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Kulinarische Reisen

Der Brite Paul Richardson isst sich in seinem kulinarischen Reiseführer von Spaniens Küste ausgehend landeinwärts und beschließt seine die Tour mit Expeditionen in die Städte San Sebastián, Barcelona und Madrid. Eher einen globalen Blick in die Kochtöpfe der Welt wirft Taras Grescoe, der sich vor allem für verbotene Gerichte und Tabus interessiert.

Von Sacha Verna | 25.07.2008
    Paella, Gazpacho, Sangria: Gibt es wirklich noch Leute, die dies für die einzigen gastronomischen Erzeugnisse halten, die das Königreich Spanien in den vergangenen zweitausend Jahren hervor gebracht hat? Leute, die noch nie etwas von phantastischen Tapas-Kreationen wie Lobster-Häppchen mit Klementinen und Safranöl gehört haben oder von Überraschungseiern, deren Überraschung in geeister Ibérico Schinken-Mousse mit Pistazien-Krokant besteht? Menschen also die verpasst haben, dass Ferran Adrià, Herr über alle essbaren Moleküle und Aushängeschild der modernen spanischen Küche spätestens seit seinem letztjährigen Auftritt als "artist in residence" an der documenta Kassel auch in Kreisen zum Star avanciert ist, die mit Kochlöffeln sonst nichts am Hut haben? Solche Menschen sollten dringend Paul Richardsons "Comida! Eine kulinarische Reise durch Spanien" lesen. Und alle übrigen sowieso.

    Denn Richardson, ein Brite, der seit beinahe zwanzig Jahren in Spanien lebt, widmet sich in diesem Buch keineswegs nur Spaniens kulinarischer Avantgarde. Nicht dass er die bereits legendären Tempel futuristischer Gaumenfreuden wie das El Bulli in Roses oder das Arzak in San Sebastiàn links liegen ließe. Er schmaust sich mit Wonne durch 24-gängige Menüs, die vom Klicken von Teströhrchen begleitet und lediglich vom Rosa evaporierter Randen umwölkt werden. Ja, Richardson verlängert die Liste erkundigungswerter lukullischer Labors sogar noch. Doch, was ihn eigentlich interessiert, ist das Neben- und Wegeneinander von Tradition und gastronomischer Neuerung in Spanien. Es geht ihm darum zu zeigen, dass die revolutionäre spanische Kochkunst von heute und übermorgen im Grunde eine evolutionäre ist. Dass auch die Ursprünge einer Tempura von Schalentier-Gelee mit kandierten Granatapfelblüten in einer einfachen Küche zu finden sind, in der über einem offenen Feuer ein währschafter Eintopf vor sich hin schmort.

    Richardson isst sich von der Küste an landeinwärts und beschließt seine Kulinatour mit Expeditionen in die Städte San Sebastián, Barcelona und Madrid. Fisch und Meeresfrüchte dominieren dementsprechend den Speisezettel während des ersten Teils seiner Rundreise. Danach sind es Fleischgerichte, vor allem solche, in denen sämtliche Körperteile des in Spanien innig geliebten Schweins zur Geltung kommen.

    Der Vegetarismus ist, wie Richardson zeigt, eine in diesem Land unverstandene Philosophie - mit Ausnahme vielleicht von Regionen wie Murcia, wo man im Sommer lieber an den saftigen Kopfsalaten der Gegend knabbert als Eis leckt, oder Teilen Navarras, dem nationalen Gemüsegarten.

    Was wird in welcher Provinz angebaut, gefüttert, gejagt oder gefangen? Und in welcher Form lassen es sich die Bewohner dieser Provinz seit je her schmecken? Fragen wie diese führen Richardson von den tortillitas de camarón, den Eierpfannkuchen mit Mini-Krabben und Petersilie Andalusiens zur fabada Asturiens, die unter anderem Bohnen, Schweinsohren, Schinkenspeck und Blutwurst enthält. In Toledo deckt er sich mit dem berühmten Konfekt des örtlichen Ursulinerinnen-Klosters ein, und im Baskenland trinkt er sich von Apfelweinstube zu Apfelweinstube.

