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Kuhstall im Kinderzimmer

Jedes sechste Kind in Deutschland leidet an einer Allergie. Oft bleibt dann nur der Griff zu Tabletten und Asthmasprays. Doch jetzt sind Wissenschaftler einem interessanten Punkt auf der Spur: Kinder, die möglichst früh Stallluft einatmen, entwickeln sehr viel weniger Allergien.

Von Marieke Degen | 09.03.2010
    Ein Stall im Allgäu. Zwei Milchkühe stehen im Stroh, die Bäuerin fegt den Mist zusammen, und mittendrin ein Säugling, der vergnügt in seiner Babywippe schaukelt. Viele Eltern würden bei diesem Anblick die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Allergologen wie Albrecht Bufe von der Ruhr-Universität Bochum lächeln zufrieden.

    "Man weiß von einer großen Epidemiologischen Studie, die immer noch weiter durchgeführt wird, dass Kinder, die im ersten Lebensjahr sich auf einem Bauernhof aufhalten, vor allem im Stall, von ihrer Mutter mit in den Stall genommen werden, dass diese Kinder ein deutlich geringeres Risiko haben, eine Allergie zu entwickeln. Wirklich deutlich."

    Jedes dritte Kind in Deutschland kann im Laufe seines Lebens eine Allergie entwickeln – gegen Pollen, Hausstaub, Tierhaare. Einige leiden schon als Säuglinge an Neurodermitis. Mit fünf oder sechs kann dann noch Heuschnupfen oder Asthma dazukommen. Das Risiko ist besonders groß, wenn die Eltern auch Allergiker sind. Kinder auf Bauernhöfen sind von vorneherein weniger gefährdet. Nur jedes zehnte läuft Gefahr, irgendwann einmal an Asthma oder Heuschnupfen zu erkranken – selbst dann, wenn beide Eltern Allergiker sind. Bauernhofeffekt nennen die Ärzte das. Albrecht Bufe und seine Kollegen haben jahrelang nach der Ursache für diesen Bauernhofeffekt gesucht. Heute wissen sie: Es ist der Staub im Kuhstall, der die Kinder vor Allergien schützt.

    "Im Kuhstall finden Sie alles, in höheren Dosierungen als im Kinderzimmer. die Substanzen, die man da findet, ich würd die mal in drei Gruppen einteilen, das eine sind Bakterien, die überall sind und da gibt es eine Reihe von Bakterien, die wenn die inhaliert werden wahrscheinlich einen Schutz auslösen. Die zweiten Substanzen, das sind so genannte pflanzliche Substanzen, die kommen im Wesentlichen aus Heu und Stroh. Das dritte sind, ja ich sag mal so Abscheidungen von Tierchen, die im Stall leben, z.B. der Mehlwurm."

    Bakterien, Pflanzenstoffe und Stoffwechselprodukte von Würmern. Das alles schwirrt durch die Stallluft und wird von den Babys eingeatmet.

    "Es ist nicht eine Substanz, sondern es ist immer die Kombination, die diesen Effekt wahrscheinlich macht."

    Die Stoffe signalisieren dem Immunsystem: Gräserpollen und Tierhaare sind harmlos, die müsst ihr nicht angreifen. Damit verhindern sie, dass überhaupt erst eine Allergie entsteht. Wichtig ist: Die Kinder müssen die Stallluft so früh wie möglich einatmen, in ihrem ersten Lebensjahr.
    Albrecht Bufe und seine Kollegen arbeiten jetzt daran, den Stallstaub auch für Stadtkinder zugänglich zu machen - in Form von Nasentropfen, die genau die gleichen Bakterien, Pflanzenstoffe und Wurmprodukte enthalten und die dem Baby täglich in die Nase geträufelt werden. Gefährlich sei das nicht, sagt Albrecht Bufe.

    "Die Bakterien sind alle entsprechend so ausgewählt, die, die wir benutzen würden, die die wir gefunden haben, die sind nicht schadhaft. Das weiß man einfach, das sind Probiotika wie sie im Joghurt drin sind, witzigerweise findet man die in ähnlicher Struktur auch im Stall."

    Im Tierversuch hat das schon geklappt. Allergiker-Mäuse, die mit Extrakten aus Stallstaub behandelt worden sind, haben kein Asthma bekommen. In zwei Jahren sollen erste klinische Studien mit Menschen gemacht werden. Erst dann wird sich zeigen, ob die Tropfen tatsächlich Allergien verhindern können.

    "Das möchte man den Kindern nicht zumuten, dass die die ersten sechs Monate jeden Tag Nasentropfen bekommen, und dann bringen die nachher nichts. Das würden die Eltern mit Recht nicht gut finden."

    Wenn die Tropfen tatsächlich halten, was sie im Tierversuch versprechen, dann könnten sie vielleicht schon in zehn Jahren auf dem Markt sein.