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Kulisse deutscher Selbstbeweihräucherung

Seit Tagen schon wird in der "Bild"-Zeitung aus jedem Jahr seit Gründung der Bundesrepublik ein Werk eines ausschließlich deutschen Künstlers abgedruckt und mehr oder weniger erläutert. "60 Jahre, 60 Bilder" heißt die Ausstellung, die dahinter steckt und mehr kuratorisches Konzept als diese historisch-nationalistische Idee hat sie auch nicht.

Von Carsten Probst |
    Deutschland ist demokratisch. Es ist ja heute nicht mehr so wie in grauer, gar nicht einmal so lange vergangener Vorzeit, dass irgendein Staatenlenker allein bestimmt, welche Bilder ebendiesem Staat genehm sind und welche vielleicht gerade einmal nicht. War es vielleicht die Bundeskanzlerin, war es gar der Innenminister, die die Bilder dieser Ausstellung ausgewählt haben? Natürlich nicht. Diese Ausstellung lehrt: Die Macht, ihren mehr oder weniger guten Geschmack auszustellen, obliegt in der modernen Demokratie einigen altgedienten Strippenziehern in karierten Jacketts, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, das Strippenziehen aber trotzdem nicht lassen können.

    Man merkt ihnen ihre Freude an, Kai Dieckmann, Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und Walter Smerling, Vorsitzender der Stiftung Kunst und Kultur e.V. in Bonn, der die werbewirksame Selbstdarstellung der deutschen Kulturnation im Ausland in besonderer Weise am Herzen liegt. Sie haben sich beraten lassen von Experten. Wir wollten nur das Beste, sagt Kai Dieckmann. Darauf hat dieses Land auch einen Anspruch. Damit sollte alles über diese Ausstellung gesagt sein. Diese Ausstellung ist die Essenz deutscher Kunst der vergangenen sechzig Jahre. Was hier nicht hängt, brauchen sie nicht zu kennen. Sie ist die Übertragung des Prinzips "Bild"-Zeitung in die Ausstellungshalle. Schon das allein macht diese Ausstellung demokratisch. Die herbeigeholten Kunstexperten, die daran mitgewirkt haben, können einem leid tun, denn von einigen weiß man, dass sie eigentlich nur Schlimmeres verhindern wollten. Noch mehr leid tun müssen einem nur die beteiligten Künstlerinnen und Künstler, denn sie haben überhaupt keinen Einfluss, da ihnen die Werke nicht mehr gehören. Nun müssen sie unversehens als Staatskünstler herhalten, als Flaggenträger der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte, was manchen von ihnen vielleicht weniger ausmacht als anderen.

    Aber was mag ein, sagen wir, Gerhard Richter dazu denken, dass er das Jahr 1965 repräsentiert? Was sagt das Jahr 1965 über Gerhard Richter, was das Jahr 1966 nicht sagt? Und gäbe es im Jahr 1985 oder 2005 nicht auch anderes über Gerhard Richter zu sagen? Mag ja sein, sagen die Kuratoren, aber 1985 ist leider von Georg Herold besetzt und 2005 von Corinne Wasmuht. Corinne Wasmuht malt natürlich ganz anders als Gerhard Richter, und spätestens an solchen komischen Überschneidungen von Werken älterer mit denen jüngerer Künstler merkt man, dass irgendetwas mit diesen Jahreszahlen nicht stimmen kann. Weil eine chronologische Reihenfolge zu öde gewesen wäre, hat man die Jahreszahlen und die jeweiligen Künstler, die sie repräsentieren wollen, milde durchgeschüttelt und nach atmosphärischer Wirkung zusammengehängt.

    Jonathan Meese meets Neo Rauch, Konrad Klapheck meets Günter Uecker, Andreas Gursky meets Isa Genzken, einfach weil es nett aussieht und den Strippenziehern maximal so gefällt. Das ist zugleich die maximale Marginalisierung der Bilder zu einem Hintergrundrauschen, zu einer Kulisse deutscher Selbstbeweihräucherung, deren wilhelminische Repräsentationswucht tief blicken lässt in die geheimen Machtfantasien mancher deutscher Strippenzieher. Das Publikum sollte solche Machwerke von Ausstellungen tunlichst meiden. Dass das nicht geschehen wird, ist freilich die Fortsetzung des Prinzips "Bild"-Zeitung im Ausstellungssaal, und man könnte geneigt sein zu sagen: seine preußische Vollendung.