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Küstenschutz ohne Klimawandel

Die Folgen der Erderwärmung sind kaum mehr zu vermeiden, zum Beispiel was den Anstieg des Meeresspiegels angeht. Anpassung ist also das Wort der Stunde, auch beim Deichbau. Doch beim Generalplan für den Küstenschutz, der derzeit in Bremen und Niedersachsen erarbeitet wird, finden die Daten der Klimaforscher kaum Niederschlag.

Von Robin Avram |
    Bremen ist nah am Wasser gebaut - und besonders davon gefährdet. Mitten in der norddeutschen Tiefebene gelegen, sind rund 90 Prozent der Stadtfläche überflutungsgefährdet. Kilometerlange Deiche schützen die Bewohner vor einer Sturmflut, wie sie zuletzt im Dezember letzten Jahres über der Stadt tobte. Das Orkantiefs Britta ließ die Weser bedrohlich steigen, fast bis auf einen neuen Rekordpegelstand. Erst im letzten Moment ging Britta die Puste aus. Glück gehabt. Denn schon heute sind die Deiche in Bremen an mancher Stelle zu niedrig. Gemeinsam mit Niedersachsen entwickelt Bremen deshalb zur Zeit einen neuen Generalplan Küstenschutz. Darin wird festgelegt, um wie viele Zentimeter die Deiche erhöht werden müssen, um sie fit für die Zukunft zu machen. Kai Jürgens, Pressesprecher des Senators für Bau, Umwelt und Verkehr in Bremen.

    " Es sind Berechnungen gemacht worden, wie der klimabedingte Anstieg des Meeresspiegels sich entwickeln wird, demnach wird ein Anstieg von 25 Zentimetern zu Grund gelegt, gleichzeitig wird in diese Berechnungen eingehen der jeweils örtliche Wellenauflauf. "

    Daraus ergeben sich die neuen Solldeichhöhen. Sie sollen Anfang Februar veröffentlicht und von den parlamentarischen Gremien der Hansestadt in Empfehlungen umgesetzt werden. Es sind richtungsweisende Entscheidungen. In Hamburg stammt der letzte Generalplan Küstenschutz aus dem Jahr 1989, noch heute ist er nicht vollständig umgesetzt. Auch in Bremen und Niedersachsen soll die Bauzeit 10 bis 15 Jahre dauern, bis zum Ende des Jahrhunderts soll der Küstenschutz so gesichert werden. Um das zu gewährleisten, müsste jedoch auch die Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs durch die globale Erwärmung berücksichtigt werden. Wird sie aber nicht, sagt der Bremer Diplom-Biologe Bastian Schuchardt, der im Forschungsprojekt KRIM drei Jahre lang untersucht hat, was der Klimawandel für den norddeutschen Küstenschutz bedeutet.

    " Wenn 25 Zentimeter Meeresspiegelanstieg angenommen werden in 100 Jahren, ist das genau der Anstieg, den wir in den vergangenen 100 Jahren beobachtet haben. Das wäre noch keine Berücksichtigung des beschleunigten Meeresspiegelanstiegs."

    Dabei zeigen neue Forschungsergebnisse, dass der Meeresspiegel künftig wesentlich rascher ansteigen könnte. Frühere Prognosen hätten die Dynamik der Schmelzprozesse in Grönland und der West-Antarktis deutlich unterschätzt. Satelliten-Messungen des Meeresspiegel-Anstiegs der letzten Jahre bestätigen dies: Er verläuft oberhalb des Korridors, den der der IPCC, das maßgebliche Klimaforscher-Gremium der Vereinten Nationen, im Jahr 2001 prognostizierte. Stefan Rahmstorf, Ozeanologe am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, hat seine Prognosen im Dezember vergangenen Jahres deswegen deutlich nach oben korrigiert. Er geht davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 50 Zentimeter, schlimmstenfalls sogar um einen Meter 40 ansteigen wird. Baut Bremen trotzdem zu tief, hat es ein echtes Problem: Denn eine zweite Deich-Erhöhung kostet nicht nur wesentlich mehr, als die Deiche gleich ein Stück höher zu machen - sondern bedeutet auch weitere 10 bis 15 Jahre Bauzeit, während derer die Stadt vor einer schweren Sturmflut möglicherweise nicht mehr sicher wäre. Warum gehen die Verantwortlichen dieses Risiko ein? Bastian Schuchardt.

    " Wir haben im Rahmen von unseren Forschungsprojekten auch Küstenschutz-Akteure befragt. Da ist immer wieder die Antwort gekommen: Wir können nur auf der Basis von sicherem Wissen handeln."

    Sicheres Wissen ist in Bezug auf die Zukunft nur schwer erhältlich. Ganz gewiss ist dagegen, dass die Deichbauer in Schleswig-Holstein statt mit 25 Zentimetern mit 50 Zentimeter höheren Deichen planen. Bei der Abwägung zwischen Kosten und Risiko ist man hier offenkundig zu einem anderen Ergebnis gekommen. Um diese Form der Kleinstaaterei künftig zu vermeiden, ist im Oktober letzten Jahres vom Umweltbundesamt ein Kompetenzzentrum für Anpassung an den Klimawandel, kurz Kompass, eingerichtet worden. Petra Mahrenholz:

    " Kompass hat sich auf die Fahnen geschrieben, diese Risikosensibilisierung durch Information und Kommunikation zwischen den Entscheidern zu fördern und wir hoffen, dass im Rahmen der Diskussion um eine nationale Anpassungsstrategie diese Sensibilisierung erhöht wird."