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Kultur als Kraftakt

Anlässlich der Ausstellung "Gesichter des Orients – 10.000 Jahre Kunst und Kultur in Jordanien" in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik in Bonn, ein Bericht über die Situation der Archäologie in Jordanien.

Von Karin Fischer |
    Hoch über der Felsenschlucht von Petra, der alten, in vielen Farben schillernden Nabatäerstadt. Abends, wenn der Mond über der "Stadt der roten Felsen" aufgeht und die Touristen das Weltkulturerbe verlassen haben, räumen junge Beduinen die Souvenirs aus Silber zusammen und tun so, als ob es den Ansturm der Reisegruppen nie gegeben hätte. In der Höhle gegenüber dem hochgelegenen so genannten "Kloster", einer der Hauptattraktionen Petras, wird – wie seit Jahrhunderten - geflötet, gekocht, und auch geschlafen.

    Abed Hammad Abedoul hat als Kind noch in der alten Ruinenstadt gespielt, bevor die Familie in den 80er Jahren in ein nahe gelegenes Dorf umgesiedelt wurde. Er gehört zu einer Gruppe von Beduinen, die die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit zum Konservator ausgebildet. Die GTU unterstützt die Restau-rierungsarbeiten an den fragilen Sandsteinmonumenten. Alle Gebäude in Petra sind permanent durch Regen, Hitze, Salz und Frost gefährdet; jedes Jahr bröckelt es an einer anderen Stelle. Abed weiß, dass im Erhalt des Weltkulturerbes auch seine Zukunft, und die seiner Kinder liegt, und ist froh um den bezahlten Job. Beim Aufstieg am frühen Nachmittag hat er erzählt:
    "Hier beginnt der Weg zum Kloster, ungefähr 950 Treppen muss man dort hinaufsteigen. Letzten Sommer haben wir sie gerichtet, denn im Winter, wenn es regnet und die Fluten blitzartig durchs Tal geschossen kommen, werden sie regelmäßig beschädigt, wie auch die Straße unten, die wir reparieren – das ist natürlich wichtig wegen der Touristen. – Wir tun das mit demselben Stoff, den schon die Nabatäer verwendeten, denn wenn man einfach nur Zement nimmt, ist das gefährlich für die Steine. Die würden innerhalb von ein paar Jahren kaputt gehen"

    Mit dem Spezialkitt zollt man endlich auch dem beachtlichen Spezialwissen der frühen Völker Jordaniens Tribut. Die Nabatäer etwa wurden reich, weil sie die Wasserquellen an der Weihrauchstraße nicht nur kannten, sondern das "blaue Gold" der Wüste mit Hilfe eines intelligenten Kanalisationssystem auch für das hochwassergefährdete Tal von Petra unschädlich und fruchtbar zugleich machten. Die kostbare Stuckdecke aus dem "Großen Tempel" in Petra aus dem 1. Jahrhundert, die nach ihrer Restaurierung jetzt zum ersten Mal im Ausland zu sehen ist, beweist aber nicht nur den Reichtum dieser untergegangenen Kultur; sie steht auch für ihren Multikulturalismus. Das Gebiet, das heute Jordanien heißt, ist seit Jahrtausenden eine Drehscheibe der Völker und Kulturen. Handel hieß immer auch: Wissenstransfer. Schon vor 6000 Jahren wurde hier Kupfer in großem Stil abgebaut; hier entstanden vor 5000 Jahren die ersten Großsiedlungen der Region. Ein jüngeres Beispiel: Die berühmte "Palästina"-Karte von Madaba aus byzantinischer Zeit, das erste geografische Bodenmosaik der Kunstgeschichte überhaupt, das alle wichtigen Städte und Stätten des heiligen Landes in Bild und Schrift versammelt wie ein uralter Reiseführer. Osama Otoum, selbst Reiseführer und exzellenter Kenner seines Landes, erklärt:

    "Besondere daran ist das versteckte Know-how, das Wissen. Wie die Menschen damals wussten, dass das tote Meer eine Einnahmequelle war, durch die vielen Mineralien, und das wurde alles auf der Karte abgebildet, durch Schiffe und Mineralien und Menschen, die die Schiffe führen. Dann gibt es zwei deutliche Streifen westlich und östlich von totem Meer und Jordangraben: heute ist nachweisbar, dass dieser Streifen ein Null-Stand, also Meeresspiegelhöhe ist. Alles jenseits der Streifen liegt unter dem Meeresspiegel. Das war Know-how der damaligen Zeit. "

