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Kultur, todgeweiht, und nicht nur beim sterbenden Schwan

Choreographen müssen derzeit mit allem rechnen. Ruhm schützt vor Kündigungen nicht. Gerade hat man in Frankfurt einen Vertragsabschluß vorläufig platzen lassen, der sichern sollte, dass nach dem Ende des Ballett Frankfurt als städtischem Ensemble wenigstens noch Gastspielaufführungen William Forsythes zu sehen wären. Die Gründe des jetzigen Debakels gehen auf den Sommer letzten Jahres zurück, als man die Arbeit des Ballett Frankfurt zur Disposition stellte, indem seinem Direktor William Forsythe erklärt wurde, er könne ab der Spielzeit 2004/2005 noch über genau zwanzig Prozent seines bisherigen Etats verfügen. Forsythe dankte und kündigte. In der Folge erhielt er zahlreiche Anrufe, unter anderem vom französischen Kulturminister. Aber der gebürtige New Yorker Forsythe, der als Tänzer John Crankos bereits 1973 nach Stuttgart kam, hat inzwischen über die Hälfte seines Lebens in Deutschland verbracht - verständlich daher, dass er sein zukünftiges eigenes Ballettensemble auch in diesem Land anzusiedeln wünscht. Also erfand er ein Modell, das die Gründung eines eigenen Ensembles als GmbH vorsieht. Spielorte der Compagnie sollen das noch zu renovierende Festspielhaus Hellerau bei Dresden sein - ein Ort mit großer Tanzvergangenheit - und das Bockenheimer Depot. Die Länder Hessen und Sachsen sowie die Stadt Dresden sind sich inzwischen einig über Vertragliches und Finanzielles. Doch als sich am vergangenen Dienstag diese drei Partner in Dresden zur Unterzeichnung der Forsythe-Papiere trafen, mussten sie Vertreter der vierten Seite vermissen: Die Stadt Frankfurt glänzte durch Abwesenheit, Oberbürgermeisterin Roth wie Kulturdezernent Nordhoff waren verhindert. Am Tag zuvor nämlich war auf den Frankfurter Schreibtischen ein Rechtsgutachten eingeschwebt, mit dem man sich nun aus der Affäre zieht. Es drohten Betriebsübergangsklagen nach BGB § 613 a, wenn Forsythes Tänzer weiterhin von der Stadt mitfinanziert würden, denn das könne juristisch als Fortführung des eigentlich abgeschafften Ballett Frankfurt interpretiert werden. Ferner bräuchte man, um die angekündigten 200 000 Euro bereitstellen zu können, eine Ausnahmegenehmigung des Landes Hessen zur Überziehung des städtischen Budgets. Während William Forsythe es vorzieht, die Angelegenheit nicht zu kommentieren, wiegeln die anderen Beteiligten ab. Noch sei das Vorhaben nicht endgültig gescheitert, man werde weiter verhandeln und nach einer neuen Vertragsbasis suchen. Frankfurt aber wünscht sich eigentlich nur eine Regelung, nach der zwanzig bis dreißig Gastspiele Forsythes stattfinden, die nichts kosten sollen. Leider stellen diese Frankfurter Possen keine Ausnahme dar. In Berlin gibt es nach wie vor drei Opernhäuser, aber demnächst nur noch ein Ballett. Erst kündigte man Dutzenden von Tänzern, jetzt werden die verbleibenden zu einer Compagnie zusammengefasst. Es ist nur dem Einsatz der Staatsoper Unter den Linden zu verdanken, dass diese Compagnie mit dem Ballettdirektor Vladimir Malakhov wenigstens über einen hoch qualifizierten Leiter verfügt. In Freiburg hat die neue Intendantin Amelie Niermeyer, eine Schauspielregisseurin, gleich zu Beginn erklärt, sie kenne sich im Tanz nicht aus. Das hat nun Folgen für das Dreispartentheater: Ihre Ballettchefin Amanda Miller hat sie durch Sparandrohungen und sachfremde Einmischungen so lange in die Defensive gedrängt, bis diese aufgab. In Zukunft soll die Heidelberger Ballettdirektorin Irina Pauls beide Häuser - das Freiburger wie das Heidelberger - mit einem kleinen Tanzensemble von nur zwölf Tänzern bespielen. Selbst in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover lassen Politiker inzwischen verlauten, die Staatsoper bräuchte doch eigentlich kein Ballett. Wenn diese Beispiele Schule machen, muss man sich bald um die deutsche Ballettkultur keine Sorgen mehr machen. Das Chaos wäre dann auch beseitigt. Es gäbe an deutschen Bühnen irgendwann einfach keinen Tanz mehr.

Von Wiebke Hüster |