Sonntag, 28. April 2024

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Kulinarischer Streifzug durch Seoul
Nicht alles ist Kimchi

Eines der schönsten Dinge beim Reisen ist doch das Essen. Zum ersten Mal von einer unbekannten Wurst abbeißen, die sich als höllisch scharf erweist. Einen Schluck grünen Wein kosten, von dem man noch nie gehört hat. Dabei wird es umso spannender, je weiter man reist und je exotischer einem das Essen erscheint - etwa in Südkorea.

Von Franz Lerchenmüller | 04.09.2016
    Ein koreanisches Gericht.
    Koreanische Küche (picture alliance / dpa / ANN)
    Nein, da vorne auf der Bühne stehen keine Trommler und legen ein paar flotte Soli hin. Köche, drei Männer und eine Frau, sind im Einsatz, und sie hacken mit ihren Messern einen Rhythmus auf die Schneidebretter, dass ein wahrer Regen aus Chinakohlfetzen auf das Publikum niedergeht.
    Dabei stehen die vier eigentlich gewaltig unter Stress. In einer Stunde sollen zehn Hochzeitsmenüs fertig sein – und immer wieder kommt ihnen etwas dazwischen: ein heißer Flirt, ein dummer Küchenjunge, vor allem aber die Lust an der möglichst lauten Zweckentfremdung unschuldigen Küchengeräts. Kein Wunder, dass ihr Arbeitsplatz sich schließlich in den größten Saustall verwandelt, den ein Chef je zu Gesicht bekommen hat.
    Das berühmte Nanta-Theater ist genau die passende Begleitung für eine Exkursion in die Küche der Zehn-Millionen-Metropole Seoul. Jener Stadt, in der handgemalte Werbetafeln sich neben lastwagenbreiten Videowänden behaupten und kleine Ziegelbauten sich in den Schatten der verspiegelten Hochhäuser ducken. Noch existiert Alt neben Brandneu in Seoul – auch in der kulinarischen Landschaft.
    Harmonie ist seit Urzeiten das oberste Gebot
    Harmonie ist seit Urzeiten das oberste Gebot der Küche Koreas: Immer sollen alle Geschmacksrichtungen in einem Essen versammelt sein. Deshalb gruppieren sich bei jeder Mahlzeit verschiedene Schüsselchen um das Hauptgericht: Chilipasta, Sesamöl, gepickelte Fischchen. Und deshalb hat auch fast jedes Gericht eine süße Note und eine gewisse Schärfe.
    Adela Shin, studierte Kunsthistorikerin, die Ausländern gern ihre Stadt zeigt, ist das, was man heute einen "Foodie" nennt, ein Mensch, der gerne isst und sich für alles interessiert, was damit zu tun hat. Die Sache mit der Harmonie, sagt sie, sei im geschäftigen Seoul nicht immer ganz einfach durchzuhalten.
    "Natürlich ist es schwierig, sich heute in der allgemeinen Hetze um die Harmonie im Essen zu kümmern. Wir versuchen es trotzdem. Dabei sehen wir das nicht so sehr vom philosophischen Standpunkt, sondern eher als eine Art Gesundheitsvorsorge. Denn eine Kombination von bestimmten Zutaten kann deinem Körper schaden – eine andere ihm guttun. Man sagt zum Beispiel, wenn man Schweinefleisch isst, sollte man auf jeden Fall fermentierte Krabben dazu nehmen. Denn die schützen vor riskanten Elementen im Fleisch."
    Noch wichtiger aber ist etwas anderes, ganz und gar Unerwartetes: eine positive Grundhaltung der Menschen, die das Essen zubereiten.
    "Nicht nur Harmonie gehört zu einer Mahlzeit – sondern auch eine gewisse Einstellung der Köchin. Nennen wir sie Achtsamkeit. Oder besser: Zuneigung zu den Leuten, die am Tisch sitzen. Wenn dieses Gefühl fehlt, sagt man, kann das Essen gar nicht richtig schmecken."
    Eine Mahlzeit ohne Kimchi ist nicht komplett
    Und deshalb nutzen die Mütter auch immer soweit wie möglich ihre Hände zum Kochen – damit ihre positive Energie in die Speisen übergeht.
    Die für Koreaner wichtigste Farbe in der Geschmackspalette ist "sauer". Eine Mahlzeit ohne Kimchi, fermentiertes Gemüse, ist aus koreanischer Sicht nicht komplett. Auf dem Gwangjang-Markt (Gwangdschang) kann man zwischen Geschäften mit Reiskochern und Sportschuhen die verschiedenen Zubereitungen kennenlernen. 16 Varianten präsentiert "Kimchi-Halme", die Kimchi-Oma, in ihren Chromargan-Schüsseln.
    "Sie hat hier Wasserkimchi aus Weißkohl, dann dort drüben einen Löwenzahnkimchi, Kimchi aus Chinakohl, aus Rüben und Gurke, aus verschiedenen Arten von Rettich, und aus Frühlingszwiebeln."
    Der Leib- und Magenspeise ist sogar ein eigenes Museum gewidmet. Schon Konfuzius, erfährt man, wusste in Salz eingelegtes Gemüse zu schätzen. Denn erst durch die Kunst des Fermentierens konnte man Kohl & Co. als Vitaminquelle für den Winter erhalten.
