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Kultur-Leuchtturm Dresden

Beatrix Novy: Dresden-Hellerau, die erste deutsche Gartenstadt. Als Wohnsiedlung erbaut von Vertretern der traditionellen frühen Moderne, wie Richard Riemerschmit und Heinrich Tessenow. Tessenow entwarf auch das Festspielhaus, gebaut 1911, das in der kurzen Zeit, die ihm vor dem ersten Weltkrieg überhaupt verblieb, zu einem vielbesuchten Ort der neuesten Kunstentwicklungen damals wurde, vor allem für Tanz und Theater. Da fuhr Le Corbusier hin, da fuhren Kafka, Rilke, Kokoschka und viele andere hin. Die großen Zeiten, die guten Zeiten sollen nun wiederkommen, das will jedenfalls Udo Zimmermann, gebürtiger Dresdener, bis vor einem Jahr Generalintendant der Deutschen Oper in Berlin. Jetzt geht es ihm um Hellerau, um einen "grünen Hügel der zeitgenössischen Künste", wie er sagt. Einen Vertrag mit einem großen heutigen Namen des Tanzes gibt es schon, William Forsythe wird mit seiner Kompanie das Haus bespielen. Gestern nun war die Kulturstaatsministerin Christina Weiß in Dresden. Sie besuchte unter anderem die Frauenkirche und konnte dort ein Versprechen auf weitere Förderung des Wiederaufbaus aus dem Landesetat abliefern. Man sprach auch über Hellerau. Udo Zimmermann, was hat Christina Weiß denn Ihnen mitgebracht?

Der Intendant Udo Zimmermann im Gespräch |
    Udo Zimmermann: Also ich habe mit der Staatministerin seit ihrem Amtsantritt in Berlin 2002 immer schon mal - als ich noch Intendant der Deutschen Oper in Berlin war aber sich abzeichnete, dass ich eigentlich dort weggehen will - über Hellerau gesprochen und wir hatten vor einem Jahr vereinbart, wenn das Land und die Stadt sich klar positionieren, wenn Rahmenbedingungen kurz gesagt stehen, dann lassen Sie uns darüber reden, wenn wir ein Konzept haben, welchen Weg es gibt. Nun konnte ich ihr gestern sagen, dass diese Rahmenbedingungen stehen, wir haben den Forsythe hier fest unter Vertrag, wir haben ein Konzept an die Bundeskulturstiftung gegeben, wir haben die Bauarbeiten jetzt ein Jahr, wo über acht Millionen durch das Land und die Stadt wieder reinfließen, also wo sich der Bund eigentlich gar nicht herausnehmen kann. Wenn er das nicht täte, wäre das schon merkwürdig. Dann hat sie natürlich, wie Politiker das sehr geschickt tun, gesagt, dass sie eine Entscheidung für Hellerau in jedem Falle treffen würde, aber dass sie natürlich sofort eine institutionelle Förderung - ich bringe es mal auf den Punkt, woran mir sehr viel liegt, weil jede Projektförderung immer die Behinderung hat, dass man rätseln darf, ob man unter 600 Einsendungen denn auch eine Projektförderung bekommt - sie hat ja so etwas wie sechs bis sieben Leuchttürme schon unter eine institutionelle Förderung genommen. Es ist kein ostdeutscher Leuchtturm dabei, das war für uns eine zusätzliche Motivation doch die Frage zu stellen, ob sie sich das vorstellen kann. Nun muss man allerdings natürlich einsehen, dass wir im status nascendi wirklich erst einmal leuchten müssen. Wenn es einen Ort gibt, der am Ende für die neuere Kunst ein wirklich wichtiger, geschichtsträchtiger und aktueller ist, dann ist es Hellerau.

    Novy: Herr Zimmermann, jetzt müssen Sie natürlich erklären, worauf sich Ihr Konzept sonst noch gründet. Sie haben William Forsythe unter Vertrag, was sind sonst die Pläne?

    Zimmermann: Das Konzept gründet sich im Grunde auf eine Gesamtdramaturgie der Begegnung der zeitgenössischen Künste, ausschließlich der zeitgenössischen. Wir haben hier die Musik, wir haben die Medienkunst, den Tanz, wir haben die Architektur, die darstellende Kunst, die bildende Kunst und im Grunde genommen die Baukunst. Wir haben sechs bis sieben verschiedene Genres, die sich hier vor Ort niederlassen, die hier vorhanden sind und nun entweder über Interaktives oder Interdisziplinäres, wie auch immer wir es nennen, sich hier zu völlig neuen künstlerischen Ergebnissen zusammenfinden. Ich will eine Art In-Residence haben, das heißt wenn Sie zum Beispiel Forsythe nehmen und die Truppe drei Monate da ist, dann wird er eine Produktion hier in Hellerau erarbeiten und mit dieser dann durch Europa touren. Genauso wollen wir keine Gastspieler einladen, sondern wir wollen ein unverwechselbarer Ort sein, dass vor Ort produziert wird.

    Novy: Wenn aber die Künstler kommen, heißt das, dass auch Publikum kommt? Mit anderen Worten gefragt: Wer kommt nach Dresden, um zeitgenössische Kunst zu sehen und zu hören? Dresden hat bisher sein Marketing, um es mal so auszudrücken, auf ganz anderen Dingen gegründet, auf seine Geschichte nämlich.

    Zimmermann: Das ist gerade ein Grund, dass das Land und der Bund und die Stadt dieses Projekt ganz vehement unterstützen und es ist ja auch so, dass sich das Land Sachsen und die Stadt Dresden deutlich als Zeichensetzer hineinbegeben haben, weil sie, wie Sie richtig sagen, neben der Tradiertheit dieses traditionslastigen Ortes einen Ort haben wollen, der nicht mal Vorort von Dresden ist. Ich würde eher sagen, es ist ein europäischer Ort seiner Geschichte nach und dieses müsste er auch wieder werden, der ausschließlich dem Zeitgenössischen gewidmet ist. Wenn Sie nach dem Publikum fragen, ich denke wir haben hier neben Forsythe die Tierrewo-Leute, das sind russische Tänzer, wir haben einen Vertrag mit Petersburg, die ja ihr Publikum haben, die total ausverkauft sind. Aber in Hellerau sind wir ganz am Anfang, wir müssen über Zielgruppen gehen, wir müssen ein Publikum durch unsere künstlerische Arbeit erst gewinnen, das ist das Entscheidende.

    Novy: Das ist die Architektur einer gemäßigten und deshalb auch viel mehr Leute ansprechenden Moderne als solche, die sich sonst eher nicht für die Moderne interessieren würden. Könnte man also in einer solchen Umgebung nicht auch mit populäreren Festivals oder Eventaufführungen locken?

    Zimmermann: Also ich denke, wir sind ja gerade in einer Eventkultur und das ist eher ein Schaden. Wenn wir dieses immer weiter zulassen und einen solchen außerordentlich nicht austauschbaren geistigen Ort nun auch noch mit populären Lockmitteln versehen, ist das eine Frage der künstlerischen Konsequenz. Da können wir nicht einfach irgendeinen Gemischtwarenladen machen, sondern es muss der Punkt des Avancierten die Definition des Ganzen beinhalten.

    Novy: Das war der Komponist und Intendant Udo Zimmermann über das Projekt Hellerau als europäischer Ort zeitgenössischer Künste.