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Kultur als Standortfaktor in Berlin

Fischer: Niemand weiß genau, wo ihm der Kopf steht bei der schwierigen Rechts- und der noch komplizierteren Haushaltslage, wo Politiker jeder Couleur derzeit die Köpfe zusammenstecken, um herauszufinden, wie sie noch irgendeine Ausgabe, die nicht im Gesetz steht, begründen können, denn laut Verfassungsgericht des Landes Berlin ist nicht nur der zur Diskussion anstehende, sondern der bereits jetzt laufende Haushalt verfassungswidrig. Das Unglück für die Kultur lautet: Kultur ist von vorneherein eine freiwillige Leistung, und obwohl die Kultur mitsamt der Wissenschaft derzeit der einzig harte Standortfaktor für die Bundeshauptstadt ist, ist kein Bereich so in Frage gestellt wie gerade die Kultur. Die Frage an Olaf Zimmermann, den Geschäftsführer des deutschen Kulturrats lautet deshalb, was genau bedeutet dieses Urteil denn eigentlich?

Karin Fischer |
    Zimmermann: Guten Abend. Ich glaube ja nicht, dass es wirklich so eine freiwillige Leistung ist, wie immer gesagt wird, denn wir haben ja eine ganze Menge Gesetzeswerke, wo Kultur eine bedeutende Rolle spielt. Das fängt ja schon bei der Landesverfassung in Berlin an, wo gesagt wird, das Land schützt und fördert das kulturelle Leben, und geht dann aber weiter, ganz besonders über das Grundgesetz, da gibt es nämlich so etwas wie einen Kommunalkulturgestaltungsauftrag, den kann man auch nicht einfach wegsparen. Bis auf, und das betrifft ganz besonders Berlin und könnte eine Chance sein, den Einigungsvertrag, der zumindest für den Ostteil noch einmal Sonderregelungen sieht, weil da darf die Kultur nämlich laut Einigungsvertrag keinen Schaden nehmen.

    Fischer: Das heißt, wenn Sie dem Berliner Kultursenator Thomas Flierl etwas raten würden, dann, sich genau auf diese Gesetzesvorlagen zu beziehen?

    Zimmermann: Er muss es tun, wir müssen es alle tun und anfangen, viel deutlicher als bisher zu sagen, dass es sich bei der Kultur eben nicht um eine freiwillige Leistung handelt, da haben wir uns in den letzten Jahren ein bisschen in eine Ecke drängen lassen, dass wir dieser Argumentation vielleicht auch mental gefolgt sind. Es stimmt aber nicht, Kultur ist keine freiwillige Leistung der Kommunen, des Landes. Es gibt Gesetze, die das regeln. Natürlich würden wir uns wünschen, dass diese Gesetze noch viel klarer wären, als sie jetzt sind, dass man es noch viel deutlicher gegenüber den Finanzministern der Länder, des Bundes, aber auch den kommunalen Kämmerern äußern könnte, aber wir haben schon etwas und sind da nicht machtlos.

    Fischer: Wenn es sich aber nicht um eine Frage der Formulierungskunst handelt, sondern sozusagen tatsächlich um eine existentielle Notlage, was es ja für Berlin ist, wenn wir bedenken, dass die Stadt alleine elf Millionen Euro täglich an Zinsen zu bezahlen hat: Machen Sie es mal an einem Beispiel, was wäre eventuell gefährdet, was könnte eventuell gerettet werden?

    Zimmermann: Gefährdet ist zunächst mal alles, das muss man sehen, alles, was nicht institutionell sehr stark verankert ist. Wir haben ja schon in den letzten Jahren das Problem gehabt, dass natürlich, je größer die Institutionen sind, je fester die Strukturen innerhalb davon, umso weniger sind sie gefährdet. Es ist insbesondere das Kleine gefährdet, die Künstlerförderung, die kulturellen Projekte, die immer mehr weg brechen, weil man sie nicht unbedingt machen muss und wo nicht unbedingt Personalstellen dranhängen, die man nicht von heute auf morgen abwickeln kann. Das heißt, das ist als erstes gefährdet. Das zweite - und das sehen wir auch gerade in Berlin: Natürlich sind mittlerweile auch die großen Kultureinrichtungen in Berlin gefährdet. Deswegen ist es ja jetzt so wichtig, deutlich zu machen, dass es sich bei der Kultur natürlich um einen Eigenwert handelt, den man der Bevölkerung zur Verfügung stellt. Aber gerade in Berlin handelt es sich um einen Standortfaktor. Was wäre Berlin ohne die Kultur, wer würde nach Berlin kommen, wenn es nicht diese Kultureinrichtungen gäbe?

    Fischer: Das heißt, es ist nicht wirklich auch notwendig, demzufolge über die Verankerung der Kultur noch deutlicher in der Verfassung neu zu diskutieren?

    Zimmermann: Natürlich. Wir müssen diese Situation einfach klar ziehen. Jetzt, wo überall im ganzen Land massiv gespart wird gerade an der Kultur, weil man vermeintlich glaubt, das ist ein schwacher Partner, dem man das Geld auch mal hier und dort wegnehmen kann. Wir müssen jetzt über neue Strukturen nachdenken, und da gibt es ja auch Beispiele. Schauen Sie sich mal an, was wir im Kinder- und Jugendhilfebereich haben. Dort haben wir vernünftige, gesetzliche Rahmenbedingungen, die wir uns auch für die Kultur wünschen würden.

    Fischer: Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des deutschen Kulturrats über verfassungswidrige Haushalte und die gesetzesmäßige Verankerung der Kultur. Vielen Dank.

    Zimmermann: Ich danke Ihnen.