommt es meines Erachtens nicht vor, weil derjenige, der das Alife-System baut, kann nie erklären, dass er nicht schon grundsätzlich mit Intention behaftet die Ingredenzien dafür eingebaut hat, dass er anschließend etwas findet, was er dann als emergent bezeichnet. Man steckt das Ergebnis schon von vornherein rein, dann macht man die Augen zu, stellt den Computer ein und lässt ihn laufen, dann guckt man erstaunt auf das Ergebnis, hat vergessen, was man reingetan hat und schreit: Heureka! Es ist intelligent, es ist emergent, es ist Leben oder was auch immer man dann ruft.

    Der Robotik-Forscher Jordan Pollack äußerte eine ähnliche Kritik, indem er darauf hinwies, dass der verbleibende menschliche Rest bei Alife-Programmen groß sei und es sich letztlich um einen evolutionären "Pseudocode" handele, der im Computer gestartet wird. So sei die Annahme eines Wettbewerbs zwischen konkurrierenden Populationen in gewisser Weise Teil des westlichen Werteverständnisses, und es sei gar nicht ausgemacht, ob man mit anderen Programm-Einstellungen des Miteinander-Entwickelns, der "Ko-Evolution", nicht interessantere Ergebnisse erzielen könne.