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Kultur als Friedensbote?

Die Ermordung des niederländischen Filmregisseurs Theo van Gogh durch einen islamischen Extremisten aus Marokko und die darauf folgenden Anschläge auf Moscheen und islamische Schulen haben einen Mythos zerstört: den von der funktionierenden multi-kulturellen Gesellschaft in den Niederlanden. Da kommt einer Ausstellung von Kunstschätzen aus Marokko besondere Bedeutung zu, die nun in Amsterdam gezeigt wird. Ihr Anlass: 2005 ist es genau 400 Jahre her, dass die Niederlande mit dem damaligen marokkanischen Sultanat offiziell Kontakt aufgenommen haben.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Hier sehen wir ein Meisterwerk! Einfach alles daran ist perfekt - sogar der heutige Zustand! Diese Büste ist für Marokko das, was für Ägypten Tutenchamuns Goldmaske ist!
    Beim Anblick der lebensgroßen Bronzebüste von Juba dem Zweiten gerät Kustos Vincent Boele unweigerlich ins Schwärmen. Juba war ein Berberprinz, der am Hofe von Kaiser Augustus in Rom aufwuchs, die Tochter von Cleopatra heiraten durfte und dann als weiser Herrscher über Marokko regierte. Seine Büste ist mehr als 2000 Jahre alt und eines von 300 Objekten aus marokkanischen Museen und Archiven, die nun in der Nieuwe Kerk in Amsterdam zu sehen sind. Unter dem neugotischen Kirchengewölbe wurde dazu eine Medina aufgebaut, eine Altstadt mit labyrinthartigen Gässchen und Winkeln, wie sie für die alten nordafrikanischen Städte typisch sind. Auch eine Terrasse mit prächtigem Mosaikfussboden fehlt nicht: Hier laden bunte Sitzkissen zum Verweilen ein und wird süßer Pfefferminztee gereicht:

    Die chronologisch aufgebaute Ausstellung präsentiert das heutige Königreich Marokko als Schmelztiegel der Nationen - vor und nach dem Eintreffen des Islam um 700: Die arabischen Herrscher, die das Land damals eroberten und bis nach Südspanien vordrangen, bescherten Marokko Sultane und Königsstädte wie Fez und Marrakesch. Im 12. Jahrhundert brach ein Goldenes Zeitalter an, das 200 Jahre währen sollte. Auf beiden Seiten der Strasse von Gibraltar blühten Wissenschaften und Künste. Das belegt die Ausstellung nicht nur mit farbenfrohen Keramik- und Textilarbeiten: Daneben ist eine prachtvoll geschnitzte, mit Intarsien versehene Kanzel aus Zedernholz zu sehen, ein so genannter Minbar aus Fez. Auch die so genannten Astrolabien wurden in dieser Blütezeit entwickelt, erklärt Kustos Boele:

    Mit Astrolabien wurde in der Astronomie und der Seefahrt die Position der Gestirne bestimmt. Oder die Ausrichtung nach Mekka beim Bau von Moscheen.
    Doch der Islam ist nur eine von vielen Facetten in der 5.000 Jahre alten Kulturgeschichte Marokkos: Sie beginnt mit den Phöniziern und Puniern, die an der Küste erste Handelsniederlassungen gründeten. Auch die römische und byzantinische Zeit wird dokumentiert mit Skulpturen, Büsten und Mosaiken:
    Sehr beeindruckend, aber man muss sich sehr viel Zeit nehmen, um alles zu verstehen. Die prachtvoll geschnitzte Tür da weiter hinten hat mich besonders beeindruckt! Soviel Liebe zum Detail, einfach fantastisch!
    Sehr gut, dass diese Ausstellung stattfindet! Ich bin Marokkanerin, lebe aber seit 26 Jahren hier. Endlich können wir Marokkaner den Niederländern etwas von uns zeigen - etwas, auf das wir stolz sein können! In den letzten Jahren denken sie sehr schlecht über uns. Diese Ausstellung ist für beide Seiten sehr lehrreich. Das ist das Schöne daran!
    Und genau das ist auch die Absicht der Organisatoren: zum besseren Verständnis beitragen zwischen alteingesessenen Niederländern und marokkanischen Zuwanderern. Denn seit dem Aufstieg des rechtspopulistischen Politikers Pim Fortuyn vor drei Jahren ist die Haltung Moslems gegenüber feindselig geworden. Der Mord an dem islamkritischen Regisseur Theo van Gogh Anfang November hat die Fronten weiter verhärtet; das Marokkobild der Niederländer ist seitdem noch negativer geworden.

    Um auch die 300.000 Niederländer marokkanischer Herkunft in die Nieuwe Kerk zu locken, gibt es die Audiotour auch auf arabisch und in der Sprache der Berber. Schulkinder aus Rotterdam, Den Haag und Utrecht werden gratis per Bus nach Amsterdam gebracht.

    "Mehr Wissen führt immer auch zu mehr Verständnis", betonte der marokkanische Kultusminister Mohammed Achaari, der zur Ausstellungseröffnung nach Amsterdam gereist war: Wer den anderen kenne, brauche auch keine Angst mehr vor ihm zu haben:
    Wir haben uns in den letzten Jahren vielleicht zu sehr auf Wirtschaft und Handel konzentriert und die Kultur vernachlässigt. Dabei ist sie die Basis für gegenseitiges Verständnis. So können wir uns wirklich kennen lernen. Und wer den anderen kennt, braucht auch keine Angst mehr vor ihm zu haben.