    Die Karte ist wie ein Symbol: früher wies sie Pilgern den Weg, heute lockt sie Kultur- Touristen nach Madaba. Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle; der Einbruch der Gästezahlen während des Irakkrieges – nach Petra kamen zu dieser Zeit statt durchschnittlich 1000 gerade mal 15 bis 20 Besucher pro Tag – wurde schmerzhaft registriert. Doch das Thema ist heikel: Zu große Touristenströme von 3000 Menschen oder mehr gefährden auch die Sandsteinsteinmonumente von Petra; Weltkulturerbestätten wie das Refugium und Badehaus der Umayyadenfürsten in der Wüste östlich von Amman Kasr Amra sind mit Hilfe der UNESCO zwar mit touristischer Infrastruktur, Parkplätzen, WCs, gepflasterten Wegen, versehen worden, doch die einzigartigen Wand- und Deckenfresken, die jetzt nachgebaut auch in Bonn zu sehen sind, verfallen sichtbar. Suleyman Fahajad, oberster amtierender Archäologe von Petra, äußert sich dazu vorsichtig:


    "Für mich ist ganz Jordanien ein Museum, nicht nur Petra. Wir haben so viele alte archäologische Fundorte, die zum nationalen Erbe gehören. Jordanien ist ein Museum kann man sagen, wirklich. Mehr als 100.000 historische Stätten sind registriert. Das heißt, zunächst müssen die konserviert werden. Da geht es noch gar nicht um Ausgrabungen. Nur um diese Orte zu schützen, muss die Antiken-Behörde viel Geld haben. Das ist nicht einfach. "

    Und eine Prioritätenfrage. Bis noch vor kurzem hatte man nämlich andere Probleme in diesem Staat, dessen Bevölkerung zu 60 % aus den Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge besteht. Heute gibt es im Schulsystem verankerte Ausflüge zu den Weltkulturerbestätten und verbilligten Eintritt für die jordanische Bevölkerung. Die neuen Generationen Jordaniens sollen die "Kultur" als Identifikationsmuster entdecken. Denn im Vergleich zu den Überresten der neolithischen, bronzezeitlichen und vor allem der griechisch-römischen Kultur kam der Islam, so sagt Osama, ja "erst gestern". Für ihn sind die vielen Zeugnisse eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen - also Toleranz - die Basis für ein zukünftiges jordanisches Nationalgefühl:

    "Zu der Umayadenzeit waren das die Wüstenschlösser. Wie durch Ausgrabungen nachgewiesen wurde, haben dort nicht nur byzantische Künstler mitgewirkt, die gläubige Christen waren, sie haben auch dort gelebt, sei es in den Karawansereien, sei es in den Wüstenschlössern. Aus dem 8. Jahrhundert, das ist die Zeit der Abbassiden, stammt ein anderes Weltkulturerbedenkmal, Umm er Rasas. Sämtliche Kirchen, die dort gefunden wurden, sind auf das sechste, siebte oder achte Jahrhundert datiert. Das ist ein Beispiel für Toleranz: Während der muslimischen Zeit hat man das Christentum ohne Einschränkung weiter praktiziert. Heutzutage ist es in Jordanien nicht viel anders. "

    Das wäre der ideologische Überbau zu einer Renaissance der Archäologie, die in Jordanien kurioser Weise schon seit dem ersten Golfkrieg stattfindet. Die Ausgrabungsplätze wurden plötzlich wieder interessant, weil sie sicher waren. Eine staatliche Werbeoffensive arbeitet derzeit an der Erschließung neuer Kulturtouristen-Gruppen, etwa in Spanien. Seit kurzem steigen die Besucherzahlen wieder. Den europäischen Beitrag zu diesen Entwicklungen steuert eine Initiative bei, die sich "Museum ohne Grenzen" nennt. Das Projekt will bedeutendes Kulturerbe vor Ort als solches kenntlich machen. Mit Hilfe schlichter Tafeln werden Monumente und Touristen auf so genannten "Ausstellungsstraßen" zusammen geführt. Das Projekt "Islamische Kunst im Mittelmeerraum" etwa schließt auf über 100 Routen 1000 Museen und archäologische Stätten von der Umayyadenzeit bis zu den Anfängen des Osmanenreiches kurz. Datenbanken und entsprechend aufbereitete Kataloge ergänzen die Ausstellungsstraßen. Matthias Henkel von den Staatlichen Museen Berlin, der an der Initiative mitgearbeitet hat, erzählt begeistert:

    "Für mich war das eine ganz wunderbare Erfahrung: man kommt in eine Oase und findet tatsächlich das Schild "Museum ohne Grenzen". Man wird auf das Projekt, das sich ganz speziell um die Umayadenzeit kümmert, hingewiesen, das hat auch wirklich eine neue Qualität des Kulturtourismus, wo man intellektuell aufbereitete Inhalte vor Ort miteinander verknüpfen kann. "

    Was zählt, sind aber vor allem die Effekte im Land: "Museum ohne Grenzen" ist eine Plattform für die kulturelle Selbstdarstellung eines Landes aus eigener Perspektive, gegen den alten Eurozentrismus, für ein neues Selbstbewusstsein der Regionen. Man will ein "Gefühl des Gleichgewichts" auf dem globalen Markt des kulturellen Erbes herstellen. Denn nicht nur in Jordanien hat die Akzeptanz des kulturellen Erbes vor allem mit Arbeit und Umsatz zu tun.