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Kürzere Wartezeiten im Nahverkehr

Mathematik. – Die Optimierung eines Fahrplans ist eine knifflige Angelegenheit, weil für jede betroffene Bahnlinie eine Verbesserung herauskommen soll. Vor einem Jahr führten die Berliner Verkehrsbetriebe für ihr U-Bahn-Netz einen neuen Fahrplan ein, der mit Hilfe von Mathematikern der Technischen Universität optimiert worden war. Die Jahresbilanz, die jetzt gezogen wurde, fiel sehr gut aus.

Von Michael Fuhs |
    Wenn früher die U2 der Berliner U-Bahn am Bahnhof Zoo hielt, mussten sich die Fahrgäste gedulden. Denn abends und an Feiertagen, wenn die Züge nur im Zehn-Minuten-Takt fahren, wartete die U2 auf die Umsteigenden der Linie U9 und stand dabei dreieinhalb Minuten im Bahnhof. Mit dem Winterfahrplan, der vor einem Jahr eingeführt wurde, sollten solche Wartezeiten reduziert werden - mit der Hilfe von Mathematikern. Heinrich Coenen, Sachgebietsleiter im Fahr- und Dienstplanbüro der Berliner U-Bahn, stellte dafür die Kriterien auf:

    "Wir haben vorgegeben, dass die Haltezeit des Zuges im Bahnhof zur Anschlussgewährung nicht länger als drei Minuten sein darf. Drei Minuten ist bereits eine sehr lange Zeit, wenn man im Zug sitzt und auf die Abfahrt wartet."

    Doch gleichzeitig sollen wie bisher möglichst viele Umsteigende ihre Anschlüsse bequem erreichen und dafür nicht länger als fünf Minuten warten. Bei der Berliner U-Bahn mussten nach diesen Kriterien die Fahrzeiten von den über 160 Umsteigeverbindungen der neun Linien in 19 Umsteigebahnhöfen aufeinander abgestimmt werden, erklärt Rolf Möhring, Leiter der Arbeitsgruppe kombinatorische Optimierung an der Technischen Universität Berlin:

    "Wir müssen ein ganzes Netzwerk behandeln, nicht nur eine einzelne Linie. Und in einem Netzwerk da interagieren die Linien natürlich. Wenn sie eine Linie verschieben, entstehen auf einer zweiten vielleicht schlechtere Anschlüsse, wenn sie die auch noch besser machen müssen, dann wieder an einer dritten und die dritte kann wieder Auswirkung auf die erste haben."

    Eine andere Schwierigkeit war es, die Daten zusammen zu tragen. Die Mathematiker müssen zum Beispiel die Zeiten berücksichtigen, die ein Fahrgast benötigt, um von einem Bahnsteig zum anderen zu laufen, oder wie lange ein Zug braucht, um an der Endhaltestelle zu wenden. Auch gibt es wichtigere und unwichtigere Anschlüsse, was nach der Zahl der Umsteigenden festgelegt wird. Möhring:

    "Es geht auch darum, all das implizite Wissen mit zur Verfügung zu stellen, was irgendwo in den Köpfen der Planer steht, was aber nicht in den Daten zu finden ist. Zum Beispiel, dass eine gewisse Anzahl von Zügen nicht überschritten werden darf, die Planer wissen es, aber die Planer sagen uns das nicht. So hatten wir in unserer ersten Optimierung wesentlich mehr Züge benutzt, als wir eigentlich durften."

    Und das wäre zu teuer geworden. Schritt für Schritt haben das Team an der TU Berlin und die Planer von den Verkehrsbetrieben die Probleme geklärt. Das war ein hoher Arbeitsaufwand, weshalb die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe dem Vorhaben am Anfang sehr skeptisch gegenüber standen. Die Mathematiker mussten dann von den mehr als Milliarden Milliarden verschiedenen Möglichkeiten, wie der Fahrplan theoretisch aussehen könnte, die richtige herausfischen. Das geht nicht mit ausprobieren, erklärt Projektmitarbeiter Christian Liebchen von der TU Berlin:

    "Es gibt inzwischen sehr leistungsfähige Software, die dann es ermöglicht, dass nicht alle denkbar möglichen Varianten von Fahrplänen durchgespielt werden müssen, sondern dass nach Anschauen eines Bereiches ähnlicher Fahrpläne, gesagt werden kann, nein, in diesem Bereich gibt es keine Fahrpläne, die besser sind als das, was wir schon kennen. Und dann braucht in diesem Bereich nicht mehr weiter gesucht zu werden."

    Das geht so weit, dass Christian Liebchen beweisen kann, dass es für die vorgegebenen Kriterien und Daten keinen besseren Fahrplan geben kann, als den, den sie gefunden haben. Seit einem Jahr steht kein Zug mehr länger als zweieinhalb Minuten im Bahnhof und im Durchschnitt konnte die Wartezeit beim Umsteigen um acht Prozent gesenkt werden. Das Ergebnis für den Abend- und Wochenendfahrplan der U-Bahnen war so überzeugend, dass zum neuen Fahrplanwechsel fast keine Korrekturen vorgenommen werden müssen.