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Kultur für die Kleinen

Das Kinder- und Jugendtheater, entstanden aus der 68er Bewegung und zwischenzeitlich den Reformpädagogen überlassen, war einst fest in der Hand freier Künstler und Gruppen, von denen es einige schafften, eigenständige Institutionen zu gründen. Doch inzwischen haben sich die Verhältnisse verkehrt. Innovationen in diesem Bereich sind, auch aufgrund ökonomischer Zwänge für die Freien, fast nur noch in den Staatstheatern möglich.

Von Frauke Hartmann |
    " Ganz ein wichtiger Punkt sind wirklich die Stücke für die ab Zwölfjährigen, für diese Altersgruppe gibt es sehr wenig, Es gibt immer viel für kleinere, für die Sechs- bis Zehnjährigen und dann gibt es wieder was für die Jugendlichen. Und genau da dazwischen, da wollen wir ganz gern ansetzen. Weil die fallen immer durch. Die sind immer ein bisschen zu jung für die Erwachsenenstücke und zu alt für die Kinderstücke. "
    Zwei Premieren wird Heidelinde Leutgöb, die neue Leiterin des Jungen Schauspiel Hannover in der kommenden Spielzeit inszenieren. Zum Auftakt gleich ein Stück für alle ab 12 von Krimi- und Roman-Autor Henning Mankell, später für alle ab 16 den Jugendklassiker "Clockwork Orange", in dem jugendliche Grenzerfahrung mit Gewalt auf die Spitze getrieben wird.

    Doch damit nicht genug. Neben sieben neuen Inszenierungen in den beiden Spielstätten Ballhof 1 und 2 hat das Schauspiel Hannover unter den hippen Schlagwörtern "Playstation" und "Freestyle" eine Vernetzung mit Schulen und jugendlichen Randgruppen zwischen 12 und 25 geplant. Und als ganz neue Idee soll ein umher fahrendes "Theater Mobil" theaterferne Jugendliche in ihrer Umgebung ansprechen, zum Spielen zu bringen und ins Haus holen. Dass er der Nachfrage theaterwilliger Jugendlicher hingegen nicht mehr Herr wurde, war für Wilfried Schulz, Hannovers Schauspiel-Intendanten, einer der Gründe, gestern eine eigene Sparte für sein Jugendtheater zu eröffnen.

    " Also die Anzahl an Vorstellungen, die wir anbieten, reicht nicht aus, unsere Ensemblegröße reicht nicht aus, und die Projekte, die Workshop-Nachfragen von Jugendlichen, die selber spielen wollen, sind so angewachsen, dass wir das mit unseren Theaterpädagogen nicht mehr bewältigen können. Das ist mal ein richtig gutes Zeichen, würde ich sagen. "

    Mit der neuen Sparte liegt Intendant Schulz voll im Trend etlicher großer Staatsbühnen wie zum Beispiel Hamburg, Bochum, Düsseldorf und Zürich, die es ihm vormachen. Manch einem mag diese Hinwendung der Staatsbühnen zu den Jugendlichen paradox erscheinen in einer Zeit, in der es, demographisch zumindest, immer weniger von ihnen geben wird. Darin liegt jedoch vor allem ein starkes Bekenntnis des Theaters zu sich selbst, das ohne Hoffnung auf Veränderung, ohne seine ständige Erneuerung und Verjüngung nicht überleben kann. Und was gibt es schöneres als Hoffnungen in die Jugend zu setzen?

    Eine der erfolgreichsten deutschen Jugendtheater-Sparten hat zweifellos Friedrich Schirmer, Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, vor zwei Jahren zu seinem Amtsantritt eingerichtet, und damit eine Wiederbelebung des Jugendtheaters an Staatsbühnen ausgelöst, von der man vor einigen Jahren noch nicht einmal träumen konnte.

    Da war das Kinder- und Jugendtheater, einst entstanden aus der 68er Bewegung und zwischenzeitlich den Reformpädagogen überlassen, noch fest in der Hand freier Künstler und Gruppen, von denen es einige schafften, eigenständige Institutionen zu gründen. Doch inzwischen haben sich die Verhältnisse verkehrt. Innovationen in diesem Bereich sind, auch aufgrund ökonomischer Zwänge für die Freien, fast nur noch in den Staatstheatern möglich. Staatsbühnen wie das Hamburger Junge Schauspielhaus stellen mit ihren Inszenierungen existentieller jugendlicher Not jeden noch so professionellen "Räuber Hotzenplotz" in den Schatten. Eindeutig fehlt im Jugendtheater von heute der pädagogische Zeigefinger. Stattdessen schimmert da eher eine Sehnsucht durch.

    " Auch die Sehnsucht nach klar erzählten Geschichten, nach phantasievollen Geschichten, die so einfach wie möglich und so kompliziert wie nötig sind, "

    meint Schirmer. Sein Co-Intendant Klaus Schumacher hat vor allem eins erreicht. Er hat die alte und auch sehr deutsche Grenze zwischen Erwachsenen- und Kinder- und Jugendtheater aufgeweicht, indem er die Altersgrenze nur nach unten festlegte. Und damit hat er das Kinder- und Jugendtheater aufgewertet.

    " Ich mach den Unterschied nicht mehr so stark. Mir macht das Spaß, Erwachsene damit zu irritieren, wie nah ihnen das geht. "

    Die daraus folgende Direktive "für alle" hat sich auch das Schauspiel Hannover ausdrücklich ins Programm geschrieben. Auch wenn es im Unterschied zu Hamburg mit einem kleinen Kern-Ensemble eher eine Mischlösung bevorzugt, in der es die bisherige, viel beachtete Jugendarbeit fortsetzen kann. Eröffnet wird die neue Sparte im September mit "Romeo und Julia", einer halbprofessionellen Produktion von Marc Prätsch mit 25 Jugendlichen, die dann auch regelmäßig im Spielplan steht.