    Für den Besucher hat Seoul zu jedem Anlass das passende Essen parat. Den Tag, an dem er den "Schrein der königlichen Ahnen" und das "Tor der erhabenen Zeremonie" besichtigt, schließt ein Essen im Korea-Haus am stilvollsten ab. In einem im traditionellen Stil erbauten Haus servieren Damen in traditioneller Tracht ein traditionelles Menü.
    Rippchen mit Kastanien kommen da auf den Tisch, Aal auf Wasserkresse, Sesamblatt-Suppe mit Thunfisch.
    Straße der Tteokbokki-Restaurants
    Der Raum ist nüchtern, der Ablauf wirkt formell. Aber genauso vermittelt er vermutlich einen Eindruck der früheren, strengen Etikette in besseren Häusern. Genau das Gegenteil davon ist das quirlige Leben im Stadtteil Hongdae Hier tobt das junge, feierwütige Seoul durch die Neonnächte und feiert "Emjuganu", die Einheit von Tanzen, Trinken und Singen. Aufgestylte Studentinnen himmeln Boy-Groups an, die im Park auftreten und auf den Straßen huldigt man den allerletzten kulinarischen Trends: Lange Schlangen stehen vor den Ständen mit Tiramisu-Eis und spanischen Churros. Kein Platz findet sich in den Chimaek-Restaurants – die Kombination von Bier und Hühnchen zieht das Feiervolk derzeit magisch an.
    Märkte zu besuchen, ist eines der größten Vergnügen in einem fremden Land. In den Jungbu-Markt verirren sich nur selten Ausländer. Hier decken sich Einzelhändler und Restaurantchefs mit Trockenfisch, Algen und eingelegten Meeresfrüchten ein.
    Am Stand von Jung-Ok Cho ist es penibel sauber, elektrische Kolibris drehen sich - als Abwehr gegen Fliegen.
    "Hier habe ich getrockneten Tintenfisch, getrocknete Krabben und verschiedene Sorten von getrockneten Anchovis. Die einen sind für die Suppe, die andern knabbert man zum Bier. Das sind vielleicht ein Dutzend Sorten, aber hinten im Kühlschrank habe ich noch mehr. Vor eineinhalb Jahren wurde der Markt renoviert, vorher war er eher traditionell. Jetzt ist alles sehr hygienisch und auch bei Regen bleibt alles sauber."
    Ganz in der Nähe des Marktes erstreckt sich Sindangdong, die Straße der Tteokbokki-Restaurants (Tokbókki). Das berühmteste ist "Das Haus von Großmutter Ma Bok Rims jüngstem Sohn". Auf den Gasherd in der Mitte eines jeden Tisches kommt ein Topf, in dem eine scharfe, rote Brühe brodelt. Kim Kil-ja, die Frau des jüngsten Sohnes von Großmutter Ma Bok Rim, erklärt, was darin herumschwimmt.
    "Unser Tteokbokki wird immer noch nach dem Rezept meiner Großmutter zubereitet. Da gehört eine spezielle Soße dazu – das Rezept ist natürlich geheim. Das ist die Grundlage, dazu kommen dann Ramen-Nudeln oder Glasnudeln, Reiskuchen oder kleine Ravioli. Jeder fügt hinzu, was ihm schmeckt, und deshalb schmeckt unser Tokboki auch jedem."
    Kalte Nudelsuppen sind der Renner
    Natürlich gibt es auch kulinarische Moden in Seoul. Der derzeit größte Renner ist die Kalte Nudelsuppe, wie man sie etwa im "Wooraeok" (Uureo) serviert. Oder in den Restaurants in der, wie-hieß-sie-gleich-nochmal-Straße.
    "Nudelsuppenstraße"
    Etwas befremdend sind die ersten Bissen in die glitschigen Nudelstreifen, mit der schmackhaften kalten Brühe, in der Birnen- und Rindfleischscheiben schwimmen. Und die man natürlich schlürfen muss.
    Die Kellnerin kommt an den Tisch und zeigt, wie man seine Kalte Nudelsuppe richtig in Form bringt.
    "Essig muss rein, Zucker, Senf, und wenn man es gern scharf mag, Chilisoße. Und dann das Ganze kräftig durchmischen!"
    Adela Shin, die große Feinschmeckerin, stürzt sich mit Begeisterung das neue Mode-Essen Seouls.
    "Noch vor fünf Jahren hat man kalte Nudelsuppe nur im Sommer gegessen, weil sie erfrischend ist. Aber jetzt sind die Fans und die Gourmetkritiker geradezu verrückt danach, vor allem nach der im "Oureo", wo wir gerade sind. Zu uns gekommen ist sie aus Nordkorea. Man verwendet mehr Buchweizen für die Nudeln, deshalb sind sie nicht so zäh, sondern eher wie Pasta. Man sagt, wer irgendetwas von Essen versteht, liebt diese Suppe."
    Essen ist für die meisten Koreaner ein enorm wichtiger Teil des Alltags, für manche gar der halbe Lebensinhalt. Im Prinzip ist ganz Seoul ein großes kulinarisches Theater. So beschwingt und lustig wie auf der Bühne des Nanta-Theaters allerdings geht es in den wirklichen Restaurants nur selten zu.