    "Comida!" macht Appetit, keine Frage. Aber Paul Richardson liefert zum Glück mehr als ein bloßes Protokoll dessen, womit er sich ein Jahr lang den Magen voll geschlagen hat. Er taucht tief ein in die Geschichte der iberischen Halbinsel. Und was er über die Phönizier und den Handel mit Olivenöl erzählt oder über die Gewürzkultur unter der Herrschaft der Araber, von der merkwürdigerweise nur Safran und Paprika übrig geblieben sind; dass er Autoren wie Francisco Martínez vorstellt, den spanischen Brillat-Savarin, oder das alte Ehepaar, das sich noch an die undefinierbaren Suppeneinlagen erinnert, die man während des Kriegs gierig verschlang - all diese Beilagen verwandeln "Comida!" in ein wahrhaft köstliches Mahl.

    Paul Richardsons Buch ist dem Genuss gewidmet. Das ist auch Taras Grescoes "Verteufelt gut". Genauer gesagt: Taras Grescoe interessiert sich in seinem Werk für verbotene Genüsse. Und noch genauer: Der Autor hat es auf die Verbote an sich abgesehen. Nur so lässt sich erklären, was Rohmilchkäse mit Singapur gemeinsam hat und was Kräutertee mit Kaliforniens Rauchern, bzw. die Texte in diesem Buch miteinander verbindet. Auch Grescoe unternimmt eine Reise. Er beginnt in Norwegen, das für seine restriktive Alkoholpolitik bekannt ist, und endet in der Schweiz, einem der wenigen Länder in dem unter gewissen Bedingungen die aktive Sterbehilfe erlaubt ist. In Singapur kaut Grescoe Kaugummi und zerbröselt Mohnkekse, nur um zu schauen, ob er deshalb festgenommen wird. In einem New Yorker Delikatessgeschäft versucht er, echten Epoisses zu kaufen und als er nur falschen kriegt, begibt er sich in Frankreich auf die Spuren des duftintensiven Milchprodukts. In La Paz trinkt er Matetee und kaut Cocablätter, und in San Francisco bietet er Bar-Bekanntschaften Nat Shermans an. Taras Grescoe ist wie Richardson ein erfahrener Reisejournalist. Auch er präsentiert historische Hintergründe und Trivia, Länder- und Personenporträts in der richtigen Mischung. Doch wirft der intellektuelle Überbau, den er seinem Projekt aufgesetzt hat, auf all diese Qualitäten einen bedauerlichen Schatten. Das Wesen des Verbotenen zu ergründen, ist ein philosophisch, soziologisch und anthropologisch sicher lohnenswertes Unterfangen. Und die Idee, Verbote und ihre Durchsetzung oder ihre Nicht-Beachtung in verschiedenen Ländern zu untersuchen und den Gründen nachzugehen, die ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Handlung kriminalisieren - diese Idee ist gut. Nur mutet es schlicht seltsam an, wenn in Oslo noch mit Selbstgebranntem gefeiert wird und der Autor sich im Nachwort 400 Seiten später über das Für und Wider einer liberalen Drogenpolitik verbreitet und über Selbstmord als Menschenrecht. Wasabi-Schaum mit Erdbeertupfern funktioniert. Nicht aber Erbsen-Sorbet mit Sargnägeln.

    Bibliographie

    Paul Richardson: Comida! Eine kulinarische Rundreise durch Spanien.
    Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer. Bloomsbury Berlin Verlag, Berlin 2008.
    350 Seiten. 19.90 Euro.

    Taras Grescoe: Verteufelt gut. Expeditionen ins Reich der verbotenen Genüsse.
    Aus dem Englischen von Franka Reinhart. Blessing Verlag, München 2008. 450 Seiten. 34.90 Franken/19.95 Euro.